Filmfest München eröffnet
23. Juni 2016So ganz wollte man natürlich nicht verzichten auf König Fußball. Eine kulturelle Großveranstaltung während der Europameisterschaft, noch dazu in der Stadt des populären "FC Bayern München", da muss man schon etwas bieten. Schließlich sind viele Kinofans auch Fußballanhänger.
Auf großer Leinwand ist in der Stadt für ausreichend Public Viewing gesorgt und als besonderes Schmankerl hat man sich eine kleine Fußballfilmreihe unter dem Titel "Pioniere und Pfeifen" ausgedacht - veranstaltet in der Public Viewing Arena am Flughafen München.
Im Zentrum der Stadt steht aber natürlich Kunst und Kultur im Mittelpunkt. Eröffnet wurde das Festival am Donnerstag mit dem Cannes-Erfolg "Toni Erdmann". Viele Welt- und Europapremieren stehen auf dem Programm, die allermeisten Filme der 34. Ausgabe des Filmfestes (23.6.-2.7.) waren in Deutschland bisher noch nicht zu sehen.
Festivaldirektorin Iljine: Sehnsucht nach dem Gemeinschaftserlebnis Kino
Es gebe keinen besseren Ort, um einen Kinofilm anzuschauen, als das Kino, verkündete Festivaldirektorin Diana Iljine schon einmal zum Auftakt. Das mag eine Binsenweisheit sein, doch der Hintergrund ist durchaus ernst zu nehmen: "In Zeiten von Streaming-Portalen und all den digitalen Möglichkeiten, sich Filme nach Hause und unterwegs zu holen", sei der Gang ins Kino heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr, soIljine. Gleichzeitig gibt sie sich überzeugt, dass es auch weiterhin "eine Sehnsucht nach dem Gemeinschaftserlebnis Kino" gibt: "Die Lust, Filme auf großer Leinwand zu sehen, mit Freunden und Familie."
Natürlich ist das beste Argument eines jeden Filmfestes, dass dort Werke präsentiert werden, die man eben nicht auf irgendwelchen digitalen Kanälen sehen kann. In diesem Jahr zum Beispiel Filme aus Brasilien und dem Nahen und Mittleren Osten - zwei Schwerpunkten des Festivaljahrgangs 2016.
Einblicke in kurdische Lebenswelten: Bahman Ghobadi
Auf besonderes Interesse dürften dabei die Filme aus dem Iran stoßen. Dem kurdisch-iranischen Regisseur Bahman Ghobadi ist eine ganze Retrospektive gewidmet. Der renommierte Filmemacher, dessen Arbeiten schon auf Festivals in der ganzen Welt zu sehen waren, gilt als wichtigster kurdischer Regisseur überhaupt. Antonia Mahler vom Filmfest: "Ghobadis Filme können schmerzlich sein, aber trostlos sind sie nie". Schmerzlich sind die Werke des Regisseurs, weil er Geschichten aus seiner Heimat zeigt, Geschichten von Krieg und Vertreibung, von Flucht und Folter.
Es sind vor allem Kinder, die am meisten unter den Zuständen in den Krisenregionen Syrien und Irak zu leiden haben. Und so ist es oft der Blickwinkel eines Kindes, den der Regisseur in seinen Filmen einnimmt. "Bahman, du musst einen brutal ehrlichen Film über die Kinder an der irakischen Grenze machen!", spornte sich der Regisseur beispielweise selbst an, als er im Jahr 2000 sein Spielfilmdebüt "Zeit der trunkenen Pferde" realisierte.
Oscarpreisträger Asghar Farhadi aus dem Iran
Iranische Filme erlauben oft über ausgefeilt psychologische Erzählungen einen Einblick in die gesellschaftlichen Zustände des Landes. Oscarpreisträger Asghar Farhadi ("Nader und Simin") ist ein Meister in dieser Hinsicht, auch sein neuster Film "The Salesman" läuft in München. Darüberhinaus eröffnen Arbeiten aus Ägypten und dem Libanon, von palästinensischen und türkischen Regisseuren Einblicke in die islamischen Welten.
Oft sind es Konflikte zwischen Religion und Gesellschaft, zwischen strengem Glauben und der Sehnsucht nach der Moderne, in die die Menschen in den jeweiligen Ländern geraten. "Das Kino kann uns helfen, uns in die Lage anderer Menschen zu versetzen", sagt Bernhard Karl vom Filmfest München, der für den vom Festival proklamierten Schwerpunkt "Neues Kino aus islamischen Ländern" zuständig ist. Doch Karl betont auch: "So unterschiedlich die Kulturen, so facettenreich sind ihre Themen und Erzählformen." Man sollte sich also hüten, das Kino der islamischen Welt in einen großen Topf zu werfen.
München zeigt die Vielfalt des europäischen Kinos
Schließlich ist man in Deutschland auch - zu Recht - irritiert, wenn beispielweise das Europäische Kino als eine künstlerische und kulturelle Einheit gesehen wird. Das diesjährige Programm des Festivals ist Beweis dafür. In den verschiedenen internationalen Programmsektionen werden Filme aus Italien, Spanien, Portugal, aber auch aus Georgien, Russland und Rumänien gezeigt. In ihrer Vielfalt sind sie kaum unter einen Hut zu bringen. Das gleiche gilt für neue Filme aus Südamerika. Dem brasilianischen Kino ist in München ein weiterer Schwerpunkt gewidmet.
Und Deutschland? Traditionell zeigt das Festival gleich eine ganze Reihe neuer Produktionen als Weltpremiere. "Toni Erdmann" war zwar schon in Cannes zu sehen, steht aber stellvertretend für die neue Vitalität und Formen- und Themenvielfalt des heimischen Kinos. Dem auch international sehr bekannten Regisseur Christian Petzold ist eine ausführliche Werkschau gewidmet.
Kino versus Fußball
Das Festival kann also beginnen - das Angebot ist fast fast so groß wie bei der Berlinale und die Kinobegeisterten müssen sich entscheiden: Zwischen den vielen Filmreihen, zwischen Regie-Porträts und Hommagen, zwischen Kinderfilmfest und Open-Air-Filmbühne. Bleibt abzuwarten, wie viel Zeit daneben noch für König Fußball ist.