Bürgerwindpark
2. Juli 2012Die Riesen von Schlalach-Mühlenfließ stehen rund einen Kilometer vor dem Ortsschild der kleinen Gemeinde im Süden Brandenburgs. 16 Windrad-Giganten reihen sich dort aneinander. Jeder Turm mit seinen immensen Rotoren hat eine Gesamthöhe von 180 Metern. Ein Bild, das andernorts sofort Kritiker auf den Plan ruft. Die warnen immer wieder vor einer "Verspargelung" der Landschaft durch die Anlagen, die wie Spargel senkrecht aus dem Boden zu schießen scheinen. Immer wieder kommt es dann zu massiven Protesten von Anwohnern, die die Errichtung weiterer Windräder verhindern wollen.
Nicht so in Schlalach-Mühlenfließ, wo die Bürger stolz auf ihren Windpark sind, der 60-mal mehr Strom produziert als die rund 1000-Einwohner-Gemeinde verbraucht. "Wir sind hier zufrieden, wir haben so gut wie keine Spannungen im Ort", sagt Peter Hahn , Dorfbewohner und Mitbegründer der Arbeitsgruppe "Windkraft in Schlalach". Doch die hohe Akzeptanz des Windparks unter den Bürgern sei kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit.
Auf einen Schlag stürmten zehn Betreiber ins Dorf
Die größte Herausforderung sei dabei unmittelbar zu Beginn des Projekts zu meistern gewesen. "Im Jahr 2002 wurde diese Fläche hier als Windeignungsgebiet ausgewiesen", sagt Hahn und zeigt auf weitläufige Felder, die das Dorf mit einer benachbarten Autobahn verbinden. "Schlagartig waren in der Größenordnung zehn Betreiber hier, die bei allen möglichen Grundstückseigentümern Verträge holen wollten." Es zeigte sich, dass die besten Standorte für Windräder nicht im Besitz weniger Großbauern waren, sondern sich auf über 100 Kleinstbesitzer verteilten. "Das heißt, es musste hier irgendwo eine Einigung mit einem vernünftigen Modell her".
Und so gründeten zunächst 15 Bürger die Arbeitsgruppe "Windkraft in Schlalach", eine Initiative, bei der jeder mitmachen konnte, der über das Für und Wider des Windparks diskutieren wollte. "Wir haben dann alle Eigentümer gebeten, keine Verträge zu unterschreiben und haben erstmal eine richtige Ausschreibung gemacht", erzählt Peter Hahn, der von Berufswegen eigentlich Computerspezialist ist.
Hartmut Höpfner, ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe, richtete sich zunächst an 30 potentielle Projektentwicklungsgesellschaften. Von 20 Windparkplanungsunternehmen, bekam er eine Antwort. Ein mehrmonatiges Auswahlverfahren folgte, bei dem Vertragskonditionen und Kleingedrucktes verglichen wurden. "Wenn man sich die Schwierigkeiten eines solchen Projektes anschaut, also die Stromanbindung der Windräder und das langwierige Genehmigungsverfahren, dann wäre die Hälfte der Entwickler nicht in der Lage gewesen, dieses Vorhaben zu stemmen", sagt Höpfner in der Rückschau. Ganz zu schweigen davon, dass es zehn der Firmen inzwischen schon gar nicht mehr gibt. "Man sollte sich sehr genau anschauen, mit welchem Betreiber man da zusammengeht", rät denn auch Peter Hahn potentiellen Nachahmern.
Der Automechaniker suchte die Windräder aus
In Schlalach bekam Enercon den Zuschlag. Das Unternehmen ist der größte deutsche Hersteller für Windkraftanlagen. 62 Millionen Euro wurden investiert, um in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 16 Windräder aufzustellen. Bauherr und Betreiber ist eine neu gegründete Tochterfirma, die ihre Gewerbesteuer im Ort abführt. Projektleiterin Vera Sibler kam alle drei Monate ins Dorf, um sich mit der Arbeitsgruppe Windkraft auszutauschen. Besonders wichtig sei, sagt Sibler, "dass die Leute das Gefühl haben, sie haben an der Entstehung des Windparks mitgewirkt".
In Schlalach blieb das keine graue Theorie. Die Bürger waren maßgeblich an der Planung beteiligt – sie bestimmten sogar, welche Windrad-Anlage gekauft werden sollte. "Unser Automechaniker aus dem Ort hat uns ein klares Urteil gegeben, welche Anlagen die Besten sind", erzählt Peter Hahn nicht ohne Stolz. Für Projektentwicklerin Sibler ist die Bürgerbeteiligung dabei ein Gewinn. "Also das macht die Arbeit auf jeden Fall anstrengender", gesteht sie, "aber es macht sie eben auch zufriedenstellender."
Um 100 Landeigentümer davon zu überzeugen, dem Bau eines Windparks zuzustimmen, tüftelten die Schlalacher ein sogenanntes Flächenpool-Modell aus. Es garantiert, dass Pachteinahmen für die Windrad-Standorte fair zwischen allen Grundstücksbesitzern verteilt werden. Für eine Anlage mit 2-Megawatt-Leistung zahlt der Betreiber eine jährliche Pacht von 18.000 Euro.
Die Schlalacher einigten sich darauf, dass diese Einnahmen zunächst nicht an jeden Einzelnen gezahlt werden, sondern in einen gemeinsamen Fonds fließen. In den kommenden Jahren werden das immerhin über 300.000 Euro jährlich sein. Jeder, der ein Stück Land besitzt, das jetzt zum Windpark gehört, erhält – je nach Fläche – einen festgelegten Anteil der Pacht. Etwas mehr bekommen diejenigen, auf deren Grund und Boden sich tatsächlich ein Windrad dreht. Für jeden der 100 Landbesitzer bringt das Flächenpool-Modell so Pachteinnahmen von durchschnittlich 3000 Euro pro Jahr.
Vom Windpark müssen alle profitieren
Eine Garantie für eine erfolgreiche Umsetzung des Windparks wäre aber auch dieses ausgeklügelte System noch nicht gewesen. Schließlich sind nicht alle Schlalacher auch Landbesitzer. Also versuchte die Arbeitsgruppe um Hahn und Höpfner auch die Bürger mit ins Boot zu holen, die nicht selbst am Windpark beteiligt sind, sondern nur auf die surrenden Rotoren schauen.
Es wurde eine Bürgerstiftung eingerichtet, in die ein Teil der Windparkeinnahmen fließt. Das sollen künftig 50.000 Euro pro Jahr sein, mit denen dann gemeinnützige Projekte im Ort unterstützt werden. So wird Geld für Jugendarbeit, Seniorenbetreuung oder Straßensanierung bereitstehen. Zudem seien besonders die späteren Steuereinahmen der Gemeinde durch den Windpark entscheidend. "Da haben wir sichergestellt, dass die hier im Ort bleiben", sagt Hahn. Läuft alles nach Plan werden die 16 Anlagen während ihrer 20-jährigen Betriebszeit über 3,3 Millionen Euro Steuern in die Gemeindekasse spülen. Zusätzlich werden regionale Betriebe die Wartung der Windräder übernehmen und die sie umgebenden Felder pflegen.
Mit gesicherten Einnahmen für Grundstückseigentümer und Gemeinde wollen die Mitglieder der Arbeitsgruppe "Windkraft in Schlalach" sich in ferner Zukunft dann noch einen weiteren Traum erfüllen. Mit einem Eigenkapital von 800.000 Euro pro Windrad wollen sie dem Betreiber Enercon so viele Rotoren wie möglich abkaufen. So blieben noch mehr Erträge direkt in dem Dorf, in dem die Windräder willkommen sind.