Ziemlich beste Freunde
20. Juni 2013Die beiläufige Frage des alten Mannes, mit dem er sich gerade so nett in der U-Bahn unterhielt, traf Juan Diaz wie ein Schlag ins Gesicht: "Was für ein Landsmann sind Sie?" Juan war entsetzt. Wenn er sich an die Wut erinnert, die vor sieben Jahren in ihm kochte, verzieht er noch immer die Mundwinkel. Wie konnte der Mann es wagen - wo er sich doch so bemüht hatte, sein bestes Deutsch zu sprechen? Dann enstpannt sich Juans Gesicht zu einem sanften Lächeln: Der Mann habe ihn umarmt, einfach so, als er ihm sagte, dass er aus Amerika stammt. "Er hat mir erzählt, dass die Amerikaner sein Leben gerettet haben, als er ein kleines Kind war - mit der Berliner Luftbrücke."
Damals, im Sommer 1948, hatten sowjetische Truppen Berlin von der Außenwelt abgeschnitten. Fast ein Jahr lang versorgten vor allem amerikanische, aber auch britische Flugzeuge die Berliner aus der Luft. Bei der Erinnerung an die Umarmung durch seine U-Bahn-Bekanntschaft bricht Juans Stimme. Er blinzelt Tränen der Rührung weg, bevor er weitererzählen kann: Seit dem Tag habe er nicht mehr geheimgehalten, dass er Amerikaner sei.
Besondere Beziehungen
Mark Hallerberg gibt ihm recht: In der Zeit, als George Bush Junior Präsident der Vereinigten Staaten war, sei es tatsächlich nicht immer einfach gewesen, Amerikaner zu sein. Der Professor, der Wirtschaftspolitik an der Hertie School of Governance in Berlin lehrt, kennt Landsleute, die sich damals lieber als Kanadier ausgaben. Denn ihre Regierung hatte gegen den Willen vieler Verbündeter, darunter auch Deutschland, den Irak angegriffen. Amerikaner zu sein, das hieß, Kritik einstecken zu müssen. "Dem Respekt, den die USA traditionell in Deutschland hatten, hat das sehr geschadet", sagt Hallerberg. Zwar habe sich das Verhältnis mit der Wahl von Barack Obama verbessert. "Aber in Berlin war das auch zuvor wegen der besonderen Geschichte etwas einfacher", lächelt er.
Im zweigeteilten Berlin der Nachkriegszeit garantierten amerikanische Truppen die Sicherheit der Stadt - vor allem, als der Kalte Krieg, der die Welt in Ost und West teilte, 1961 mit der Berliner Mauer zementiert wurde. "Die Leute hatten Angst", erzählt Alina Heinze. Die Leiterin des kleinen Kennedy-Museums in Berlin Mitte, das das Leben des amerikanischen Präsidenten bis zu seinem Tod 1963 dokumentiert, deutet auf ein schwarz-weißes Bild: Tausende Menschen drängen sich auf einem Platz. Sie alle wollten John F. Kennedy sehen, der am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg in Westberlin eine Rede hielt - und mit dem berühmten Satz "Ich bin ein Berliner" seine Unterstützung für Westberlin versicherte.
Oft würden Menschen vergessen, dass Kennedy auf einer Deutschlandreise war und auch in anderen Städten haltgemacht hatte, sagt Heinze. Aber das geteilte Berlin und die Mauer hätten alles andere überschattet. Denn der Besuch kam zwei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer und "mitten in einer der Höchstphasen des Kalten Krieges".
Von Schutzmacht zu Partnerschaft
Noch heute weinten ältere Besucher manchmal, wenn sie Heinze von der Zeit erzählen: von der Zuversicht, die ihnen der Besuch aus Amerika gab, der Hoffnung, dass ihnen Washington und seine Truppen beistehen würden gegen den sowjetischen Osten. Während sie das erzählt, schließt Heinze den Raum wieder sorgfältig ab, in dem in den kommenden Monaten eine Sonderausstellung den Besuch dokumentieren wird. "Heute ist es natürlich ein ganz anderes Verhältnis zwischen Amerika und Berlin", ein partnerschaftliches, sagt sie, eines "auf Augenhöhe". Denn nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 brauchte Berlin den Schutz nicht mehr und fast alle amerikanischen Truppen wurden aus der Stadt abgezogen.
Ein paar Straßenecken vom Kennedy-Museum entfernt flattert noch eine amerikanische Fahne. Daneben steht ein braungebrannter Soldat stramm. Er starrt auf die Touristenmassen, die sich um den Checkpoint Charlie drängen, den ehemaligen Übergang zwischen Ost- und Westberlin. Eine Frau stellt sich neben ihn, grinst in die Kamera ihres Mannes, reckt ihren Zeige- und Mittelfinger in die Höhe: Victory, Sieg. Ob er Amerikaner sei? Der Soldat reagiert auf die Frage mit einem genervten Schulterzucken: Die nächste Touristengruppe wartet auf ein Foto, es gilt, Geld zu verdienen - für Identitätsfragen hat er keine Zeit.
"Die Entromantisierung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses", so resümiert der deutsche Politologe Johannes Thimm das transatlantische Verhältnis seit Ende des Kalten Krieges. Denn in den letzten Jahren habe sich Washington stärker in andere Richtungen orientiert, vor allem nach Asien, erklärt Thimm von der Forschungsgruppe "Amerika" der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Viele deutsche Politiker machten sich Sorgen, dass den USA die transatlantischen Beziehungen nicht mehr wichtig seien. Thimm sieht das gelassener: Im Kern sei diese Umorientierung nach Asien ein Beleg dafür, dass "Europa eine Erfolgsgeschichte" sei, dass es also keine größeren Krisen gebe, in die die USA eingreifen müssten.
Sonderbehandlung für Amerikaner?
Wirtschaftlich und vor allem kulturell gesehen seien die Beziehungen der USA mit Europa ohnehin viel enger als mit anderen Regionen. Mehr als 100.000 US-Amerikaner sind in Deutschland gemeldet, fast 15.000 leben nach Angaben der Stadt Berlin in der Hauptstadt, Tendenz steigend. Menschen wie Juan Diaz. Vor ein paar Jahren hat er sich einbürgern lassen. Seitdem hat er zwei Pässe. Beim Sprachtest für die Einbürgerung sei er bevorzugt worden, glaubt er. Nachdem der Test schon lange abgeschlossen war, habe sich die Frau vom Einbürgerungstest in Berlin noch fast eine Stunde mit ihm unterhalten - "weil es so nett ist, mit Amerikanern zu reden, hat sie gesagt".