Die SPD und TTIP
24. Februar 2015Der Tag hat es in sich: Vormittags ist Sigmar Gabriel in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister beim Bundesverband der Deutschen Industrie auf dem "Transatlantischen Wirtschaftsforum 2015" zu Gast. Am frühen Nachmittag muss sich Gabriel als SPD-Vorsitzender in der Parteizentrale den kritischen Fragen seiner Genossen stellen. "Transatlantischer Freihandel – Chancen und Risiken" ist die Konferenz im Willy-Brandt-Haus überschrieben. In beiden Fällen geht es um die Abkommen der Europäischen Union mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA). Doch die Diskussionsansätze könnten unterschiedlicher kaum sein.
Die Wirtschaftsverbände befürworten die Abkommen praktisch ohne Wenn und Aber und fordern von Wirtschaftsminister Gabriel, beim Freihandel möglichst schnell Nägel mit Köpfen zu machen. Aus ihrer Sicht bieten TTIP und CETA die große Chance, Zölle und andere administrative Barrieren im transatlantischen Handel abzubauen.
BDI-Präsident Ulrich Grillo spricht von Hoffnungen: "Hoffnung auf mehr Wirtschaftswachstum, Hoffnung auf mehr Arbeitsplätze und Hoffnung auf die Chance, die Globalisierung aktiv zu gestalten." Die deutsche Industrie sehe in TTIP "eindeutig eine Chance", so Grillo, "und zwar die Chance, unseren Wohlstand und unsere exzellente Stellung in der Weltwirtschaft langfristig zu sichern."
Der Minister fühlt sich wohl
Dem kann der Bundeswirtschaftsminister nur zustimmen. "Wir reden zu viel über Chlorhühner und zu wenig über die geopolitische Bedeutung", sagt er und die Wirtschaftslobbyisten nicken. Dann lobt er die exportstarke deutsche Wirtschaft, die auf offene Märkte angewiesen sei. "53 Prozent unseres Bruttosozialprodukts sind exportgetrieben und ein Viertel aller Arbeitsplätze hängen vom Export ab." Indirekt sei die Abhängigkeit aber weitaus größer. "Ein Teil des Problems in unserem Land besteht darin, dass oftmals andere, die dort nicht selbst arbeiten, nicht so recht wissen, dass der wirtschaftliche, der soziale, der kulturelle, der ökologische Fortschritt und Erfolg in den Sektoren, in denen sie Arbeit finden, davon abhängt, dass sich der Exportsektor gut und erfolgreich entwickelt."
Deshalb unterstützt Gabriel die Freihandelsabkommen. Wenn TTIP scheitere, drohe der Abstieg Europas, warnt er. Der SPD-Chef weiß aber auch, dass er ein deutsches Ja zu TTIP und CETA nicht gegen seine eigene Partei durchsetzen kann. Dort sind die Bedenken und Ängste gewaltig. Hoffnung, dieser Begriff bezieht sich an der SPD-Basis in erster Linie darauf, TTIP substanziell umschreiben zu können. Noch weiter gehen die Demonstranten, die vor der SPD-Zentrale im Nieselregen stehen. Es sind so viele, dass die Straße vor dem Willy-Brandt-Haus für den Autoverkehr gesperrt werden muss.
Massive Proteste
"Wer flüstert, der lügt" und "Keine Geheimverhandlungen, stoppt TTIP", steht auf einem großen Banner, das vor einer mehrere Meter hohen Nachbildung des trojanischen Pferdes aufgespannt ist. Das Pferd steht für die Befürchtung, dass über die Freihandelsabkommen lediglich Industrieinteressen durchgesetzt und damit das Ende europäischer Verbraucher- und Umweltschutzstandards besiegelt würde.
"Lassen Sie sich nichts vormachen, wenn Ihnen erzählt wird, man könne TTIP schöner, sozialer, ökologischer, demokratischer machen", steht in einem Flyer, den ein Demonstrant jedem in die Hand drückt, der zur SPD-Konferenz unterwegs ist. Ein Aufruf, der dort nicht gerne gesehen wird. "Entweder stecken Sie den Flyer weg, oder ich muss ihn einsammeln", sagt eine Sicherheitsbeauftragte bei der Einlasskontrolle. Die SPD-Spitze steht den Demonstranten kritisch gegenüber. "Da draußen geht es um PR, um emotionale Kampagnen, gegen die Aufklärung keine Chance hat ", urteilt SPD-Chef Gabriel. "'TTIP ist böse' bringt uns aber nicht weiter."
Zwischen "putzig" und "hysterisch"
Gabriel setzt auf die Auseinandersetzung mit Fakten. "Ich beobachte mit großer Sorge, dass sich Teile der Öffentlichkeit einmauern in ihren Argumenten." Im Vorfeld der Konferenz hat die SPD auf ihrer Webseite dazu aufgerufen, Fragen und Beiträge zu formulieren. 820 Wortmeldungen sind eingegangen, in keiner werden die Freihandelsabkommen gut geheißen. "Wie kann die Sozialdemokratische Partei Handelsabkommen unterstützen, die weder sozial noch demokratisch sind, sondern die Konzentration von Besitz und Macht für große Konzerne bedeuten und die Teilung der Weltbevölkerung in viele Arme und wenige Reiche weiter vorantreiben?", fragt ein User, der sich Paramonga nennt.
"Wieso wird bei diesen Handelsabkommen zwischen demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern überhaupt so ein Unsinn wie geheime und intransparente Schiedsgerichte diskutiert?", fragt Frank. Eine Marion wendet sich direkt an den SPD-Chef: "Wie vermittle ich meinem Ortsverband und interessierten Bürgerinnen und Bürgern, dass Du, Sigmar, die Diskussion um TTIP und CETA in Deinen öffentlichen Auftritten als "putzig" bis "hysterisch" bezeichnest, in Davos Schiedsgerichte in den höchsten (englischen) Tönen lobst und uns dann einen Mitgliederbrief schickst, indem Du uns zur Diskussion aufforderst?"
Zankapfel Schiedsgericht
Sigmar Gabriel nimmt die Bedenken der Parteimitglieder durchaus ernst und versucht, sie argumentativ zu entkräften. "Wir können und wollen die Standards für Verbraucherschutz, Umwelt- und Arbeitnehmerschutz in Europa weiterhin selbst festlegen", betont er. Kein Gesetz und keine Verordnung könne durch derlei Abkommen außer Kraft gesetzt werden.
Besonders groß ist der Widerstand in der Partei gegen das in den Freihandelsabkommen vorgesehene Verfahren zur Schlichtung von Streits zwischen Staaten und Investoren. Damit wird Großunternehmen ermöglicht, Regierungen wegen entgangener Profite vor privaten Schlichtungsstellen zur Rechenschaft zu ziehen. "Wie wird sichergestellt, dass nationale Gesetze nicht durch Klagen privater Institutionen verhindert, abgeschwächt oder sogar aufgehoben werden? Wie wird sichergestellt, dass Staaten für ihr gesetzgeberisches Handeln nicht zu Strafzahlungen verurteilt werden können?", fragt der User Mcr42 auf der Themenseite der SPD.
Moderner Investorenschutz
Sigmar Gabriel hat dazu einen Vorschlag, den er am Wochenende bereits mit anderen sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs bei einem Treffen in Madrid besprochen hat. Ihm schwebt eine Art unabhängiges Handelsgericht vor. "Wir haben uns für die Einführung rechtsstaatlicher Alternativen zu den geplanten Schiedsgerichten eingesetzt, also nicht für deren Streichung, sondern für einen anderen Weg." Es müsse sichergestellt werden, dass ausländischen Investoren in der EU keine anderen Rechte eingeräumt würden als europäischen Investoren. Es müsse ein eigenes Handels- und Investitionsschiedsgericht mit qualifizierten und unabhängigen Richtern gebildet werden. Die Verfahren müssten öffentlich sein.
Applaus brandet in der SPD-Zentrale auf und auch EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström spricht von einer "sehr guten Idee". Die Schwedin hat wie Gabriel auf der Konferenz der Wirtschaftsverbände gesprochen und steht auch bei der SPD Rede und Antwort. In Deutschland werde die Diskussion über die Freihandelsabkommen sehr emotional geführt, stellt Malmström fest.
In früheren Jahren habe sich kaum jemand für Handelspolitik interessiert. Heute sei das anders. "Wir schulden Ihnen eine Debatte, die auf die Fakten konzentriert ist", sagt Malmström zu den SPD-Mitgliedern. Die Diskussion habe sich zu lange auf Dinge konzentriert, die überhaupt nicht zur Debatte stünden, wie der Import von Chlorhühnchen oder mit Hormonen behandeltem Fleisch.
CETA ist ausverhandelt
Bei den Schiedsgerichten ist das anders. Sie stehen sehr wohl zur Debatte. "Wir wollen mehr Unabhängigkeit der Schlichter und der Schiedsgerichte", betont Handelskommissarin Malmström. Allerdings könne der Vorschlag nicht mehr in das bereits fertig verhandelte CETA-Abkommen aufgenommen werden. Hier seien nur noch kleine Veränderungen möglich und das auch nur, wenn die Kanadier zustimmen würden.
Bei TTIP scheint hingegen noch vieles möglich, auch wenn bereits acht Verhandlungsrunden mit den Amerikanern abgeschlossen wurden. "Natürlich weiß niemand, ob wir das am Ende schaffen", räumt der Wirtschaftsminister ein. Seine Partei fordert er aber auf, für die Werte zu kämpfen, die der SPD wichtig sind. "Wenn wir allerdings der Überzeugung sind, dass sich sowieso nur amerikanische Konzerne mit europäischen verbünden und das Recht der Bürger mit Füßen treten, wenn das unsere Grundeinstellung ist, dann können wir auch damit aufhören, uns für die Regulierung der Globalisierung einzusetzen."