Wo ist Sombath Somphone?
26. März 2013Samstag, 15. Dezember 2012, sechs Uhr abends: In der laotischen Hauptstadt Vientiane machen sich Sombath Somphone und seine Frau Ng Shui Meng auf den Heimweg von der Arbeit. In getrennten Fahrzeugen fahren sie nach Hause, wollen sich dort zum Essen wieder treffen. Doch Sombath kommt nie an. In der Nähe einer Polizeistation auf der Thadeua Road verliert Ng Shui Meng den Wagen ihres Mannes aus den Augen.
Was in den nächsten Minuten mit ihm passiert, ist auf einem Polizeivideo zu sehen. Vor laufender Überwachungskamera wird Sombath von der Polizei angehalten und verlässt das Fahrzeug. Wenig später hält ein Motorradfahrer an, fährt mit dem Jeep des Aktivisten davon. Dann kommt ein Truck, zwei Personen steigen aus. Sie übernehmen Sombath und fahren mit ihm weg. Es sind die letzten Bilder, die von ihm existieren. Danach verliert sich seine Spur. Auch sein Handy ist nicht mehr erreichbar.
Kampf gegen ein Bollwerk
Verzweifelt versuchen Angehörige und Freunde seitdem herauszufinden, was genau mit Sombath, der sich seit Jahrzehnten für die laotische Zivilgesellschaft engagiert, passiert ist – und stoßen dabei auf eine Mauer des Schweigens. Offiziell betont die laotische Regierung, der Fall habe oberste Priorität und man setze alles daran, ihn aufzuklären. Tatsächlich aber klagen Menschenrechtsorganisationen wie beispielsweise Human Rights Watch über eine regelrechte Blockadehaltung von Seiten der offiziellen Stellen. Durch die Umstände von Sombaths Verschwinden kam bereits unmittelbar nach dem Abend des 15. Dezember der Verdacht auf, die Regierung des kommunistischen Einparteienstaates könnte selbst hinter der Tat stecken oder zumindest involviert gewesen sein.
Diesbezügliche Vorwürfe weist das Regime in Vientiane weit von sich – doch das ist in den Augen von Phil Robertson, dem stellvertretenden Asien-Direktor von Human Rights Watch, eine Farce. "Er wurde an einem Polizei-Checkpoint verschleppt. Die Behauptung, dass die Polizei nicht weiß, was mit ihm passiert ist, ist schlicht und einfach nicht glaubwürdig."
Unter Verschluss gehaltenes Video
Die Tatsache, dass die laotischen Behörden keine offiziellen Kopien des Original-Filmmaterials aus der Überwachungskamera zur genaueren technischen Auswertung an Interpol oder andere internationale Stellen weitergeben – mit der Begründung, man könne darauf nicht genug erkennen – sei beunruhigend, so Robertson. Im Internet existiert lediglich eine vom Bildschirm abgefilmte und qualitativ entsprechend minderwertige Fassung des Videos. Details wie Gesichter oder Nummernschilder sind darauf nicht identifizierbar.
"Die laotische Regierung hat wiederholt Informationen zurückgehalten und sich geweigert, mit der Internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten", klagt Robertson. Auch für den Geschäftsführer des Kölner Asienhauses, Klaus Fritsche, besteht eigentlich kein Zweifel an der Beteiligung der laotischen Regierung. "Die Umstände sprechen alle dafür. Wenn so etwas vor den Augen der Polizei passiert, ist es unwahrscheinlich, dass ein Fremder dafür verantwortlich ist. Aber harte Beweise haben wir letztendlich nicht."
Erfolglose Bemühungen von allen Seiten
Sombath Somphone ist der vielleicht bekannteste laotische Aktivist. Seit Jahrzehnten setzt er sich unter anderem für die Bildung von Jugendlichen, für die Rechte der armen Landbevölkerung des einzigen südostasiatischen Binnenlandes und auch für die Umwelt ein. Mitte der 90er Jahre gründete er das Participatory Development Training Center (PADETC), eine der ersten laotischen Nichtregierungsorganisationen. Seine Aktivitäten stimmte er immer mit der Regierung ab. Im Jahr 2005 wurde Sombath für sein Engagement für nachhaltige Entwicklung mit dem nach dem ehemaligen philippinischen Präsidenten benannten Ramon-Magsaysay-Preis ausgezeichnet, der auch als "asiatischer Friedensnobelpreis" bezeichnet wird.
Sein Bekanntheitsgrad ist wohl auch ein Grund dafür, dass sich nach seinem Verschwinden hochrangige Politiker aus dem Ausland für ihn einsetzten, darunter im Januar die damals noch amtierende US-Außenministerin Hillary Clinton und Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Ohne Erfolg. Human Rights Watch sieht die ASEAN in der Verantwortung. Deshalb appellierte die Organisation an die Menschenrechtskommission der südostasiatischen Staatengemeinschaft, in dem Fall aktiv zu werden – auf eine Reaktion wartet sie bis heute.
Viele offene Fragen
Was ist genau mit Sombath Somphone passiert und warum? Und wieso war er der laotischen Regierung offenbar plötzlich so sehr ein Dorn im Auge, dass er von der Bildfläche verschwinden musste? Eindeutige Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Sowohl Phil Robertson als auch Klaus Fritsche vermuten allerdings, dass seine Rolle beim Asien-Europa-Bürgerforum dabei ein zentraler Grund gewesen sein könnte. Sombath war - wie auch das Kölner Asienhaus – maßgeblich beteiligt an der Organisation dieser Großveranstaltung, die kurz vor dem ASEM-Gipfel im Oktober 2012 in Vientiane stattfand.
"Dabei kamen natürlich auch viele sensible Themen zur Sprache", erklärt Klaus Fritsche. "Zum Beispiel ging es um Landrechte, Korruption und Staudammpolitik. Während des Forums haben Regierungsvertreter ziemlich massiv interveniert um zu verhindern, dass laotische Teilnehmer etwas Kritisches äußern." Manch einer hätte sich davon nicht abschrecken lassen – und persönliche Konsequenzen tragen müssen. "Einzelne Personen wurden nach der Veranstaltung belästigt und indirekt sogar bedroht." Dennoch hätte Klaus Fritsche niemals mit derart drastischen Folgen wie im Fall von Sombath gerechnet.
Klima der Angst
Fest steht: Der Fall Sombath hat die Situation für Aktivisten oder Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen insgesamt verändert. "Die Bereitschaft, offen zu sprechen, hat stark nachgelassen. Alle haben Angst, dass ihnen auch etwas passieren könnte", meint Klaus Fritsche. Die Regierung habe ihre Macht eindrücklich demonstriert, sagt auch Phil Robertson. Die Menschen seien in jeder Hinsicht vorsichtiger geworden. Heikle Themen würden beispielsweise nicht mehr per Mail ausgetauscht sondern lieber persönlich. Und auch dann – aus Angst vor Überwachung – nicht mehr im Büro sondern stattdessen in einem Restaurant oder sonst einem öffentlichen Ort.
Besonders beunruhigend sei für viele die Tatsache, dass es ausgerechnet eine Gallionsfigur wie Sombath getroffen habe. "Zwar gab es in der Vergangenheit auch einzelne Fälle, wo Personen verschwunden sind. Aber man dachte, dass Sombaths Bekanntheitsgrad ihn schützen würde", erklärt Phil Robertson. "Jetzt ist allen klar geworden, wie gefährlich die Lage ist und dass sie ihre Meinung lieber für sich behalten sollten."
Lebt Sombath noch?
Genau drei Monate ist es her, seit Sombath auf den Straßen von Vientiane zuletzt gesehen wurde. Drei Monate Ungewissheit liegen hinter seiner Frau, seinen Freunden, seinen Unterstützern. Sie geben die Hoffnung nicht auf, ihn lebend wiederzusehen. Im Internet haben sie eine Seite eingerichtet, um die Öffentlichkeit über sein Schicksal auf dem Laufenden zu halten. Auch Phil Robertson möchte nicht vom Schlimmsten ausgehen, gibt sich betont zuversichtlich. "Wir müssen einfach optimistisch sein und daran glauben, dass Sombath noch lebt."