Zadek - nicht nur für Theaterfanatiker
27. Juli 2006DW-WORLD.DE: Für die Dokumentation "Peter Zadek inszeniert Peer Gynt" verfolgen Sie die Arbeit eines anderen Regisseurs mir der Kamera. Was hat Sie daran gereizt?
Alexander Nanau: Der Reiz entsteht vor so einer Grundangst, wenn man sich entscheidet, Regisseur zu werden: Wie übertrage ich diesen künstlichen Prozess von Phantasie in die Realität und mache daraus ein Eigenleben? Das ist sozusagen die Kunst des Regieführens, die Übertragung aus dem Kopf, auf die Bühne oder in die Realität, die sich sowohl beim Film als auch beim Theater nicht großartig unterscheidet. Das war mein Antrieb und die Suche, die ich da gemacht habe.
Heißt das, dass Sie bei Ihrer Arbeit auch von Peter Zadek gelernt haben?
Aber ganz viel! Was ich an seinem System so beobachtet habe, konnte ich eigentlich erst richtig raus sehen, als ich minuziös Stunden und Stunden das Material durchging. Da konnte ich alles sehen - jede Reaktion von Zadek, jede Reaktion vom Schauspieler auf Zadek und wie er seine Verbindung zum Schauspieler schafft, wie er diese Connection aufbaut, über die er arbeitet.
Bedeutet das auch, sich unterordnen zu müssen, wenn man über einen anderen Regisseur einen Film macht?
Ich würde es nicht Unterordnen nennen. Ich würde sagen, es hat einfach nur mit dem Interesse für den Weg eines anderen zu tun. Keine zwei Regisseure können auf die gleiche Art und Weise Regie führen und das ist einfach ein absolutes Interesse für jemanden, der dieses Fach so sehr beherrscht. Man kann ihn ruhig ein Künstler nennen. Das ist genauso, wenn ich so was über einen Maler gemacht hätte. Dann hätte ich genauso versucht, herauszufinden, wie dieser Maler seine Phantasie auf die Leinwand überträgt und was sein Weg dabei ist, wie er so ein Bild aufbaut und welche Skizzen er sich macht, bevor er so ein Bild aufbaut.
Theaterproben sind normalerweise nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Peter Zadek lässt sogar grundsätzlich keine Gäste bei seinen Proben zu. Warum hat er bei Ihnen eine Ausnahme gemacht?
Das kam schon durch unsere Verbindungen, die wir über zweieinhalb Jahren davor aufgebaut haben und es war ein gewisses Vertrauen da. Ich denke, aus diesem Vertrauen heraus hat er es riskiert. Es war für ihn natürlich ein Risiko: Ich war 24 Jahre alt, als ich das gemacht habe und war gerade in meinem ersten Jahr an der Filmhochschule. Und er ist das Risiko eingegangen, das machen zu lassen. Aber der Prozess dahin war natürlich ganz schwierig, weil der intime Raum, der bei den Proben herrschte, kann durch so was komplett zerstört werden und das zerstört dann die komplette Aufführung. Und wenn da auch nur ein Schauspieler Bedenken gehabt hätte, hätten wir es nicht gemacht. Wir haben das gesamte Ensemble gefragt und hatten Glück, dass niemand wirklich dagegen war.
Glauben Sie, dass Ihre Anwesenheit und das Drehen die Proben beeinflusst haben?
Ja, es war ein seltsamer Prozess und auch Glück, weil wir wirklich innerhalb eines halben Tages so Teil dieser Familie da wurden, dass wir nicht mehr wahrgenommen wurden. Wir waren da - die wussten, jeden Morgen, da sind diese Leute da - aber wir wurden schon durch einen anfänglichen spielerischen Umgang mit den Schauspielern und mit der Kamera und ein bisschen Rumalbern, dann akzeptiert und konnten innerhalb eines halben Tages anfangen, richtig zu arbeiten.
Wie hat Ihre Arbeit genau ausgesehen? Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben auf der Bühne oder der Probebühne, wo wir gerade gedreht haben, zwei Stunden vor Probebeginn unsere Technik aufgebaut. Das heißt, die Mikros verlegt, die Kabel verlegt, so das niemand darüber stolpert, und dann waren wir immer mit zwei Kameras dabei: Mein Kameramann hat alles in Richtung Bühne aufgenommen und verfolgt, was bei den Schauspielern los ist. Ich hatte eine Kamera und habe den ganzen Prozess in Richtung Zadek aufgenommen.
Und haben Sie das täglich gemacht, während der ganzen Probezeit?
Nein, der Film scheint über einen langen Zeitraum zu gehen, aber das war ganz gering, weil ich nicht länger aus der Filmhochschule raus durfte. Das waren nur vier oder fünf Drehtage auf den Proben und zwei Drehtage bei Aufführungen.
Was waren für Sie die spannendsten Momente bei der Arbeit?
Es gibt eine zentrale Szene im Film, in der überhaupt nichts klappt. Das ist die Anitra-Szene in dem Stück. Da bricht die ganze Probe zusammen und Zadek weiß nicht mehr weiter. Und man kann richtig beobachten, wie ein Regisseur da sitzt, und alles wartet auf Einfälle. Dann bricht diese Probe wie durch ein Wunder komplett zusammen und keiner will nach Hause gehen, obwohl alle gehen wollten. Dann fangen sie noch mal an, das zu machen, und die Szene klappt auf einmal wunderbar. Das war auch beim Drehen das Spannendste; man konnte richtig im Raum spüren, was da passiert und man sieht das auch im Film. Ich denke, das ist die Szene, in der man so das Regiegenie von Zadek sieht.
Wie viel Drehmaterial hatten Sie schließlich am Ende für die 86 Minuten Dokumentation?
Die Zeit von beiden Kameras war etwa 80 Stunden.
Zadek ist ja nun selbst auch Cutter und hat als Fernsehregisseur gearbeitet - hat er auf Ihre Arbeit Einfluss genommen?
Nein, gar nicht. Ich habe den Film dann in Berlin geschnitten und er war die ganze Zeit ganz woanders. Er hat den Film erst eine Woche vor Feinschnitt gesehen. Das heißt, er hat eigentlich das Endresultat gesehen und war begeistert. Er sagte, dass das wirklich der erste Film ist, der so genau und realistisch, über das, was er da macht, berichtet.
Sie haben wahrscheinlich daneben gesessen, als er den Film das erste Mal gesehen hat?
Genau, ich bin dann nach Edinburgh gefahren. Da war gerade die Peer-Gynt-Aufführung gerade auf dem Festival und habe dann auf dem Fringe-Festival den Rohschnitt vorgeführt. Und da waren ein paar Gäste da, das Ensemble, Zadek und ganz alte Weggefährten von ihm aus England - von seinen ersten Agenten bis zu seiner ersten Freundin, die am Ende heulend aus dem Film raus ging.
Was war das für Sie für ein Gefühl, da mit diesen Leuten den Film anzugucken?
Das war insofern sehr schön, weil ich das nicht erwartet hatte. Nach sechs Monaten im Schneideraum hatte ich den Film so stark reduziert und jede Erklärung rausgenommen, jedes Interview rausgenommen und mich lediglich auf die Situation verlassen, dass man als Zuschauer kapiert, was da wirklich vor sich geht. Aber ob das funktioniert und ob das irgendjemand außer mir kapiert, wusste ich überhaupt nicht. Und das war die erste Reaktion, wo ich dann wusste, es funktioniert und es ist gut.
Hat der Erfolg von "Rythm is it" Sie bei Ihrer Entscheidung, Zadek mit der Kamera zu verfolgen, beeinflusst?
Da war mein Film längst fertig, als der Film raus kam. Ich fand ihn aber toll. Das ist ein Film, der hinter Künste guckt, die nicht mehr die breite Masse erreichen. Dass es aber funktioniert und die Leute doch interessiert, hat mich natürlich sehr gefreut und hat mir Mut gemacht, zu versuchen, auch diesen Film an die Öffentlichkeit zu bringen und dafür auch Leute zu interessieren, die nicht nur Theaterfanatiker sind. Ganz viele Leute, die keine Theaterfanatiker sind, die einmal pro Jahr ins Theater gehen, gehen aus dem Film raus und sagen, dass sie was gelernt haben und dass er sehr unterhaltsam ist und einem was gibt.
Alexander Nanau wurde 1979 in Bukarest geboren. Seit 1990 lebt er in Deutschland. Nanau hat für Peter Zadek bei verschiedenen Inszenierungen als Regieassistent gearbeitet. Seit 2003 studiert er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
Statt über einen Filmverleih, wie sonst üblich, verleiht Alexander Nanau den Zadek-Film selbst. "Peter Zadek inszeniert Peer Gynt" wird zunächst in vier deutschen Großstädten und anschließend in kleineren Städten gezeigt.