Zweifel an Sanktionen
9. März 2014Die Europäische Union will vorerst nicht weiter mit Russland über Visa-Erleichterungen verhandeln, so haben es die EU-Regierungschefs auf ihrem Sondergipfel beschlossen - und vorsorglich schon einmal weitere Eskalationsstufen vereinbart: Für den Fall, dass sich Russland in der Krim-Krise Verhandlungen weiterhin verweigert, sollen weitere Maßnahmen folgen, bis hin zu Wirtschaftssanktionen.
Die Antwort aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten: Russland werde darauf mit entsprechenden Gegenmaßnahmen reagieren, hieß es aus dem Kreml. Die USA haben die Daumenschrauben bereits enger angezogen und Einreiseverbote und Kontensperrungen veranlasst. Im Gegenzug erwägt Russland, die gegenseitigen Waffeninspektionen zu stoppen. Auch die Telefonate zwischen US-Präsident Barack Obama und EU-Regierungschefs am Wochenende hatten vor allem ein Thema: Wie kann Russlands Präsident Wladimir Putin dazu bewegt werden, einer internationalen Kontaktgruppe zur Ukraine zuzustimmen?
Politische und sportliche Boykottforderungen aus Deutschland
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will nun offenbar auch ihre Teilnahme am geplanten Gipfeltreffen der G8, der acht führenden Industriestaaten, im russischen Sotschi von der weiteren Entwicklung auf der Krim abhängig machen, so berichtet das Nachrichtenmagazin "Spiegel": Sollte es am 16. März - wie von der Krim-Regierung angekündigt - ein Referendum über die Zukunft der ukrainischen Halbinsel am Schwarzen Meer geben, wolle Merkel nicht an dem für Anfang Juni geplanten Treffen teilnehmen.
Michael Fuchs (CDU), stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, zeigt sich kreativ und schlägt in der "Frankfurter Rundschau" eine andere Form der Sanktion vor: Man solle Russland als Austragungsort für die Fußball-WM 2018 in Frage stellen. Er bekam sofort Widerspruch aus den Reihen von Sozialdemokraten und Linken gegen diese Form der "Fußball-Diplomatie".
Der Sanktionsreigen ist in vollem Gange - doch gleichzeitig wachsen die Zweifel daran, ob das der richtige Weg ist, mit Russland in der Krim-Krise umzugehen. Selbst EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) äußerte Zweifel daran, dass sich Putin auf diese Weise an den Verhandlungstisch zwingen lässt.
"Sanktiönchen" - oder berechtigte Vorsicht?
Ohnehin sprechen Kritiker eher von "Sanktiönchen" als von einer ernsthaften Warnung an Russland. Die Sanktionen, die die EU bisher gegen Russland beschlossen haben, seien "milder als die Maßnahmen, welche die EU gegen die Schweiz nach dem Ja zu Masseneinwanderungsinitiative getroffen hat", schreibt etwa die "Neue Zürcher Zeitung" in einem Kommentar.
Andere sorgen sich dagegen eher, die bereits beschlossenen oder angedrohten Sanktionen könnten übers Ziel hinausschießen und die Fronten weiter verhärten. Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag, glaubt ohnehin nicht an die Wirkung von Sanktionen - auch nicht, wenn sie die russische Wirtschaft treffen: "Einen schwachen Partner kann man vielleicht mit Sanktionen beeindrucken, aber nicht Russland. Das hat ja auch noch China an seiner Seite, das dürfen wir nicht unterschätzen", sagte Gysi im Westdeutschen Rundfunk. "In einer solchen schwierigen Situation kann man sich gegenseitig hochschaukeln und nach Sanktionen rufen, und dann droht Putin auch wieder mit irgendetwas", so Gysi weiter - doch die EU dürfe nicht vergessen, dass sie ebenso von Russland und dessen Gaslieferungen abhängig sei.
Enge wirtschaftliche Verflechtung mit Russland
Lob für die vorsichtige Haltung der EU kommt aus der deutschen Wirtschaft: "Es ist richtig, zu deeskalieren", sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des deutschen Industrie- und Handelskammertags, im Deutschlandfunk. "Denn wir kommunizieren ja nicht nur mit Putin und seinem engeren Kreis, sondern auch mit Russland insgesamt. Ich glaube, es ist schon klug zu sagen: Wir sind in der Lage zu handeln, reichen aber am Ende die Hand zu einer Verständigung." Wansleben weist außerdem darauf hin, dass ein Teil der bisherigen Sanktionen schon gewirkt habe - auf indirektem Wege, indem der Wert des russischen Rubels immer mehr in den Keller geht und die Kurse an der Moskauer Börse eingebrochen sind.
Wirtschaftliche Sanktionen sind gerade für Deutschland keine Option, darin ist sich Wansleben mit anderen Wirtschaftsvertretern einig. Ihre Argumente wiegen schwer: Milliardeninvestitionen stehen auf dem Spiel. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Russland betrug im vergangenen Jahr 76 Milliarden Euro. Rund 6000 deutsche Firmen machen Geschäfte in Russland, und schätzungsweise 300.000 Arbeitsplätze hängen davon ab. Dazu kommt der eng verflochtene Finanzsektor: Europäische Banken sind mit 180 Milliarden Euro in Russland engagiert.
Gefahr für die deutsche Energiewende?
Noch deutlicher warnt EU-Energiekommissar Günther Oettinger vor einer Eskalation im Verhältnis mit Russland: Durch Sanktionen werde "die zarte Erholung der europäischen Wirtschaft beeinträchtigt", sagte er in der "Wirtschaftswoche" und fordert die EU auf, Alternativen zum russischen Gas zu finden. Andernfalls stehe auch die deutsche Energiewende auf dem Spiel, die ohne Gaskraftwerke kaum durchführbar ist. Mehr als ein Drittel der deutschen Gasimporte stammen aus Russland.
Die Deutschen sind offenbar gespalten in der Frage, ob der Westen Russland mit Sanktionen bestrafen sollte. In einer aktuellen Emnid-Umfrage befürworteten 45 Prozent Strafmaßnahmen gegen die Regierung in Moskau, 44 Prozent lehnten sie ab. Deutlicher fällt das Ergebnis für den Fall aus, dass Sanktionen zu höheren Energiepreisen führen: Dann sind 54 Prozent der Deutschen nicht dazu bereit, der Ukraine zu helfen.