"Wohlhabender" statt "freier" Indo-Pazifik
23. November 2020Einheiten der Seestreitkräfte von Australien, Indien, Japan und der USA haben am Freitag (20.11.2020) ihre Malabar-Manöver abgeschlossen. Nach dem ersten Teil Anfang November in der Bucht von Bengalen fand der zweite Teil in der nördlichen Arabischen See statt. Im Zentrum der Übungen standen die Flugzeugträger "Nimitz" aus den USA und "Vikramaditya" aus Indien. Japan schickte den Zerstörer "Murasame" und Australien die Fregatte "Ballarat". Das Besondere an den diesjährigen Malabar-Manövern: Erstmals seit 13 Jahren haben Marine-Einheiten aller vier Länder des sogenannten quadrilateralen Sicherheitsdialogs - kurz "Quad" - gemeinsam geübt.
Reaktion auf Chinas Expansion
Mit ihrer militärischen Kooperation reagieren drei große Demokratien in Asien auf Chinas zunehmend aggressive Machtansprüche. Als Reaktion darauf werden Tabus gebrochen. Angesichts der Scharmützel an der Himalaya-Grenze zu China zähmte Indien seine Aversion gegen Bündnisse und vereinbarte im Juni dieses Jahres mit Australien die gemeinsame Nutzung von Militärgütern und Logistik. Dadurch konnte Australiens Königliche Marine an den Malabar-Übungen teilnehmen.
Auch Japan und Australien rücken militärisch zusammen: Am Dienstag (17.11.) einigten sich die Regierungschefs Yoshihide Suga und Scott Morrison im Grundsatz auf ein Militärabkommen. Die Streitkräfte können künftig gemeinsame Manöver veranstalten und das jeweils andere Land besuchen. Zudem bekräftigten beide Länder die Notwendigkeit für ein Rahmenwerk, um dem japanischen Militär den Schutz von australischen Soldaten zu ermöglichen.
Erstes Militärabkommen seit 60 Jahren
Bei ihrem Treffen in Tokio unterstrichen Suga und Morrison ihre Sorge über die "Militarisierung von umstrittenen Bestandteilen und die gefährliche Anwendung von Zwangsmitteln durch Schiffe der Küstenwache". Diese Formulierungen beziehen sich auf den chinesischen Ausbau von künstlich vergrößerten Inseln zu Militärstützpunkten im Südchinesischen Meer und die chinesische Dauerpräsenz um die von Japan gehaltenen Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer, die in China als Diaoyu-Inseln bekannt sind.
Das Abkommen hat historische Bedeutung: Japan lässt erstmals seit dem Sicherheitsvertrag mit den USA von 1960 den Aufenthalt von weiteren ausländischen Truppen auf seinem Boden zu. Auch eine Abmachung über den Schutz ausländischer Truppen hat die Regierung in Tokio bisher nur mit den USA geschlossen. Dafür legte der zurückgetretene Premierminister Shinzo Abe den Verfassungsartikel, der Japan das Führen von Kriegen verbietet, neu aus.
Zwischen 2013 und 2015 hatten Marineeinheiten Japans und Australiens fünf Mal pro Jahr gemeinsame Manöver abgehalten, einige auch gemeinsam mit der US-Marine. 2016 gab es acht Übungen, vor allem mit Blick auf Nordkorea. Doch nach der ersten Begegnung zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Führer Kim Jong Un in Singapur 2018 nahmen diese Manöver ab. Als neuer Partner von Japan kam Indien mit 15 Manövern in den Jahren 2018 und 2019 ins Spiel.
Die Verhandlungen zwischen Tokio und Canberra hatten sechs Jahre gedauert. Die australische Zurückhaltung gegenüber einer Militärkooperation mit Japan hing damit zusammen, dass man den wichtigsten Wirtschaftspartner China nicht unnötig provozieren wollte. 30 Prozent der australischen Exporte gehen dorthin. Aber die Beziehungen zu Peking haben sich dramatisch verschlechtert, nachdem Premierminister Morrison eine unabhängige Untersuchung des Ursprungs der Corona-Pandemie forderte.
Wirtschaftsstrafen gegen Australien von China
Darauf verhängte Peking zahlreiche wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Canberra, darunter Zölle auf Gerste, einen informellen Importstopp für Kohle und Einfuhrbarrieren für Rindfleisch, Hummer, Holz und Wein. Am Mittwoch (18.11.2020) veröffentlichten australische Medien 14 chinesische Vorwürfe gegen die Regierung des fünften Kontinents. Interessanterweise gehörte die neue Militärkooperation von Australien und Japan nicht dazu.
Sorge um geänderten US-Kurs
Unterdessen machen sich die drei asiatischen Quad-Partner Australien, Japan und Indien Sorgen, ob der neu gewählte US-Präsident Joe Biden die aktuelle politische Linie der Gruppe beibehält. Bisher fordert das lockere Bündnis einen "freien und offenen Indo-Pazifik". Keine einzelne Macht soll die asiatischen Meereswege für den Warentransport kontrollieren, rechtsstaatliche Prinzipien sollen in der Region eingehalten werden.
Die USA griffen bei der Wiederbelebung der Quad-Initiative auf das von Japans langjährigem Premier Shinzo Abe formulierte Konzept zurück. Es löste die einst von Barack Obama ausgerufene "Hinwendung zu Asien" ("Pivot to Asia") ab. Die Pekinger Zeitung "Global Times", ein Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas, bezeichnete die ersten gemeinsamen Malabar-Übungen der vier Staaten als "Signal, dass sich eine Quad-Militärallianz formiert hat".
"Asien-Pazifik" statt "Indo-Pazifik"?
Bestimmte neue Formulierungen, die von Biden und seinem Team kommen, werfen die Frage auf, inwieweit der künftige US-Präsident an einer Weiterentwicklung von Quad interessiert ist. Nach einem Telefonat Bidens mit Japans Premier Suga, das vor dem Quad-Treffen stattfand, beschrieb das Biden-Team das Bündnis mit Japan als "den Eckpfeiler einer wohlhabenden und sicheren Indo-Pazifik-Region". Zuvor war wie erwähnt die Formulierung "freier und offener Indo-Pazifik" die gängige. Zugleich blieb Bidens von Suga bekanntgemachte Zusage unerwähnt, die USA würden die Senkaku-Inseln verteidigen, auf die China mit zunehmendem Druck Ansprüche erhebt. Daraufhin näherte sich der japanische Regierungschef der neuen Wortwahl von Biden an. Bei seinen Videoschalten beim Gipfel der ASEAN-Staaten Ende vergangener Woche habe er seinen Wunsch für einen "friedlichen und wohlhabenden Indo-Pazifik" übermittelt, sagte Suga.
Der indische Geostrategie-Experte Brahma Chellaney misst den von Biden und seinen Beratern gewählten Formulierungen große Bedeutung bei. Er meint, dass die Tage der amerikanischen Strategie eines "freien und offenen Indo-Pazifiks" gezählt seien. "Die plötzliche Kehrtwende ist bei Biden das, was bei Trump die Egomanie ist", schrieb Chellaney im Magazin "Nikkei Asia". Schon in seinem Wahlprogramm habe Biden lieber von "Asien-Pazifik" als vom "Indo-Pazifik" gesprochen. Anscheinend wolle der neu gewählte US-Präsident seine geopolitischen Ziele nicht über eine regionale Zusammenarbeit mit Asiens Demokratien verfolgen, meinte Chellaney mit indirektem Bezug auf Indien.