Zeitenwende im palästinensischen Parlament
18. Februar 2006132 Abgeordnete hat das neue Parlament. Die Hamas-Abgeordneten aus dem Gaza-Streifen waren zur konstituierenden Sitzung per Videokonferenz zugeschaltet, Israel hatte nicht allen Hamas-Abgeordneten die Reise ins Westjordanland genehmigt.Gemeinsam mit ihren Kollegen in Ramallah legten sie ihren Amtseid ab.
"Ich schwöre bei Gott, dass ich dem Vaterland treu sein und die Rechte der Nation verteidigen werde
und ihr Interesse und das Gesetz respektieren werde.
Ich werde alle Pflichten erfüllen, die mir das Gesetz auferlegt, so wahr mir Gott helfe."
Abbas' Appell
Mahmud Abbas, Präsident der Autonomiebehörde und Führer der von Jassir Arafat gegründeten Fatah, beauftragte die radikal-islamische Hamas mit der Regierungsbildung und sagte ihr seine Unterstützung zu. "Die Wahlen haben eine neue Realität gebracht. Die Hamas hat die Mehrheit im Parlament und wird nach entsprechenden Verhandlungen die neue Regierung bilden", sagte er in seiner Rede. "Mein Büro und die Hamas werden gemeinsame Ausschüsse schaffen, um das Programm und die Richtlinien der Regierung zu entwerfen und bekannt zu machen." Abbas unterstrich, dass die Vereinbarungen mit Israel auch für die neue Regierung bindend seien. Er appellierte an die neue Führung, den Weg des gewaltlosen Widerstands einzuschlagen. Die internationale Staatengemeinschaft rief Abbas auf, die Rückkehr der Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu erleichtern.
Israel als Konfliktpunkt
An Israel gewandt, sagte Abbas, die Wahl der radikal-islamischen Hamas dürfe nicht als Vorwand dafür dienen, das Leben der Palästinenser weiter zu erschweren. Das palästinensische Volk dürfe nicht für seine demokratische Wahl bestraft werden. "Ich will ihnen versichern, dass der Weg zu Sicherheit über einen gerechten Frieden geht und dass es keine militärische Lösung des Konfliktes gibt", ermahte er die Israelis. "Wir sind gleichgestellte Partner in dieser Sache und wir müssen gemeinsam die Gewalt beenden." Die Fortsetzung der Besatzung und der Siedlungspolitik führe nur zur mehr Gewalt und Hass. Direkte Verhandlungen mit Israel lehnte der Hamas-Abgeordnete Muschir al Masri umgehend ab. Verhandlungen mit Israel stünden "nicht auf unserem Programm", sagte Al Masri.
Angesichts der ablehnenden Haltung der Hamas blieb offen, wer auf palästinensischer Seite mit Israel verhandeln soll. Auch Israel bleibt hart: Die Autonomiebehörde habe "sich selbst zu unserem Feind" bestimmt, sagte eine ranghoher israelischer Vertreter in Jerusalem. Die israelische Regierung will am Sonntag (19.2.) über Sanktionen gegen die Palästinenser entscheiden. Es wird erwartet, dass die Geldüberweisungen an die Autonomiebehörde nun gestoppt werden und weitere Strafmaßnahmen verhängt werden.
Rechte der Frau achten
Mit Blick auf die Regierungsübernahme durch die Islamisten unterstrich Abbas die gleichberechtigte Stellung der Frau. Die palästinensische Frau habe alle Rechte verdient, weil sie im Kampf gegen die Besatzung an der Seite des Mannes stehe, sagte er. Viele Palästinenser fürchten, dass die Hamas nach ihrer Übernahme der Regierungsgewalt die Frauen ins Privatleben zurückdrängen und diskriminierende Gesetz verabschieden könnte.
Personalien
Der Hamas-Abgeordnete Abdel Asis Duaik wurde mit 70 von 132 Stimmen zum Parlamentspräsidenten gewählt. Er wolle die Einheit des palästinensischen Volkes bewahren, sagte der 58-jährige Geografieprofessor aus Hebron. Führende Vertreter der Islamisten haben außerdem Ismail Hanija als ihren Spitzenkandidaten für die Wahlen für den Posten des Ministerpräsidenten benannt. Der 43-jährige war einer derer, die der konstituierenden Sitzung des Parlaments per Video zugeschaltet waren. Die Hamas hat nun maximal fünf Wochen Zeit, eine Regierung zu bilden.
Bei der Basis der Hamas genießt Hanija hohes Ansehen. Er hatte entscheidenden Anteil am Zustandekommen eines faktischen Waffenstillstands der bewaffneten Palästinensergruppen im Jahr 2005. Auch deshalb gilt Hanija vielen Beobachtern als lösungsorientierter Pragmatiker. Hanija wurde im Flüchtlingslager Schatti in Gaza geboren, wo er heute noch in einem bescheidenen Haus lebt. Er studierte Pädagogik an der Islamischen Universität Gaza.