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Wohnungsnot in den USA

Eckhard Tollkühn30. Mai 2002

Einmal im Jahr kommen in Washington die Bürgermeister amerikanischer Großstädte zusammen um über urbane Probleme zu sprechen. Aus der Hauptstadt der USA berichtet Eckhard Tollkühn.

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Diesmal stand die akute Wohnungsnot im Mittelpunkt der Konferenz. Die Kernprobleme liegen auf der Hand. Über 14 Millionen amerikanische Haushalte geben die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen aus.

Die Wohnpreise steigen schneller als die Löhne

Seit vier Jahren ist die Teuerung im Wohnsektor höher als die allgemeine Inflationsrate. In vielen Märkten können sich Lehrer, Polizeibeamte oder Krankenschwestern das Wohnen in ihrer eigenen Stadt nicht mehr leisten. Ganz zu schweigen von den sogenannten "McJobs", den Arbeitsstellen, die Mindestlöhne zahlen. Nirgendwo in den USA würde ein McJob-Lohn reichen, um die Miete für eine 3-Zimmer-Wohnung zu zahlen. Dazu müßte die US-Regierung den Mindestlohn von gegenwärtig 5.15 US-Dollar verdoppeln. Ein Zehntel der 25- bis 34-jährigen Amerikaner leben noch bei ihren Eltern, weil sie sich keine eigene Bleibe leisten können.

Warten auf eine Wohnung

"Es ist eine Krise, die niemand wahrnehmen will", klagt Thomas Menino, Bürgermeister von Boston und Präsident der U.S. Conference of Mayors. Es geht vor allem um "Erschwingliches Wohnen", Wohneinheiten, die sich auch die Normalbürger leisten können. 1,3 Millionen Familien leben in Sozialbauwohnungen. 1 Million Haushalte stehen auf der Warteliste für subventionierte Wohnungen. Geduld ist wichtig, denn die durchschnittliche Wartezeit beträgt 10 Jahre.

Der Bedarf steigt ständig weiter, und damit wächst die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage. Seit 25 Jahren wurden in den USA keine nennenswerten Sozialbauprogramme verwirklicht. Das ist nicht allein die Schuld der Behörden. In den meisten Fällen laufen Anwohner, wenn sie erfahren, dass in ihrer Nachbarschaft eine Sozialbausiedlung geplant ist. Denn die Wohnkomplexe für "Sozialfälle" drücken die Preise der umliegenden Häuser.

Kein Raum für Rentner

Mit der höheren Lebenerwartung steigt auch der Wohnungsbedarf für ältere Menschen. Seit Jahren wurden die staatlichen Mittel für Sozialwohnungen dieser Bevölkerungsgruppe nicht mehr erhöht. Im Gegenteil: In den vergangenen 5 Jahren wurden 100 000 für ältere Menschen bestimmte Wohneinheiten aufwendig modernisiert und auf dem freien Markt veräußert. Nachbarschaften mit Potentzial werden aufgemotzt, Einkommenschwache und Minderheiten fliegen raus, die Schickeria hält Einzug. "Gentrification" nennen das die Amerikaner. 3,5 Millionen Amerikaner werden jedes Jahr zumindest zeitweilig als "obdachlos" geführt. Nur 20 Prozent gelten davon als chronisch obdachlos. Der Rest ist ohne Bleibe, weil man Schwierigkeiten hatte, die Miete zu bezahlen. Die Obdachlosigkeit in den USA ist im Jahre 2001 sprunghaft in die Höhe gestiegen. Als Hauptgrund gilt die Rezession im Gefolge der Terroranschläge vom 11. September.

Katalog mit Empfehlungen

Am Ende der zweittägigen Konferenz gaben die Bürgermeister einen Katalog mit Empfehlungen heraus, um der akuten Wohnungsnot Herr zu werden. So fordern sie zusätzliche Steuervergünstigungen für Einkommensschwache beim Erwerb von Wohneigentum. Eine weitere Empfehlung ist die Einrichtung einer staatlichen Stiftung, die öffentliche und private Gelder für den Bau von Sozialwohnungen besorgen soll.

Und schließlich legten die Konferenzteilnehmer noch ein Programm vor, in dem Arbeitgeber helfen, ihren Angestellten Wohneigentum zu beschaffen und zu finanzieren. Nach Meinung der Bürgermeister profitierten die Arbeitgeber davon ebensoviel, da sie die Angestellten stärker an die eigene Firma binden.

"Wir haben diese Empfehlungen vorgetragen, weil wir eine landesweite Debatte in Gang bringen wollen, um mit der Wohnungskrise in unserem Land fertig zu werden," sagt Bostons Bürgermeister Thomas Menino.