Woche der Entscheidung (wieder einmal)
21. Oktober 2019Der britische Pemier Boris Johnson erscheint als ziemlich schlechter Verlierer. Nachdem der Super-Samstag im Parlament ins Wasser gefallen war, sorgten seine konträren Verlängerungsbriefe an die EU für Gelächter. Auf Social Media führte in der Nacht danach der Hashtag "Ein Brief an Mr.Tusk", wo Bürger anboten, statt Johnson den Brief an den Präsidenten des Europäischen Rates zu unterschreiben. Andere baten unter dem Hashtag um eine weitere Brexit-Frist von 20 Jahren, damit man endlich genug Zeit habe, sich auf einen Weg aus der Krise zu einigen.
An diesem Montag soll ein schottisches Gericht entschieden, ob der Premierminister sich der Missachtung des Parlamentes oder des Gesetzes schuldig gemacht hat, als er der Bitte um Verlängerung einen weiteren Brief beifügte, in dem er die EU-Regierungschefs beschwor, ihm doch bitte keine weitere Brexit-Frist mehr zu geben. Es sei "nicht im Interesse" beider Seiten.
Nächste Abstimmungsrunde
Aber der juristische Streit ist ein Nebenschauplatz: Im Unterhaus hat der Fraktionsführer der Tories, Jacob Rees-Mogg, erneut die Abstimmung über den Brexit-Deal mit der EU angesetzt. Allerdings herrscht größte Skepsis, ob der Speaker John Bercow es durchgehen lässt, dass eine zweite Abstimmung nur dazu dienen soll, die Ablehnung vom Sonnabend umzukehren.
Die Regierung könne nicht solange über die gleiche Vorlage abstimmen lassen, bis das Ergebnis passt, das hatte Bercow schon im letzten Winter Theresa May erklärt. Sie war damals mit drei Anläufen gescheitert, ihren Deal durch das Parlament zu bringen. Und weil der Speaker zum Ende des Monats sein Amt niederlegt, kann es ihm jetzt auch gleichgültig sein, erneut den Zorn der Konservativen auf sich zu ziehen. Es wird also erwartet, dass er Boris Johnson die rote Karte zeigt.
Dabei traten am Sonntag zwei führende Tories vor die Kameras und erklärten, sie hätten jetzt die Stimmen beisammen, um den Deal mit Mehrheit zu bestätigen. Zum einen baute Vize-Premier Michael Gove seine spezielle Drohkulisse auf, wonach er die Vorbereitungen für einen No-Deal hochfahren müsse, wenn die Abgeordneten jetzt nicht endlich Ja sagen würden. Gleichzeitig erklärte Außenminister Dominic Raab, die Stimmen für einen Sieg im Unterhaus seien jetzt beisammen. Außerdem wies er die Vorwürfe der Labour Party zurück, Arbeitnehmerrechte würden durch den Brexit beschädigt. "Arbeitnehmer sind unter einer konservativen Regierung sicher", beschwor er.
Nach Berechnungen mehrerer britischer Zeitungen ist das Stimmenverhältnis nach wie vor extrem knapp - wenn nur zwei Abgeordnete ihre Meinung änderten, könne der Ausgang nach wie vor kippen. Selbst wenn die früheren Tory-Rebellen inzwischen mehrheitlich erklären, sie würden Boris Johnsons Deal unterstützen.
Es droht der Super-Dienstag
Wahrscheinlicher ist ein Szenario, wonach am Dienstag zuerst das Austrittsgesetz auf den Tisch des Parlamentes kommt, durch das der Brexit umgesetzt werden soll. Das aber gibt der Opposition - anders als der internationale Vertrag mit der EU - reichlich Gelegenheit, es mit Änderungsanträgen zu spicken und zumindest die Form des Austritts zu gestalten.
So könnten die Abgeordneten Boris Johnson verpflichten, nach Ende der Übergangszeit mit der EU eine Zollunion einzugehen. Oder ihn zwingen, auf jeden Fall das "level playing field" zu erhalten, die Angleichung von Regeln und Vorschriften, die den Zugang zum Binnenmarkt bestimmt. Und schließlich ist es auch denkbar, am Ende noch einmal zu testen, ob es inzwischen eine Mehrheit für ein zweites Referendum gibt. Nach langem Zaudern hat sich die Labour Party jetzt dazu entschieden, sich der Forderung anzuschließen.
Und wenn gar nichts weiter hilft, droht noch die schottische Nationalpartei SNP mit einem Misstrauensantrag, um die Regierung zu Fall zu bringen. Boris Johnson wiederum könnte das sogar ganz Recht sein: Sollte ihn das Parlament zu einem so EU-freundlichen Brexit zwingen, dass ihm seine Hardliner von der Fahne gehen, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als einmal mehr Neuwahlen anzustreben.
Die Entscheidungsschlacht um den Brexit beginnt also in dieser Woche erneut. Noch belauern sich beide Seiten und die Opposition hat ein ganzes Überraschungspaket von Anträgen vorbereitet, um die Regierung festzunageln und ihr ihren Brexit unmöglich zumachen. Nach wie vor ist alles offen: Ob es mit dem Brexit noch bis zum 31. Oktober klappt, ob Boris Johnson Ende der Woche noch Premierminister ist - und sogar ob die Abgeordneten der Queen's Speech von vergangener Woche zustimmen. Vermutlich lassen sie sie durchfallen.
EU würde erneut verlängern ….
Trotz allen Murrens des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ist klar, dass die EU auch eine erneute Verlängerung gewähren würde. Die Europäer wollen nicht als Ungeduldige dastehen und die Briten von der Klippe stoßen. Der finnische Ministerpräsident Antti Rinne, derzeit Vorsitzender des EU-Ministerrates, deutete das bereits an. Natürlich sollte es dafür einen guten Grund geben, also Neuwahlen oder ein zweites Referendum, aber es ist sowieso kaum noch zu erkennen, wie es ohne das eine oder das andere weitergehen könnte.
"Verschwendet nicht eure Zeit", hatte Donald Tusk gemahnt, als er im Frühjahr Theresa May ein weiteres halbes Jahr Zeit einräumte. Genau das aber geschah - die Nachfrist wurde vertrödelt. Das Parlament ist heute von einer Lösung genauso weit entfernt wie damals. Die Europäische Union aber betrachtet die britische Selbstzerfleischung längst mit Horror und wünschte, das Drama wäre bald zu Ende. Jedenfalls will sie sich mit der Entscheidung über die Verlängerung Zeit nehmen - bis zwei Tage vor dem Brexit-Datum. Wieder einmal steigt die Spannung, wobei sie bisher immer noch im letzten Moment wieder verpufft war. Man sollte einmal in den Wettbüros nachsehen, wie gut die Chancen für einen Halloween-Brexit derzeit noch stehen.