Honduras - neue Präsidentin Xiomara Castro
1. Dezember 2021Wahrscheinlich ist das, was auf Xiomara Castro als Präsidentin des mittelamerikanischen Landes in den nächsten vier Jahren zukommt, mit dem Begriff Herkulesaufgabe nur unzureichend beschrieben. Die honduranischen Medien haben jedenfalls in den letzten Wochen mitgezählt: Gleich 18 Reformen will Castro in ihrer Amtszeit anpacken, liebevoll verpackt in 15 Botschaften der Hoffnung wie "Eine neue Geschichte", "Nie wieder Hunger" oder "Weg mit der Korruption".
Über allem aber soll das stehen, was die 62-Jährige bei ihrer Antrittsrede nach der Vereidigung vor 29.000 jubelnden Menschen in der Hauptstadt Tegucigalpa versprach: das von Kriminalität und Armut geplagte Land zu einem "sozialistischen und demokratischen Staat" zu reformieren.
Hoher Besuch bei der Vereidigung aus den USA
Zumindest letzteres dürfte die Frau gerne gehört haben, die der heimliche Stargast am Donnerstag war: die US-amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris. Sie begrüßte, dass Castro der "Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit" Priorität einräumen wolle. Wobei alle in Honduras und den USA genau wissen, was die Botschaft hinter diesem offiziellen Statement ist: Xiomara Castro soll ihren Landsleuten eine Perspektive geben, damit sich diese nicht weiter zu Tausenden illegal auf den Weg in die USA machen.
Kamala Harris, die in ihrer Heimat wegen der Migrationspolitik massiv in der Kritik steht, braucht unbedingt eine zuverlässige Partnerin in Mittelamerika, also Castro. Und die wiederum hat verstanden, dass ein guter Draht ins Weiße Haus für ihr Reformprogramm von großem Nutzen sein kann. Die Kritik in ihrer Antrittsrede an ihrem Vorgänger Hernández, von dem sie ein bankrottes Land geerbt habe, war gleichzeitig ein Wink mit dem Zaunpfahl für ihren Gast aus dem Norden: Bei rund zehn Milliarden Euro Staatsschulden benötigt Honduras dringend internationale Unterstützung.
Castro hat die Politik ihres Landes aufgemischt
Doch wer ist Xiomara Castro überhaupt? Der Sieg der Linkspolitikerin Castro bei den Präsidentschaftswahlen war in vielerlei Hinsicht schon einmal erstaunlich. Sie ist nicht nur die erste Frau an der Spitze des kleinen zentralamerikanischen Landes, sondern hat es auch geschafft, das bisherige Zweiparteiensystem aufzubrechen. Die beiden Großparteien Partido Nacional (PN) und Partido Liberal (PL) bestimmten in den vergangenen 40 Jahren die Geschicke des Landes.
Castros eigene Partei, die linksgerichtete Libertad y Refundación (Libre), wurde erst 2011 gegründet, auch als Reaktion auf den Militärputsch von 2009, bei dem Präsident Manuel Zelaya gestürzt wurde. Und hier ist wiederum bemerkenswert, dass Castro die Ehefrau dieses gestürzten Präsidenten und somit eine ehemalige First Lady ist.
Gegner malen Gespenst des Kommunismus an die Wand
"Mit ihr knüpft das Land wieder an die Zeit der Regierung ihres Ehemannes an. Sie stellt sich auch explizit in diese Tradition und ist damit eine späte Wiederaufnahme einer linksorientierten Entwicklung in Honduras", meint Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin mit Forschungsschwerpunkt Lateinamerika.
Manuel Zelaya wurde 2009 von der konservativen Elite und dem Militär aus dem Amt geputscht, weil er sich in seiner Regierungszeit (2006-2009) nach ihrer Meinung zu sehr nach links entwickelt und den Ideen von Venezuelas damaligem Präsidenten Hugo Chávez angenähert hatte. In der Folge kam es zu zivilgesellschaftlichen Protesten und gewaltsamen Zusammenstößen mit Polizei und Militär, die auch Todesopfer forderten.
Auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahl zeichneten rechte Kräfte des Landes das Bild einer drohenden Wende zum Kommunismus im Falle eines Sieges von Xiomara Castro. Dies hält Maihold aber eher für unwahrscheinlich: "Castro hat im Gegensatz zur kurzen Regierungszeit ihres Mannes mit ihrem designierten Vizepräsidenten Salvador Nasralla ein Gegengewicht zur Seite, das wahrscheinlich eine weitere Polarisierung im Lande und den Aufbau der alten Fronten, die es unter Zelaya gab, verhindert."
Schwere Hypothek: Expräsident Hernández
Ein nicht unwichtiger Grund für den überzeugenden Wahlsieg von Castro war die große Unzufriedenheit mit dem bisherigen Präsidenten Juan Orlando Hernández. Schon seine Wiederwahl 2017 war höchst umstritten und von Vorwürfen von Wahlfälschung begleitet. Der Bruder von Hernández sitzt zudem wegen Drogenhandels in den USA im Gefängnis.
Auch gegen den aus dem Amt scheidenden Hernández wird wegen Beteiligung an Drogengeschäften in den USA ermittelt und aller Voraussicht nach auch Anklage erhoben. Würde Castro ihren Vorgänger an die USA ausliefern? Davon ist der SWP-Experte Maihold überzeugt: "Es wäre Teil der Abgrenzung vom System Hernández, dem Präsidenten und seinen Korruptionsskandalen. Das würde ihr im eigenen Lager große Unterstützung einbringen und darüber hinaus wohl auch in der politischen Mitte."
Außerdem werde Castro wahrscheinlich Lehren aus der politischen Vergangenheit Zelayas ziehen und sich um einen Ausgleich mit den USA bemühen. Sie werde kaum die Zukunft ihres Landes im Bund mit den alten Alliierten ihres Mannes, Venezuela, Kuba und Nicaragua suchen, vermutet Maihold.
Herausforderungen Armut und Perspektivlosigkeit
Castro steht in ihrer nun beginnenden Präsidentschaft vor immensen innenpolitischen Herausforderungen. Unter anderem, so Maihold, die Besetzung wichtiger Posten in der Justiz, das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung, die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen oder die Rechtsstaatlichkeit im Allgemeinen. Zudem will sie den Hoffnungen der Honduraner begegnen, die endlich einen Ausweg aus der Armut und Perspektivlosigkeit suchen.
Honduras ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Etwa die Hälfte der fast zehn Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die Gewalt der Jugendbanden ("Maras"), die Korruption und die allgemeine Rechtsunsicherheit haben in den vergangenen Jahren zu einer massiven Auswanderung in Richtung der USA geführt.
Wahrscheinlich werde Castro eine "linke Symbolpolitik" betreiben, bei der in Folge ein Aufflammen der Polarisierung zu befürchten sei, so Maihold. Ob sie es schaffen könne, einen "unabhängigen Kurs zu fahren, der den Herausforderungen eines kleinen Landes im Hinterhof der USA gerecht wird", sei allerdings noch ungewiss.
Der Bericht wurde erstmals am 1.Dezember 2021 veröffentlicht und erscheint nun in einer aktualisierten Fassung.