Das Hotel auf dem Parkhaus
13. Juli 2018Die Idee entstand beim Brainstorming während des Mittagessens. Björn Hiss und Nikolai Jäger hatten beschlossen, ein gemeinsames Immobilien-Start-up, das "MQ Real Estate", zu gründen und saßen nun im Restaurant eines großen Berliner Kaufhauses. Was sie wussten: "Wir wollen anders sein, wollen uns abheben von anderen Immobilienprojekt-Entwicklern." Geplant war, auf Module zu setzen, doch ungeklärt die Frage, auf welchen Flächen die vorgefertigten Zimmer und die daraus gefertigten Gebäude installiert werden könnten. In Berlin gab es durchaus freie Grundstücke, die nicht genutzt wurden. Hiss und Jäger fragten Eigentümer wegen möglicher Zwischennutzung an. Doch längerfristig wären diese Flächen nicht verfügbar gewesen, sodass sich ein Investment nicht amortisieren würde.
Auf der Suche nach einer zündenden Idee schauten die beiden Geschäftspartner auf das öde und ungenutzte Flachdach eines gegenüberliegenden Parkhauses. "Was für eine Verschwendung von wertvoller Fläche", dachten die beiden Wirtschaftswissenschaftler und hatten gefunden, wonach sie suchten: "Wir fangen dort an zu bauen, wo andere aufhören." Der Slogan war damit auch gleich gefunden, sagt Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Jäger, der im Bereich Innovation und Marketing promovierte.
Von der genialen Idee zur Realisation
Auch der Bundesverband Parken bestätigt dem Erfinder-Duo, dass Parkhäuser in Großstädten nur zu 50 bis 60 Prozent ausgelastet sind und gerade die obersten Decks häufig ungenutzt bleiben. Und so begann das Duo, Konzepte für die städtische Nahverdichtung zu entwickeln. Neben Mikrowohnungen wie Studentenappartements und Büros könnten Hotels auf bereits bestehenden Gebäuden entstehen, so die Vorstellung der Unternehmer. "Die Eigentümer haben keine Ausgaben, sondern Zusatzeinnahmen durch zusätzliche Vermietung. Unser Skypark-Konzept ist ein lukratives Geschäft für Immobilienbesitzer", argumentieren die innovativen Jungunternehmer.
Hotels aus Holzmodulen gibt es bereits. "Doch im Nachhinein Flächen ohne zusätzlichen Bodenverbrauch, ohne Versiegelung, also Dachflächen von Bestandsgebäuden lediglich zu mieten und durch Module zur Mietnutzung aufzustocken, das hat noch niemand gewagt", bestätigt Nikolai Jäger, "dementsprechend groß waren die Widerstände in der konventionellen Immobilienbranche, dies aus technischen, rechtlichen und finanziellen Aspekten zu realisieren".
Dreieinhalb Jahre dauerte es von der Prüfung der architektonischen, statischen, vertraglichen, brandschutz- und baurechtrechtlichen Voraussetzungen bis zum ersten "Spatenstich". "In der Zeit haben wir natürlich auch unsere Firma entwickelt. Inzwischen brauchen wir anderthalb Jahre von der Projektidee an einem Standort bis zur Fertigstellung", schätzt Nikolai Jäger.
Die Behörden in Berlin waren sehr umgänglich, gibt Jäger zu. Dauerhaftes Wohnen sei auf dem Parkhaus baurechtlich nicht möglich, aber gewerbliche Nutzungen wie Hotels waren genehmigungsfähig. "Auch die Bürger des angrenzenden Bezirks Friedrichshain standen dem Projekt aufgeschlossen gegenüber, obwohl es dort eine starke linke Szene gibt, Lichtenberg soziale Brennpunkte hat und Wohnungsnot besteht", erinnert sich der Start-up-Gründer. Nach sechs bis neun Monaten Bauzeit wird das erste Modulhotel auf einem Parkdeck bezugsfertig sein.
Aufgepimptes Parkhaus
Bis zum Herbst 2018 werden nun auf 4500 der insgesamt 8000 Quadratmeter großen Abstellfläche des Parkdecks auf dem Einkaufszentrum in Berlin-Lichtenhagen 151 Zimmer-Module und die Hotellobby stehen, aufgebaut auf einer Stahlkonstruktion, verbunden mit Gängen und einer einheitlichen Fassade.
Der Zugang zum Hotel führt über Außenaufzüge, die an die bestehenden Gebäude gebaut werden. Bei Gefahren können Hotelgäste und Mitarbeiter die Treppen des Parkhauses nutzen. Die größte Herausforderung ist, die vorgefertigten Zimmer auf das Dach zu hieven. In Berlin-Lichtenberg steht daher in diesen Monaten der größte in Deutschland verfügbare Turmdrehkran, um die rund 20 Quadratmeter großen und acht Tonnen schweren Module millimetergenau auf dem Stahlfundament des Parkdecks zu platzieren.
Zahlreiche Aspekte für nachhaltige Nutzung
"Man kann günstiger bauen. Wir wollen allerdings ganz konsequent nachhaltig und energieeffizient bauen. Durch die modulare Holzbauweise und die Verwendung ökologischer Dämmstoffe können wir große Mengen an klimaschädlichem CO2 einsparen. Holz gilt als CO2-Speicher. Und der Rohstoff wächst ständig nach. Die einzelnen Einheiten erreichen Niedrigenergiestandard." sagt Björn Hiss von MQ Real Estate.
Mehrere Schichten Massivholz werden jeweils quer zueinander verleimt. So entstehen dünne, aber doch stabile Wände, sogenannte Cross-Laminated-Timber-Platten (CLT). Die Holzteile werden wetterunabhängig in einer Halle verarbeitet, die Module nahezu fertig angeliefert.
Konsequent verzichten die Geschäftsleute auf die Versiegelung neuer Flächen. "Und nicht zuletzt bleibt die Immobilie dauerhaft mobil. Sie kann nach dem Abbau an anderer Stelle weiter genutzt werden ohne Abriss, Energieverlust und Schuttrückstände", nennt Nikolai Jäger weitere gute Gründe für sein Konzept. Die modulare Nachverdichtung spiegele außerdem den urbanen Zeitgeist wider und fördere eine nachhaltige, zukunftsorientierte Stadtentwicklung.
Die mobile Immobilie
Mehr als zehn Millionen kostet das mobile Hotel. Die Holzmodule sollen für mehr als 20 Jahre an Ort und Stelle bleiben.
"Mit dem Konzept der urbanen Nachverdichtung in Modulbauweise setzt das Projekt neue Maßstäbe für eine nachhaltige Entwicklung von Hotelflächen in Großstädten", lobt Andreas Mattner Geschäftsführer des Großimmobilienunternehmens ECE. Und Joanna Fisher, Center Managing Director, ist sich sicher: "Die Hotelgäste werden uns zusätzliche Frequenz im Shoppingbereich bringen."
Die Einrichtung dürfte die Herzen von Ostalgikern höher schlagen lassen: Möbel, Tapeten und Accessoires erinnern an den Stil der DDR in den 1980er Jahren.
Die findigen Start-up-Unternehmer haben nach eigenen Angaben Kontakt zu sämtlichen großen Parkhausbetreibern in Deutschland aufgenommen. Zukunftsforscher glauben, dass künftig durch geändertes Nutzungsverhalten und selbstfahrende Autos weniger PKW die Innenstädte frequentieren und noch mehr tote Räume frei werden.
Hiss und Jäger wollen nun auch in anderen europäischen Großstädten expandieren und halten nach ungenutzten Dachflächen in frequentierten Lagen Ausschau. Angesichts steigender Immobilienpreise wollen sie es nicht beim Hotelbau belassen: "In Großstädten sehen wir großen Handlungsbedarf. Unser Konzept ist übertragbar auf Studentenwohnheime oder Wohnappartements mit zusätzlichen Küchenzeilen." Bis 2021 wollen die Unternehmer mindestens 1000 Module aufgestellt haben - durchaus auch mehrstöckig.