Zwangsumsiedlung für WM
28. September 2012Fehlende Transparenz, unzureichende Entschädigungen und inadäquater Wohnraumersatz - so zeigt sich in Brasilien die Umsiedlung von Familien für die anstehenden Megaevents Fußball-Weltmeisterschaft und Olympische Spiele. Soziale Organisationen, Universitäten und andere Institutionen des öffentlichen Lebens haben in allen zwölf WM-Städten so genannte "WM-Volkskomitees" als Interessensvertretung für die Bevölkerung gegründet.In der zweiten Auflage ihres Dossiers "Megaevents und Menschenrechtsverletzungen in Brasilien" prangern sie "systematische Verletzungen des Rechts auf Wohnraum" an. Insgesamt sollen etwa 170.000 Menschen ihre Häuser zugunsten urbaner Großprojekte - also wegen der Spiele - räumen.
"Mangelnde Auskünfte und die Verbreitung falscher und widersprüchlicher Informationen, Drohungen, trügerische Werbung und Gerüchte, die von Medien und der Regierung selbst verbreitet werden", nennt das Dokument als Ursachen für große Verunsicherung.
Zudem würden Bundesgesetze und internationale Abkommen missachtet, die Bürgern Besitz an informellem Wohnraum - also provisorisch gebaute Unterkünfte, wie Favelas - zusichern: "Man plant die Infrastrukturprojekte genau dort, um Entschädigungen einzusparen - aus Sicht der Menschenrechte ist das unzulässig", sagt die UN-Berichterstatterin Raquel Rolnik. "Die Menschen werden dann in Orte mit schlechterer Infrastruktur und weniger Arbeitsmöglichkeiten umgesiedelt", so die Professorin für Architektur und Stadtplanerin an der Universität von São Paulo. "Das verletzt das Recht auf adäquaten Wohnraum, das den Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit mit berücksichtigt."
Sinn und Unsinn
Dem Dossier des Volkskomitees von Rio de Janeiro zufolge haben 500 Familien der Favela "Vila Autódromo" von ihrer geplanten Umsiedlung erst aus der Tageszeitung O Globo erfahren. "Dabei liegt das Viertel noch nicht einmal in einer Bebauungszone, aber es verschandelt wohl das Stadtbild rund um den Olympia-Park", berichtet die Stadtplanerin Rolnik.
Mit Unterstützung der Bundesuniversität von Rio de Janeiro (UFRJ) und der Bundesuniversität Fluminense (UFF) erarbeitete Vila Autódromo ein alternatives Bebauungskonzept, das nun noch durch die städtischen Behörden genehmigt werden muss.
Der US-Geograph Christopher Gaffney erforscht die sozial-geographischen Effekte von Megaevents und ist derzeit als Gastprofessor an der UFF. Er meint, die positive Wahrnehmung von Veranstaltungen wie Fußball-Weltmeisterschaften und Olympia hänge maßgeblich von den begleitenden Bauprojekten ab. Dennoch erreichten öffentliche Maßnahmen häufig genau das Gegenteil vom Gewünschten.
"Es wäre ein wunderschönes Signal an die internationale Gemeinschaft, Viertel wie die Vila Autódromo städtebaulich zu entwickeln", meint Gaffney, "doch statt die Realität zu verbessern, versucht man sie zu verbergen."
Der Geograph bezweifelt zudem die Sinnhaftigkeit vieler Infrastrukturprojekte selbst, weil sie ausschließlich für die Veranstaltungen relevant seien. "In Cuiabá werden vier Spiele ausgetragen, und die ganze Stadt wird umgebaut", resümiert Gaffney. "Im Namen der Megaevents ist alles erlaubt", ergänzt Rolnik.
Im April 2012 veröffentlichte Rolnik ihren UN-Bericht, in dem sie auf die Menschenrechtsverletzungen hinweist. Mit wenig Erfolg: "Nur vereinzelt hat sich die Situation verbessert. Und das vor allem durch den Druck der Bevölkerung und der Komitees."
Mobilisierung und Widerstand
Ähnliche Fälle wie der in Vila Autódromo werden auch aus den anderen WM-Städten berichtet. Beim Erdgipfel Rio+20 im Juni 2012 stellte das Institut Polis eine Vorabversion seines Dokumentarfilm "A Caminho da Copa" (Auf dem Weg zur Weltmeisterschaft) vor, der im Moment fertiggestellt wird. Er beleuchtet die Umsiedlungen anhand von Stellungnahmen von Betroffenen und Aktivisten und zeigt, wie die Stadtverwaltung 2010 Wohnhäuser mitsamt der Habseligkeiten der Bewohner einreißt und wie Polizeitrupps gegen Demonstranten vorgehen.
Doch das Aufbegehren der Betroffenen und die Arbeit der Komitees und Aktivisten sind nicht umsonst. So sollten im Viertel Aldaci Barbosa in Fortaleza zunächst 300 Häuser weichen. Auf Druck der Bewohner und des Volkskomitees sollen es nun nur noch 15 bis 20 Wohnungen sein. Und auch in Rio haben sich die Beziehungen zur Stadtverwaltung durch den Druck der Bevölkerung verbessert. Noch, meint Rolnik, bleibe Brasilien Zeit, seine eigene Rechtsgebung auch bei der Vorbereitung von Weltmeisterschaft und Olympia einzuhalten. Und die schreibe schließlich den Schutz der Wohnung vor.