World Dwarf Games: Große Bühne für Kleinwüchsige
5. August 2023"Es ist wie ein Nach-Hause-Kommen" schwärmt Arunachalam Nalini aus Indien und meint damit nicht unbedingt das regnerische und kühle Sommerwetter in Köln, sondern die Gemeinschaft der Sportlerinnen und Sportler. Gut 500 Menschen sind zu den "World Dwarf Games" (WDG) angereist. Während für Kleinwüchsige bei den Paralympics nur Leichtathletik, Schwimmen und Gewichtheben im Programm sind, wird hier mehr geboten.
Neun Tage lang messen sie sich in zehn verschiedenen Disziplinen. Die Stimmung ist locker, auf dem Gang der Sporthalle lachen Nalini und zwei Kanadierinnen gemeinsam und schießen Selfies. "Hier kann ich so sein, wie ich bin", erzählt Nalini der DW. Es sei eine willkommene Abwechslung, weil sie im Beruf oder anderen Bereichen ihres Lebens häufig den Eindruck hat, mehr leisten zu müssen als andere, um mitzuhalten.
"Menschen ohne Einschränkungen haben oft kein Bewusstsein dafür, dass für uns Kleinigkeiten, wie zum Beispiel eine Treppe, ein enormes Hindernis darstellen. Ich würde mir wünschen, das ändert sich", sagt Nalini.
Häufig Einzelkämpfer im Sport
Vor vielen Jahren hatte die 55-Jährige mit Sport angefangen, um sich neben ihrem Job als Finanzwirtin fit zu halten. Erst dann erfuhr sie vom Parasport. Als Einzelkämpferin begann sie regelmäßig zu trainieren. Inzwischen hat sie 42 Medaillen bei regionalen und internationalen Turnieren gesammelt. In Köln gewann sie Bronze in ihrer Lieblingsdisziplin Badminton. Dort gehört ihr Teamkollege Mark Dharmai zu den internationalen Bekanntheiten.
Aufgewachsen in einer sportbegeisterten Familie, spielte er zunächst Fußball und Hockey. Als wegen einer schwerwiegenden Fehlbildung seiner Beine der Größenunterschied zu den anderen Spielern zu groß wurde, begann er mit Badminton und gehört dort zur Weltspitze. "Im Sport lernt man Disziplin, Integrität und dass man sich um andere kümmern muss", erzählt er. Das möchte er als Mentor an die Jüngeren weitergeben. Der Sport sei ein guter Weg, um für mehr Anerkennung einzutreten. "Die Gesellschaft sollte uns so nehmen wie wir sind und uns noch besser akzeptieren. Wenn wir eine Medaille für unser Land gewinnen, ist das oft ein Augenöffner für viele, um zu erkennen, wozu wir in der Lage sind."
Während neben der Badmintonhalle auf der regennassen Tartanbahn die Laufwettbewerbe der Leichtathletik weitergehen, klatschen Luisa Beermann, Cora Gerdts und Frida Juny Beifall bei einer Siegerehrung. Die drei elfjährigen Mädchen aus Deutschland gehören zu den jüngsten Teilnehmerinnen der World Dwarf Games. Auch ihre Erfahrung ist, dass der Einstieg in den Sport für Kleinwüchsige nicht leicht ist. "Ich mache Leichtathletik bisher hobbymäßig für mich, ohne Verein oder Trainer", berichtet Beermann. "Es war sehr schwierig etwas zu finden“, erzählt Gerdts, "aber dann habe ich das Schwimmen entdeckt. Dort trainiere ich seit drei Jahren im Verein."
Sie fühle sich gut aufgenommen, habe Freunde gefunden und sich daran gewöhnt, dass die anderen im Becken meist schneller sind. Für Frida Juny aus Bayern, die ebenfalls schwimmt, ist das Ansporn: "Ich habe mir die Größeren immer als Ziel genommen und bin dadurch schneller geworden." Alle drei genießen die WDG in Köln. "Aufregend" sei es unter so vielen Menschen zu sein, die ebenfalls kleinwüchsig sind und noch dazu aus so vielen verschiedenen Nationen.
Kosten bleiben eine Herausforderung
Ob sie auch 2027 dabei sein werden, wenn die Spiele in Australien stattfinden, können sie noch nicht sagen. Reisen und internationale Wettkämpfe kosten Geld - eine große Herausforderung auch für die erfahrenen Athleten aus Indien. Mark Dharmai ist Profisportler und hat einige Sponsoren, Arunachalam Nalini wird von ihrem Arbeitgeber und der regionalen Regierung in ihrer Heimat unterstützt. Aber beide kennen die Sorgen anderer Athleten, die ihr Training und die Reise nach Köln teilweise oder sogar ganz aus eigener Tasche finanzieren müssen.
"In Indien hat die Regierung die Bedeutung inzwischen erkannt und die Unterstützung verbessert sich langsam", sagt Nalini. Eine Herausforderung für die Zukunft bleibe, auch in den Teamsportarten anzutreten. "Indien ist so groß, und wir sind alle auf das Land verteilt. Zusammen zu trainieren, ist bisher nicht möglich. Unser Ziel ist es, das künftig zu schaffen", betont Nalini.
Ein finanzieller Kraftakt ist auch die Ausrichtung der Welt-Kleinwuchsspiele. Veranstaltet werden sie vom Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V. (BKMF). "Die Spiele reißen ein großes Loch in unsere Rücklagen", erklärt Vorsitzende Patricia Carl-Innig, trotz Unterstützung, etwa durch die Sozialorganisation "Aktion Mensch" oder die Deutsche Sporthochschule, die die Wettkampfstätten zur Verfügung stelle. "Aber natürlich hat es sich gelohnt, für die Erlebnisse und die Begegnungen, die wir hier geschaffen haben. Diese Plattform ist einzigartig", unterstreicht Carl-Innig im Gespräch mit der DW.
Nalini: "Stark sein und alles ausprobieren"
"Es ist super organisiert, wir sind froh hier zu sein", lobt Nalini die Veranstalter in der Pause zwischen den Partien des Boccia-Turniers. Als älteste Athletin des indischen Teams sieht sie auch in der Rolle der Ratgeberin für Kinder und Jugendliche, die mit einem ähnlichen Handicap aufwachsen wie sie selbst. "Alles ausprobieren, sich nicht klein machen und dranbleiben, wenn es nicht gleich klappt", empfiehlt sie.
Ähnlich kämpferisch gibt sich ihr Teamkollege Dharmai, der bei TEDtalks und Podcasts mit seiner Geschichte öffentlich auftritt. "Wir müssen die Gesellschaft herausfordern und uns zeigen. Dadurch werden Diskriminierung und Vorurteile abgebaut." Erfolge im Sport sorgten für die notwendige Aufmerksamkeit, betont Dharmai und geht wieder in die Halle. Am Abend steht er wieder ganz oben: mit Gold im Boccia.