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Zersplitterte Parteienlandschaft

Jannis Papadimitriou (Athen)17. September 2015

Das hat es in 60 Jahren nicht mehr gegeben: Bei der griechischen Parlamentswahl am Sonntag hoffen mindestens neun Parteien auf ihren Einzug ins Parlament. Jannis Papadimitriou berichtet aus Athen.

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Griechenland Wahlen Wahlplakate in Athen ( Foto: Emily Wabitsch dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/E. Wabitsch

Um die 300 Sitze bewerben sich am Sonntag insgesamt 19 Parteien. Dass eine von ihnen die absolute Mehrheit bekommt, gilt laut Umfragen als höchst unwahrscheinlich. Dabei war es bis zum Ausbruch der Schuldenkrise 2009 in Hellasdie Regel , dass eine Partei entweder im Alleingang regiert oder zum nächstmöglichen Zeitpunkt Neuwahlen erzwingt, um sich die absolute Mehrheit im Parlament zu sichern. Derartige Machtansprüche werden nicht zuletzt durch die Besonderheiten des griechischen Wahlsystems unterstützt, das der stärksten politischen Kraft einen Wahlbonus von 50 Parlamentssitzen gewährt. Dadurch soll eine möglichst stabile Regierung gebildet und das lange Feilschen umMinisterposten vermieden werden.

Mit anderen Worten: Wenn sich Linkspolitiker Alexis Tsipras oder der Chef der Konservativen Evangelos Meimarakis am Sonntag auch nur eine einzige Stimme Vorsprung gegenüber der Konkurrenz verschafft, bekommt seine Partei den Zuschlag von 50 Sitzen im Parlament zugesprochen. Doch selbst mit diesem Wahlbonus wird die stimmenstärkste Kraft laut Umfragen nicht ohne Koalitionspartner regieren können, da sich die Stimmen auf mehrere Parteien verteilen. Jorgos Tzogopoulos, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter des Athener Think-Tank ELIAMEP, meint dazu: "Grund für die Zersplitterung der Parteienlandschaft ist die Enttäuschung und sogar Verzweiflung vieler Bürger in Griechenland. Insbesondere junge Menschen wenden sich von etablierten politischen Kräften ab und entscheiden sich lieber für Splitterparteien- oder gehen gar nicht erst zur Wahl".

Eine Wahlveranstaltung der Nea Demokratia in Athen (Foto: picture alliance)
Die konservative Nea Demokratia gehört zu den "alten Parteien"Bild: picture alliance

Querelen bei der Linken

Mit 47,37 Prozent erreichte die Wahlabstinenz ihren vorläufigen Höhepunkt bei der Europawahl 2009, als sich die Vorzeichen der Krise unverkennbar zeigten. In den darauffolgenden Jahren lockte Linkspolitiker Alexis Tsipras viele Nichtwähler doch noch an die Urnen. Ob es ihm auch diesmal gelingt, bleibt fraglich, da seine bis vor kurzem regierende Syriza-Partei von internen Querelen geplagt wird. Nachdem das Parlament Mitte August ein neues Sparpaket verabschiedet hat, verließen Dutzende Linksabgeordnete aus Protest die Partei von Tsipras und gründeten ihre eigene linksradikale Gruppe mit dem Namen "Volkseinheit". Bei der anstehenden Wahl will sich die euro-skeptische Partei um den Altkommunisten Panagiotis Lafazanis endgültig als ernstzunehmende Kraft etablieren. Ihre Standard-Aussage lautet: "Wenn wir uns von Vereinbarungen befreien müssen, werden wir den Euro verlassen, damit Griechenland mit einem progressivem politischen Programm wieder Hoffnung bekommt".

Die Mehrheit der Syriza-Jugendorganisation hat Tsipras inzwischen die Gefolgschaft aufgekündigt. Aber ob sie der neuen Partei beitritt, steht nicht fest, sagt der ehemalige Chef der Syriza-Jugend Ilias Panteleakos in einem Zeitungsinterview: "Wir würden uns zunächst mit strategischen Fragen befassen und der Jugend die Möglichkeit geben, sich politisch zu artikulieren. Nach dem ersten Eindruck tendiert die Volkseinheit eher dazu, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen", kritisiert der Jungpolitiker.

Möglicherweise bleibt es nicht bei einer einzigen Syriza-Abspaltung, mahnt Politikwissenschaftler Tzogopoulos: In den vergangenen Wochen habe sich innerhalb der Partei die sogenannte "Bewegung der 53" bemerkbar gemacht, die ebenfalls eine Art interner Opposition bildet. Es handle sich um eine Gruppe von 53 Abgeordneten, die grundsätzlich für das Sparpaket gestimmt haben, nun aber Parteichef Tsipras mehr oder weniger offen warnen, sie lehnten einzelne Anwendungsgesetze ab, in denen die Sparauflagen konkretisiert würden. "Die Geschichte der griechischen Linken ist reich an Polarisierungen und Abspaltungen", gibt Tzogopoulos zu bedenken. Davon zeugt nicht zuletzt das aktuelle Partei-Angebot: Neben Syriza und der "Volkseinheit" werben orthodoxe Kommunisten, Leninisten und die "Antikapitalistische Zusammenarbeit" um die Linkswähler. Konsolidiert wird dagegen in der Sozialdemokratie: Die sozialistische PASOK und die einst mitregierende Demokratische Linke tun sich zusammen, Ex-Premier Jorgos Papandreou löst seine Ende 2014 gegründete Partei wieder auf. Davon profitiert die neue PASOK-Chefin Fofi Gennimata, die sich laut jüngsten Umfragen berechtigte Hoffnungen auf den dritten Platz machen darf.

Das "Leventis-Phänomen"

Die Zersplitterung der Parteienlandschaft kommt nicht zuletzt einem Mann zu Gute, der bisher als Politclown galt und nun vermutlich die Chance seines Lebens kommen sieht: Vassilis Leventis, 64, Chef der Zentrumsunion und langjähriger Prophet bevorstehender Katastrophen im Trash-TV, am liebsten in der eigenen Fernsehsendung weit nach Mitternacht. Seit 1984 verkündet Leventis den Untergang der Wirtschaft, des korrupten politischen Systems und des Establishments, nun ist seine Prognose beinahe eingetroffen. Das wissen die Wähler zu honorieren: Frühere Umfragen prognostizierten für Leventis mehr als fünf Prozent, nach jüngsten Erhebungen liegt er bei 3,5 Prozent und das dürfte immer noch für den Einzug ins Parlament reichen.

Alexis Tsipras (Foto:REUTERS/Alkis Konstantinidis )
Kaum Aussicht auf absolute Mehrheit: AlexisTsiprasBild: Reuters/A.Konstantinidis

Plötzlich bekommt Leventis Einladungen zu 20-minütigen Interviews von Sendern, die ihm in den vergangenen 30 Jahren keine Beachtung schenkten. Sein Programm hat er neulich wie folgt erklärt: "Zusatzrenten und Frühverrentung abschaffen. Die Zahl der Abgeordneten auf 150 senken, Politikergehälter um 50 Prozent kürzen. Pensionen für ehemalige Politiker sollten ausschließlich von ihren Rentenkassen getragen werden. Renten für 80.000 wohlhabende Griechen mit einem Monatsgehalt von über 33.000 Euro einfach abschaffen, wie in Australien. Wenn wir derart mutige Maßnahmen treffen, ist Griechenland in zwei Monaten wieder auf den Beinen".