Zuflucht in Russland
17. Juni 2014Von Ruß schwarze Ruinen, wo einmal Wohnhäuser waren. Rauch steigt auf über einer Siedlung. Weiße Blitze fallen vom Nachthimmel wie Feuerwerk. "Die bringen uns um", sagt Irina Jarmosch. Mit ein paar Freundinnen sitzt sie in einem winzigen Zimmer und schaut die russischen Fernsehnachrichten von den Kämpfen in ihrer Heimat. Irina Jarmosch kommt aus Slowjansk in der Ostukraine. Anfang Juni ist sie mit ihrem Mann, ihren beiden Töchtern und noch ein paar Familien nach Russland geflohen. Sie hatten Angst um ihr Leben.
Pro-russische Kämpfer organisieren Ausreise
Die Ausreise hätte die Bürgerwehr organisiert, so nennen sie die pro-russischen Kämpfer hier. In Russland ist Irina Jarmosch nun mit ihrer Familie in einem Ferienlager untergebracht, im Gebiet Rostow, nur etwa 50 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Am Anfang hätten sie in Slowjansk ausharren wollen. Doch dann kamen die Angriffe immer häufiger. "Wir hätten nie gedacht, dass wir so stark unter Beschuss geraten", sagt Irina Jarmosch. "Wir hatten gehofft, unsere Regierung würde Vernunft annehmen. Und sich daran erinnern, dass das keine Terroristen sind, sondern friedliche Leute."
Slowjansk, ihre Heimatstadt in der Ostukraine, gilt als eine der Hochburgen der pro-russischen Kämpfer. Seit Mitte April gehen die ukrainischen Regierungstruppen dort gegen die Aufständischen vor. Irina Jarmosch und ihre Freundinnen erzählen, die Armee setze Hubschrauber und schwere Artillerie ein. Ganze Häuser seien zerstört, sogar ein Kinderkrankenhaus sei beschossen worden. Und jetzt hätten die Soldaten sogar Brandbomben eingesetzt, Phosphor wahrscheinlich. Das würden ja die russischen Nachrichten zeigen.
Täglich rund 800 Flüchtlinge
Die ukrainischen Flüchtlinge hier in Russland trauen der neuen ukrainischen Regierung in Kiew alles zu. Tatsächlich nachprüfen lässt sich nur wenig. Auch die Zahl der Flüchtlinge nicht. Russland spricht von Zehntausenden, die über die Grenze kommen und verhängte Anfang Juni den Notstand in der Grenzregion Rostow. Der regionale Katastrophenschutz ließ an vier Übergängen Not-Aufnahmelager einrichten: Zelte mit ein paar Dutzend Betten und medizinischer Versorgung. "Hier kommen jeden Tag rund 800 Menschen rüber", sagt Wadim Krawzow, der das Zeltlager am Grenzposten Nowoschachtinsk organisiert. "Bis jetzt warten alle darauf, dass sie nach Hause zurück können. Niemand will sich als Flüchtling oder Emigrant registrieren lassen. Alle, die aus der Ost-Ukraine fliehen, wollen bald dorthin zurück."
Zu Fuß über die Grenze
In einem der leuchtend orange-farbenen Zelte am Grenzposten Nowoschachtinsk packt Swetlana Mironenko eine große Plastikreisetasche aus: ein paar Sachen zum Anziehen für sich und ihre drei Kinder, die vierzehn, sechs und anderthalb Jahre alt sind, legt sie auf eines der Etagenbetten. Sie sind soeben erst angekommen. Mit dem Taxi hat sie sich und die Kinder Richtung Russland bringen lassen, raus aus der ukrainischen Region Luhansk, wo auch gekämpft wird. Und dann sind sie die letzen Meter gelaufen, zu Fuß über die Grenze. Swetlana Mironenko wirkt sehr gefasst, nur sichtlich erschöpft ist sie. Die Sonne scheint heiß über Südrussland und dem Aufnahmelager aus den orange-farbenen Zelten.
"Die russischen Behörden suchen uns nun ein neues Zuhause, Arbeit, einen Kindergarten und eine Schule. Mein Mann kämpft weiter gegen die Regierungstruppen. Als wir das letzte Mal telefoniert haben, sagte er: 'Fahr Du nach Russland, ich komme nach'." Ihr Mann sei bei der sogenannten Bürgerwehr, die die Bevölkerung vor den Truppen aus Kiew schütze. "Wenn sich alles beruhigt", erzählt Swetlana Mironenko, "dann kehren wir wahrscheinlich zurück. Da ist doch unser Haus und alles, was wir hatten. Das ist doch traurig." Wie es auf lange Sicht weiter geht, das weiß Swetlana Mironenko nicht. Das wissen die meisten ukrainischen Flüchtlinge hier in Russland nicht. Nur in einem, da sind sie sich ganz sicher: Die neue Staatsführung in Kiew - das sei ein Regime von Verbrechern. Und nur Russland könne sie davor beschützen.