Bonaparte
22. August 2011Er könnte professioneller Jockey sein, die Reiterhosen stehen ihm gut. Doch was sollen das schwarz bemalte Gesicht und die orangefarbene Filzperücke? Das gehöre alles zur Show, meint der Schweizer Tobias Jundt, kreativer Kopf des Berliner Bandprojektes Bonaparte. Seine Musik ist so vielseitig wie sein Kostüm: vorwärts preschender Staccato Punk, Balkan-Hymnen oder - ganz klassisch - rückwärts geloopter Händel-Barock.
Das aktuelle Album "My Horse Likes You" bedient sich dabei eines perfekt ausgearbeiteten Napoleon-Pferdekonzepts mit viel Interpretationsspielraum und schier unerschöpflicher Metaphorik. Jundt mag zwar Napoleon nicht besonders, aber gemeinsam ist ihnen die Alleinherrscher-Stellung. Er ist der Boss, zehn bis zwanzig Musiker und Tänzer sind seine Untertanen. L'état: c'est lui.
Pferde mit Gefühl
Bonaparte ist der Feldherr des absurden Elektropunk und aller menschlichen Bedürfnisse. Seine Bespaßungskunst ist natürlich eine "Spaßdiktatur" - es muss schließlich alles ins Konzept passen. Bei Jundt klingt das majestätisch entrückt, und wenn er wiehert wie ein Pferd, dann mutet das manchmal auch verrückt an. "So ist halt einfach das Leben", sagt er. "In dem Album kommen ganz viele soziale und politische Gedanken vor, da ist lustiger Schabernack drin und natürlich auch Sex." Jundt gesteht gewisse Doppeldeutigkeiten gerne zu, wichtig ist ihm aber vor allem das Gefühl.
Mit ihrer Kombination aus Musik und einzigartiger Performance füllen die Bonaparte-Musiker eine Marktlücke. Zirkus, Varieté, absurdes Theater - von allem ist etwas dabei. Zu jedem Stück gibt es eine neue Kostümierung, passend zu Titel und Text: Bei "My Horse Likes You" liebkost ein Mensch mit Pferdekopf die Band, "Computer in Love" lässt die Tänzerinnen unter riesigen Pappbildschirmen verschwinden und bei "Wir sind keine Menschen" gibt es viel Fleisch und Blut zu sehen.
Bei so viel visueller Ablenkung könnten die Texte eher zweitrangig sein; das Gegenteil ist aber der Fall. Bei Bonaparte gleicht jeder Satz einem druckreifen Slogan, Interpretationsmöglichkeiten inklusive. "Nature tries to copy us" - die Natur versucht uns zu kopieren heißt es da oder: "When you watch computer, computer watching you" - Wenn du den Computer anschaust, schaut der Computer dich an.
Verliebter Computer
Ein wichtiges Thema auf dem Album sind tatsächlich Computer und deren alltägliche Macht: "Es ist doch so, dass wir diesem Ding alles anvertrauen, mehr noch als wahrscheinlich irgendeiner Person", meint Tobias Jundt nachdenklich. "Und dieser Computer sammelt alles." Jundts Sorge nimmt eine erfreuliche Wendung, wenn er besingt, wie der Computer sich vor lauter Rührung über die ihm beigemessene Aufmerksamkeit in seinen Besitzer verliebt.
Das ist zugegeben viel Stoff zum Nachdenken, welcher nicht gleich zum Zuge kommt – erst muss man sich vom chaotischen, aber niemals dadaistischen Sound und Schauspiel lösen. Die für das Chaos verantwortliche Bonaparte-Crew ist eine Familie voller Individualisten: erfrischend selbstironisch und selbstkritisch. Eine alternative Bohème, die jede Minute mit dem Vorhandenen bricht und sich neu erfindet. Das klingt hektisch, macht aber großen Spaß. Tobias Jundt hält derweil die Zügel in der Hand, das dritte Album schon fest im Visier.
Autorin: Eva Gutensohn
Redaktion: Suzanne Cords