Wladimir Putin - Vom Hoffnungsträger zum Feind
14. März 2024Wenn Wladimir Putin am Wochenende als russischer Präsident wiedergewählt wird, bleibt für viele die Frage: Worauf soll sich die Welt gefasst machen? Was fällt Putin diesmal ein? Wie weit geht er auf Distanz zur EU und den USA in seinen weiteren sechs Amtsjahren? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die einstige Hoffnung auf eine Annäherung an Europa nur ein leerer Wunsch blieb und der einstige Hoffnungsträger 24 Jahre später zum erbitterten Kämpfer gegen die westliche Welt wurde?
Zwei Russen bemühen sich um eine Antwort; zwei Männer aus sehr unterschiedlichen Umfeldern und Generationen. Beide sind in ihrem Heimatland Russland einem Millionenpublikum bekannt - der eine, 60 Jahre alt, durch Dutzende preisgekrönte Dokumentarfilme, der andere, erst 24, durch Dutzende kontroverse Internet-Auftritte: Witali Manski ist Russlands bekanntester Dokumentarfilmer, Alexander Stefanow ist Russlands bekanntester Historiker auf Youtube. Beide kennen Putin: Manski persönlich, als Autor von zwei Filmen über den russischen Präsidenten, Stefanow aus den Medien und seinen politikwissenschaftlichen Studien.
Blick hinter die Kulissen des Kremls
Witali Manski schaute für seinen Film "Russland – Der Anfang" im Jahr 2000 hinter die Kulissen des Kremls. Er folgte Putin nachts in seine Privatresidenz und begleitete ihn morgens in sein Schwimmbad. Der Regisseur kam dem Präsidenten während der Dreharbeiten so nah wie kaum ein Kremlbeamter. Manski lebt heute in Lettland und hat kein Interesse, Putin nochmal zu treffen.
Der junge Youtuber dagegen lebt in Russland und träumt davon, den Staatschef persönlich kennenzulernen. Stefanow kennt keinen anderen Herrscher in Russland außer Putin: "Machtwechsel? Wie geht das denn?", scherzt er. Als der 24-Jährige geboren wurde, betrat Putin den Kreml.
Putin - "Was für ein pfiffiger Kerl!"
Bewusst wahrgenommen habe Stefanow ihn zum ersten Mal im Fernsehen im Alter von zehn Jahren, erinnert er sich, als Figur einer lustigen Polit-Show: "Da gab es eine Episode, in der die Rochade Putin-Medwedew spielerisch gezeigt wurde. Ich dachte, wie geschickt Putin das Ganze eingefädelt hat! Was für ein pfiffiger Kerl!" Gemeint ist der vorübergehende Wechsel von Putin aus dem Amt des Präsidenten ins Amt des Ministerpräsidenten nach zwei Amtsperioden. Putins Jugendfreund Dmitri Medwedew wurde für diese Zeit Präsident. Später tauschten die beiden ihre Ämter wieder.
Im Laufe der Jahre sei jedoch Stefanows Wahrnehmung von Putin immer negativer geworden: "Ich sah immer weniger einen Menschen dahinter und immer mehr eine politische Gestalt ohne Ängste und Zweifel." Für den jungen Mann seien das Folgen der staatlichen Propaganda: "Sie entmenschlichen Putin und vergöttlichen ihn, sodass jeder sagen kann: Er wurde uns von Gott geschenkt!"
Unter Putin sofort eine "ganz andere Atmosphäre"
Der Regisseur Witali Manski beschreibt Putins Metamorphose aus einer persönlichen Beobachtung, die viel viel früher begann. Er habe noch vor Putin den Kreml besucht, wo Politiker der 1990er Jahre "in azurblauen Pullis und Wollschals herumliefen," was wohl ein Zeichen der liberalen Politik von Putins Vorgänger Boris Jelzin war. "Am 26. März 2000 waren die Wahlen, dann kam die Amtseinführung im Mai und dann - wums! - herrschte schon im September eine ganz andere Atmosphäre."
Nach Jelzin, den Manski als "eigentümlichen Herrscher" beschreibt, kam ein völlig neuer Typus von Staatschef. "Er war die Wahl des liberalen Blocks um Jelzin. Das Gegenporträt seines Vorgängers: jung, sportlich, liberal. Aber auch ein Staatsmann, der den Staat in Ordnung hält", sagt Manski. "Putin arbeitete mit diesem Kontrast, dabei war er aber nicht der Autor dieses Images. Er erfüllte bloß die Rolle, die ihm politische Berater vorgeschrieben hatten. Er war sehr vorsichtig, um nicht auszurutschen, um nicht zu stolpern." Dabei sei der russische Präsident bestrebt gewesen, sogar noch westlicher und liberaler zu wirken, als es von ihm verlangt wurde. Zum Beispiel habe Putin sich immer auf die Entscheidungen anderer bezogen. Anderen gegenüber sei er sehr respektvoll gewesen.
Den Westen immer als Gegner gesehen
Der junge Historiker Stefanow glaubt, dass Putin in seinen ersten Jahren vom Westen fasziniert gewesen sei und erst später enttäuscht wurde: "Schließlich konnte Russland (in den frühen 2000ern) politisch punkten, die Wirtschaft stabilisierte sich, die Ölpreise stiegen. Aber Putin war mit dem System der internationalen Beziehungen nach dem Kalten Krieg nicht zufrieden." So habe er die Alleinherrschaft der USA kritisiert.
Der Filmemacher Manski dagegen glaubt, dass Putin den Westen nie gemocht habe. "Er hat immer eine eindeutige Haltung gegenüber dem Westen als Gegner der Entwicklung Russlands gehabt. Das ist sein Grundverständnis." Unter Jelzin trat Russland vielen internationalen Institutionen bei. Der Ausstieg sei für Putin zwar schwierig gewesen, aber er habe ihn dennoch ihn konsequent verfolgt: "Jede Maßnahme, die er in den folgenden Jahren ergriff, zielte darauf ab, Russland aus der internationalen Gemeinschaft zurückzuziehen."
"Er musste lügen"
Auch hätten die Menschen, die ihn erfunden hatten, seine Politikberater und Jelzin-Familienmitglieder, die Situation zu früh sich selbst überlassen. Putin habe sich zu schnell verselbständigt. Und schon 2004 habe es keine Kontrolle mehr über ihn gegeben: "Er distanzierte sich von der liberalen Gruppe seiner Betreuer. Und nachdem er unabhängig geworden war, begann er, seine Vorstellung von Gut und Böse zu verwirklichen. Seine Weltanschauung, seine Vorstellung vom Staatsaufbau hat sich nie verändert. Er musste lügen, um in die liberale Doktrin zu passen."
Putins Metamorphose sei logisch gewesen, sie sei aber nicht sofort gekommen: "Der Winter kommt ja auch nicht sofort. Erst kommt der Regen, dann der Schnee und der Frost. Die Frage ist, wie lange dieser Winter dauern wird", sagt Manski.
Für den Youtuber Stefanow ist die Antwort klar: nicht sehr lange. Er glaubt fest daran, dass Russland in den nächsten sechs Jahren trotz Putin freier werden kann. Schließlich sei seine Heimat schon immer Teil der europäischen Zivilisation gewesen und das werde auch weiter so bleiben.
"Was soll ein 24-Jähriger auch sonst glauben", sagt der 60-jährige Manski mit einem Lächeln. "Gut, dass es Menschen gibt, die unseren grauen Alltag mit ihrem Optimismus erhellen." Er selbst aber habe längst keine Illusionen mehr: "Keine Liberalisierung, kein Tauwetter ist möglich. Jedes Loslassen der Zügel ist destruktiv für dieses System."
In einem sind sich der junge Youtuber und der ältere Filmemacher aber einig: Beide glauben, dass Wladimir Putin bis zu seinem Tod Russlands Schicksal lenken werde.