Wurm: "Mit menschlichen Skulpturen zu völlig neuen Welten"
8. Mai 2014Er hat klassische Skulpturen geformt, macht aber auch lebende Menschen zu Objekten seiner Kunst. So sind bis Mitte Juli Besucher des Frankfurter Museums Städel aufgefordert, für 60 Sekunden bestimmte Aktionen durchzuführen. Zu Beginn der Ausstellung kam der Künstler nach Frankfurt und sprach über Kunst und Skulpturen, über Objekte und Alltagsgegenstände und deren Bedeutung für seine Kunst.
Deutsche Welle: Im Kuratoren-Deutsch heißt es immer: Der Künstler lotet Räume neu aus, setzt Skulpturen in andere Beziehungen. Das wird auch oft gesagt, wenn Ihre Werke beschrieben werden. Sind Sie damit einverstanden?
Erwin Wurm: Ja, grundsätzlich schon. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dem Begriff des Skulpturalen im Verhältnis zu unserer Wirklichkeit.
Wann haben Sie sich dazu entschieden, nicht nur klassische Skulpturen zu schaffen, sondern auch mit dem Material zu spielen, über Zusammenhänge zwischen Objekten und Menschen nachzudenken?
Ich wollte ursprünglich Malerei studieren. Man hat mich, was damals üblich war, in die Bildhauerei gesteckt. Da war die Verzweiflung und der Schrecken groß. Dann habe ich versucht, daraus Kapital zu schlagen und zu sagen, wenn mir das schon passiert ist, dann versuche ich daraus das Beste zu machen. Ich habe schließlich begonnen, mich mit dem Begriff des Skulpturalen auseinanderzusetzen und zu fragen: Was ist das überhaupt? Was macht die Skulptur? Was hat das für eine Bedeutung für mich? Was hat das mit mir und meiner Welt zu tun? Diese Untersuchungen haben damals begonnen und dauern zum Teil bis heute an. So bin ich zu den verschiedenen Ebenen gekommen. Und hier (im Städel, Anmerk. der Red.) sieht man eine davon.
Wenn man also all diese Fragen stellt nach Skulpturen, zur Bildhauerei - auf welche Antworten sind Sie gekommen?
Es ist ja oft so, dass Fragen wiederum Fragen als Antworten haben. Es heißt ja nicht, dass ein Künstler, der Fragen stellt, tatsächlich Antworten erwartet oder durch die Arbeiten antworten liefert, sondern wiederum Fragen stellt. Es ist der Versuch, Welt zu klären. Man versucht ja, Welt zu bearbeiten, zu erklären und gleichzeitig neu zu finden und zu erfinden - das ist der künstlerische Prozess.
Es gibt Dinge, die bei Ihnen oft auftauchen: Autos zum Beispiel, Häuser, Schiffe, oft aufgeblasen, gebogen, auch Kleidungsstücke. Was sind das für Dinge, die Sie herausfordern und Sie reizen, sich damit auseinanderzusetzen?
Das ist unser Alltag, unsere Welt - womit wir uns identifizieren. Autos sind das Paradebeispiel, sie sind ein Identifikationsobjekt. Damit kann man seine Coolness unter Beweis stellen oder sein finanzielles Vermögen oder seine Liebe zu einer bestimmten Zugehörigkeit oder zu einer bestimmten Marke. Dann ist es natürlich ein Fortbewegungsmittel, es wird geliebt und gehasst zugleich. Es hat unser Leben seinerseits so wahnsinnig erleichtert und auf der anderen Seite auch wahnsinnig verkompliziert. Es ist all das: diese Vielfältigkeit, diese Multiperspektive, die mich interessiert, und darum arbeite ich mich immer wieder am Auto ab.
Auch an Kleidungsstücken. Wir identifizieren uns über Kleidungsstücke - nicht umsonst gab es das berühmte Stück "Kleider machen Leute" (Novelle von Gottfried Keller, Anmerk. der Redak.), das zählt auch heute noch. Gleichzeitig bergen Kleidungsstücke skulpturale Qualitäten in sich. Wir hüllen uns ein, sie hüllen Volumen ein und schaffen neues Volumen. Das ist interessant und wichtig für mich als Ausgangspunkt einer künstlerischen Idee.
Im Städel sind jetzt Ihre "One Minute Sculptures" zu sehen. Seit wann setzen Sie sich damit auseinander. Welche Grundidee steckt dahinter?
Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren damit. Dahinter steckt die Idee, dass man einen Gegenstand nimmt, einen ganz banalen Alltagsgegenstand, und den in Verbindung bringt mit einem Besucher, einer Besucherin. Daraus ergibt sich aufgrund meiner Anweisungen eine neue Konstellation, die in Richtung Psychologie, Philosophie und Soziologie weist, wo sich durch dieses Zusammentreffen völlig neue Welten öffnen. Das ist spannend für mich.
Wie reagieren die Menschen - auch in den verschiedenen Regionen der Welt? Gibt es bei diesem Aufeinanderprallen der Kulturen unterschiedliche Reaktionen?
Sehr unterschiedliche! Es sind ja Arbeiten, die einen performativen Charakter haben und bei denen das Publikum eingeladen wird mitzumachen. Das wird zum Beispiel in Ländern wie den USA, oder auch in Japan, sehr gern und sehr schnell angenommen. Da sind die Leute sofort dabei. In Österreich ist das sehr schwierig, auch in der Schweiz sind die Menschen eher zögerlich. Deutschland ist da schon viel besser. Da gibt es wirklich nationale Unterschiede, das ist skurril. Es gibt sozusagen einen nationalen Habitus. Der Zustand eines Volkes, der es ermöglicht, offener zu sein oder geschlossener zu sein oder bereitwillig für solche Dinge oder eben nicht. Das sind interessante Phänomene.
Haben sie dafür Erklärungen?
Das scheinen kulturelle Muster zu sein. In Amerika zum Beispiel sind die Menschen mit den Medien stark verbunden und damit aufgewachsen. Sie sind sofort bereit, mehr aus sich herauszugehen vor der Kamera oder auch in der Kunst. Und bei uns eben nicht. Das mag mit unserer Geschichte zusammenhängen, mit der Tradition, mit allem möglichen anderen Dingen. Tatsache ist, dass es so ist. Das bräuchte eigene Untersuchungen.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.
Die "One Minutes Sculptures" im Frankfurter Städel sind noch bis zum 13. Juli zu sehen.