"WTO-Beitritt von Russland, Kasachstan und Belarus ist im Interesse der EU"
2. Juli 2009Deutsche Welle: Frau Schmitz, Sie arbeiten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Kommt die WTO-Entscheidung der drei Staaten Russland, Kasachstan und Belarus für Sie überraschend?
Andrea Schmitz: Russland ist zwei Verpflichtungen eingegangen: die laufenden Verhandlungen mit der WTO und zum anderen die schon einige Jahre zurückliegende Absprache mit Kasachstan und Belarus, eine gemeinsame Zollunion zu gründen. Beides war seit längerem auf der Agenda. Insofern kommt jetzt die Ankündigung, die Verhandlungen über den WTO-Beitritt abzubrechen, nicht vollkommen überraschend.
Besteht ein Unterschied darin, ob die Länder gemeinsam oder getrennt der WTO beitreten?
Es macht offensichtlich einen Unterschied, ob jedes Land individuell verhandelt und dann irgendwann der WTO beitritt, oder ob man das gemeinsam macht. Es gibt hier im Prinzip zwei miteinander im Widerstreit stehende politische Absichten, nämlich individuell als Land auf den WTO-Beitritt zu setzen, sozusagen Kurs zu nehmen auf eine echte Handelsliberalisierung, oder eben stärker auf den Binnenmarkt zu setzen, wie das mit der Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Belarus geplant war. Also, beides geht nicht so ohne weiteres nach Meinung der beteiligten Staaten Hand in Hand. Natürlich signalisiert die Entscheidung, wie sie jetzt angekündigt wurde, die Zollunion zu forcieren und dann gemeinsam in die WTO-Verhandlungen zu gehen, eine bestimmte wirtschaftspolitische Entscheidung, nämlich hin zu einem stärker protektionistischen Kurs, hin zu einer Stärkung des regionalen Handels.
Welche Vorteile erhofft sich Kasachstan, als Mitglied der Zollunion der WTO beizutreten?
Ein WTO-Beitritt bietet für jedes Land, nicht nur für Kasachstan, auch für Russland Vorteile durch den Abbau von Zöllen und anderen nichttariflichen Handelsbeschränkungen. Daher war Russland bis vor kurzem gewillt, die WTO-Verhandlungen weiterzuführen. Durch den Beitritt zur WTO gibt es bestimmte Handelserleichterungen. Allerdings muss man dazu sagen, dass auch das Interesse der WTO-Mitgliedstaaten, vor allem der EU, an einem Beitritt Russlands, Kasachstans und auch von Belarus nicht unerheblich ist. Es ist für die EU, oder generell für WTO-Mitgliedstaaten vorteilhafter, wenn sie Waren exportieren können, ohne mit hohen Sondertarifen belangt zu werden.
Ist die EU von der Entscheidung der drei Staaten enttäuscht?
Natürlich. Man verspricht sich in der EU durch den WTO-Beitritt Russland die Aufhebung von Importzöllen und anderen Handelsbeschränkungen. Das gleiche gilt für Belarus und Kasachstan. Insofern ist es auch seitens der WTO-Staaten immer von großem Interesse gewesen, dass diese Länder der WTO beitreten. Bisher war es so, dass es in allen beteiligten Staaten auch immer klare Signale gab: Ja, wir wollen das. Gleichzeitig gab es aber in allen drei beteiligten Ländern gleichfalls die klare Aussage, eine gemeinsame Zollunion gründen zu wollen. In der jetzigen Situation, auch vor dem Hintergrund der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise hat ganz offensichtlich diese Zollunion Priorität. Ich glaube, dass das Reaktionen auf die jetzige Krisensituation sind, die wie auch in anderen Ländern, einen gewissen Trend zu protektionistischem Verhalten gefördert haben. Ich glaube nicht, dass es sich hier um grundsätzliche Entscheidungen handelt, nach dem Motto: Die Zollunion ist für uns besser als die WTO. So pauschal sicher nicht.
Russland und Kasachstan hängen stark vom Rohstoffexport ab, die belarussische Wirtschaft basiert auf der Weiterverarbeitung. Erschwert dies einen gemeinsamen WTO-Beitritt?
Was seitens Russlands die Beitrittsgeschichte erschwert, ist der Wunsch, bestimmte Partikularinteressen innerhalb der WTO zu wahren. In der WTO wird es aber keine Sonderregelungen geben. Das ist einer der Gründe, warum im Moment der WTO-Beitritt für Russland und Kasachstan nicht so erstrebenswert erscheint. Beide Staaten exportieren sehr viel, vor allem Energie. Eigentlich weiß man in beiden Staaten, dass es sinnvoll wäre, die Wirtschaft stärker zu diversifizieren. Aber so lange die Hauptexportgüter Rohstoffe sind, ist aus Sicht dieser Staaten der WTO-Beitritt nicht so dringend erforderlich. Russland und Kasachstan setzen in hohem Maße darauf, dass der Ölpreis wieder steigt.
Autor: Michail Bushuev
Redaktion: Markian Ostaptschuk