Wulff für Toleranz und Integration
3. Oktober 2010"Wir sind ein Volk! Dieser Ruf der Einheit muss heute eine Einladung sein an alle, die hier leben", sagte Bundespräsident Christian Wulff beim zentralen Festakt am Sonntag (03.10.2010) in der Hansestadt. "Zementierung von Vorurteilen und Ausgrenzungen dürfen wir nicht zulassen. Das ist in unserem ureigenen nationalen Interesse.“ Ohne den ehemaligen Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin namentlich zu erwähnen, forderte Wulff die Bundesbürger auf: "Lassen wir uns nicht in eine falsche Konfrontation treiben."
"Deutschland muss Verschiedenheit aushalten"
Zugehörigkeit dürfe nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt werden. Deutschland müsse Verschiedenheit aushalten und sie auch wollen. Es habe eine christlich-jüdische Geschichte, aber auch der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, betonte der Bundespräsident. Zugleich bekannte sich Wulff mit Nachdruck zu Europa. "Es gibt viel Kritik an Europa. Ich werde nicht aufhören, mich für Europa einzusetzen."
Vor führenden Repräsentanten aus Bundes- und Landespolitik sowie ausländischen Staatsgästen warnte Wulff vor einem Auseinanderdriften der Lebenswelten in Deutschland etwa zwischen Spitzenverdienern und denen, die vom Existenzminimum lebten. Die Bürger rief der Bundespräsident dazu auf, die Aufgaben der Zukunft gemeinsam mit anderen anzupacken. "Die erfolgreichste Art, den Zusammenhalt zu stärken, ist, anderen zu vertrauen und ihnen etwas zuzutrauen."
Merkel: "Weichenstellung für die Zukunft"
Wulff wies auch auf Mängel im Bereich Integration hin. Etwa bei Sprachkursen für die ganze Familie, Unterrichtsangeboten in den Muttersprachen oder beim islamischen Religionsunterricht von in Deutschland ausgebildeten Lehrern gebe es noch Nachholbedarf. Kein Kind solle ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen und die Schule ohne Abschluss verlassen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete Wulffs erste große Rede seit seinem Amtsantritt als Weichenstellung für die Zukunft. Der Bundespräsident habe verdeutlicht, dass die deutsche Erfolgsgeschichte nun in einem vereinten Europa fortgesetzt werden müsse. "Das ist ein guter Auftrag für uns, die heute Politik machen", so die CDU-Vorsitzende. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte: "Das klare Bekenntnis des Bundespräsidenten zu Europa war ein wichtiges Plädoyer gegen neue Tendenzen zu Renationalisierung."
Vertreter der Opposition äußerten sich zurückhaltender. Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, sagte zur Rede des Staatsoberhaupts: "Ecken und Kanten waren nicht drin. Er ist einer, der ruhige, klare Worte spricht." Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, sagte, Wulff habe "im Kern eine gute Rede" gehalten. "In erster Linie müssen wir unsere eigenen Integrationsangebote verbessern. Das hat der Bundespräsident gesagt und das ist okay so", erklärte Wulff im Südwestrundfunk.
Lob von Muslimen
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland lobte Wulff für seine Worte. "Durch diese Rede wird ein Ruck durch die muslimische Gesellschaft gehen", sagte der Vorsitzende des Verbands, Aiman Mazyek, der "Bild"-Zeitung (Montagsausgabe). Wulffs Ansprache beim Festakt in Bremen sei ein Zeichen gewesen, dass die Muslime keine Bürger zweiter Klasse seien.
Bremen richtete in diesem Jahr die Jubiläumsfeier aus, weil es den Vorsitz im Bundesrat inne hat. Zehntausende Menschen vergnügten sich auf einem Bürgerfest in der Hansestadt, aber auch auf einer Festmeile am Brandenburger Tor in Berlin. Am Abend erinnerte der Bundestag mit einer eigenen Veranstaltung an die große Einheitsfeier vor 20 Jahren. Die von Einheitsgegnern angekündigten Krawalle blieben aus.
Begonnen hatten die zentralen Feierlichkeiten mit einem ökumenischen Gottesdienst im Bremer Sankt Petri Dom. Der katholische Bischof Franz-Josef Bode wies dabei auf die Errungenschaften der friedlichen Wende hin. Die Freude über ein geeintes Deutschland solle man als Herausforderung für Zukünftiges begreifen. Für die Bremische Evangelische Kirche kritisierte Pastor Renke Brahms eine wachsende soziale Spaltung der Gesellschaft. Die Mauer, die Arm und Reich heute trenne, verlaufe nicht mehr nur zwischen Ost und West.
Obama und Medwedew gratulierten
Gratulationen zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit kamen auch aus dem Ausland. US-Präsident Barack Obama sagte: "Wir ehren den Mut und die Überzeugung der Deutschen, die die Berliner Mauer zum Einsturz bachten und Jahrzehnte einer schmerzhaften und künstlichen Trennung beendeten." Der russische Präsident Dmitri Medwedew betonte in seinem Glückwunschschreiben die Schlüsselrolle Moskaus für die Vereinigung Deutschlands und Europas. Michail Gorbatschow, der als Kremlchef maßgeblich den Weg für die deutsche Einheit bereitet hatte, bezeichnete es bei einer Feier in der Frankfurter Paulskirche als wichtig, nun auch in einer "transkontinentalen Gemeinschaft" Probleme wie Armut, Umwelt- und Finanzkrisen oder Sicherheitsfragen gemeinsam zu lösen.
Autor: Marko Langer (dpa, epd, rtr, dapd, afp)
Redaktion: Stephan Stickelmann