Thailands Protestbewegung heute
17. Mai 2022Auf großen Bannern forderten sie die Freilassung ihrer inhaftierten Freunde und ein Ende der Militärherrschaft. Im Zuge des Treffens in Washington D.C. zwischen Amerikas Präsident Joe Biden und Thailands Premierminister Prayuth Chan-o-cha auf dem US-Asean-Gipfel versammelten sich am letzten Dienstag wieder Mitglieder der United Front of Thammasat and Demonstration (UFTD) vor der amerikanischen Botschaft in Bangkok. Seit 2020 war das Gelände um die amerikanische Botschaft immer wieder Schauplatz pro-demokratischer Demonstrationen, die sich in Thailand zur größten Protestwelle entwickelten, die das Land seit dem Militärputsch im Jahr 2014 erlebt hat. Über Monate hinweg gingen vor allem junge Menschen landesweit auf die Straßen Thailands, um gegen die militärnahe Regierung von Premierminister Prayuth zu demonstrieren. Sie stellten klare Forderungen: Die Proteste würden weitergehen bis das Parlament aufgelöst, eine neue Verfassung in Kraft gesetzt und das Ende staatlicher Repressionen verkündet werde.
Der Wunsch nach Veränderungen war auch am vergangenen Dienstag auf der Demonstration in Bangkok präsent. Was jedoch neu war, ist der Zulauf an Demonstrierenden. "Wenn im Jahr 2020 zu einer Demonstration vor der amerikanischen Botschaft aufgerufen wurde, dann konnten Tausende von jungen Leuten mobilisiert werden. Am Dienstag waren hingegen nur eine Handvoll Menschen vor Ort", macht Praphakorn Lippert von der Universität Passau im Gespräch mit der DW deutlich. Im Jahr 2022 stellt sich damit die Frage, was aus der einst so populären Protestbewegung geworden ist.
Neue Generation gegen ein altes System
Trotz der Forderungen nach umfassenden demokratischen Reformen hat sich in der thailändischen Gesellschaft seit Ausbruch der Proteste 2020 nicht viel verändert. Die Demokratiebewegung habe die Fronten nochmals verhärtet und zeige, dass der politische Diskurs zunehmend von einem Generationenkonflikt bestimmt ist. "Die neue Bruchlinie in der thailändischen Gesellschaft verläuft zwischen der progressiven Jugend, die Veränderung will; die will, dass Regierung ihre Rechte respektiert - und auf der anderen Seite den konservativen Eliten in der Politik, Wirtschaft und im Militär", erklärt Phil Robertson, Deputy Director von Human Rights Watch in Asien, im Gespräch mit der DW.
Die Proteste richten sich im Kern gegen ein seit Jahrzehnten etabliertes wirtschaftliches und politisches System mit drei privilegierten Teilnehmerkreisen. Das ist erstens eine hauchdünne Schicht von einem Prozent der Bevölkerung, denen zwei Drittel aller Vermögenswerte gehören. Das ist zweitens das Militär, das ebenfalls mit vielen finanziellen Privilegien ausgestattet und mit den Staatsunternehmen verflochten ist. Und drittens die reichste Monarchie der Welt, die weiterhin starken politischen Einfluss ausübt. Durch den Militärputsch im Jahre 2014 hat sich dieses System nochmals verfestigt. Das Militär sieht sich selbst als Wächter der Monarchie, untersteht keiner zivilen Kontrolle und hat durch die eigens durchgesetzte Verfassung Vorkehrungen getroffen, um den Einfluss von demokratischen Institutionen langfristig zu schwächen.
Tabubruch
Gerade junge, weltoffene Thais, die das System zunehmend infrage stellen, finden in diesem Machtgefüge keinen Platz. Spätestens als die progressive Zukunftspartei, die mit sechs Millionen Stimmen großen Zuspruch unter jungen Wählerinnen und Wählern fand, im Februar 2020 wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten durch das Parlament, in dem militärnahe Parteien die Mehrheit haben, aufgelöst wurde, fühlten sich viele Menschen von der Politik im Stich gelassen. "Ich denke, dass es vielen jungen Wählerinnen und Wählern wichtig war, dass sie nicht wie in der Vergangenheit zum Schweigen gebracht werden können. Sie hatten das Gefühl, dass sie aufstehen und etwas sagen müssen, damit sich Thailand weiterentwickelt", so Robertson.
Thailands Protestbewegung ist jung, divers und furchtlos. So furchtlos, dass sie mit der Forderung nach einer reformierten Monarchie einen Tabubruch beging. Eine Monarchie, die lange Zeit durch das als Artikel 112 bekannte Gesetz gegen Majestätsbeleidigung (Lèse-Majesté Gesetz) geschützt war, welches öffentliche Kritik an der Königsfamilie unter Strafe stellt und mit Haftstrafen von bis zu 15 Jahren droht.
"Es ist das erste Mal, dass die Frage der Monarchie auf die öffentliche Agenda gesetzt und kritisch diskutiert wurde. So etwas haben wir in den letzten Jahren noch nie erlebt", sagt Pavin Chachavalpongpun, einer der prominentesten Gesichter der Demokratiebewegung, im Gespräch mit der DW. Seine im April 2020 gegründete Facebook Gruppe "The Royalist Marketplace" zählt heute mit 2,4 Millionen Mitglieder zur größten Facebook Gruppe des Landes und habe maßgeblichen Einfluss auf den politischen Diskurs in den sozialen Medien.
Drohender Zerfall der Bewegung
Trotz der Mobilmachung in den sozialen Medien sind die großen Proteste im Jahr 2022 von den Straßen Thailands verschwunden. Grund hierfür sei derzeit vor allem das Klima der Angst und Verfolgung, das durch die thailändische Regierung geschürt werde, erklärt Phil Robertson. Auf die Forderungen nach mehr Demokratie und Gleichberechtigung folgte eine Gegenreaktion der Staatsgewalt, die den jungen Demonstrierenden ein Mitspracherecht in der politischen Gestaltung ihres Landes versagte. Mehr als 1600 Strafverfahren wurden seit 2020 gegen Aktivisten eingeleitet.
"Es ist, als ob ein gigantisches Damoklesschwert über dem Kopf der Demokratiebewegung hängt", so Robertson, der die Menschenrechtslage in Thailand genau beobachtet. Systematische Schikane, Einschüchterungen und Inhaftierungen von Aktivistinnen und Aktivisten, sowie die Ankündigung eines neuen NGO-Gesetzes zur Beschränkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten hätten mit der Zeit dazu geführt, dass die Bewegung an Zugkraft verlor.
Zudem kämpfe die Bewegung laut Praphakorn Lippert auch zunehmend gegen interne Spaltungen. "Es gibt keine große einheitliche Bewegung mehr, sondern nur noch Aktionen von verschiedenen kleinen Gruppen." Die Unterdrückung der Proteste führte mit der Zeit zur Abspaltung und Formierung von Subgruppen. Diese wichen teilweise von den Kernforderungen der Bewegung ab und vertreten heute andere Interessen. Dies erschwere zunehmend die Mobilisierung für die gemeinsame Sache und habe das Abflauen der Kernbewegung aus 2020 verstärkt.
"Der Geist ist aus der Flasche"
Aktivist Pavin sieht die Demokratiebewegung in Thailand aber nicht am Ende. "Der Geist ist aus der Flasche gelassen worden. Ich glaube nicht, dass er wieder in die Flasche zurückkehren kann", erklärt er und verweist damit auf seine täglich wachsende Facebook Gruppe. Die letzten zwei Jahre haben seiner Meinung nach nicht nur so manches Tabu gebrochen, sondern auch den Raum für Kritik an den Herrschenden und Privilegierten in den traditionellen und sozialen Medien vergrößert.
Spätestens mit den anstehenden Parlamentswahlen 2023 in Thailand, so prognostiziert Phil Robertson, könnte es ein Wiederaufleben des Aktivismus geben. Ob die Bewegung das Potential hat, sich vom virtuellen Raum erneut geschlossen auf die Straße zu verschieben, wird sich hingegen noch zeigen müssen.