"Wirtschaft braucht stabile Regierung"
25. September 2017DW: Herr Fuest, Deutschland hat gewählt, mit einem durchaus überraschenden Ausgang: Starke Verluste für die sogenannten Volksparteien CDU und SPD, der Wiedereinzug der FDP in den deutschen Bundestag, aber eben auch und vor allem das starke Abschneiden der AfD. Was bedeutet dies alles für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Clemens Fuest: Aus meiner Sicht ist die große Koalition abgewählt. Das hat Vor- und Nachteile für die Wirtschaft. Die große Koalition stand für Stabilität und Berechenbarkeit. Jetzt zieht Unsicherheit ein, das wird natürlich verstärkt durch ein Einzug der AfD in den Bundestag. Ich denke allerdings, dass man diesen Einzug ins Parlament jetzt auch nicht überbewerten sollte. Es sind 13 Prozent, es ist absehbar, dass es kontroverser wird im Parlament, dass vielleicht ein paar nationalistische Töne kommen. Aber das Ganze sollte man nicht überbewerten.
Jetzt deutet sich womöglich eine sogenannte Jamaika-Koalition an aus CDU, FDP und den Grünen. Ist so eine Konstellation gut für die Wirtschaft in Deutschland? Die Positionen der drei Parteien liegen ja doch zu großen Teilen weit auseinander, zum Beispiel bei so wichtigen Themen wie der Energiewende oder in der Verkehrspolitik. Was meinen Sie?
Ich sehe da schon Potential, dass man in der Wirtschaftspolitik vorankommt und dass man bestimmte Fehler, die die Große Koalition gemacht hat, in so einer Regierungskonstellation vermeidet. Ein Beispiel wäre die Mietpreisbremse. Da hat man sich vorgestellt, dass man das Problem der Wohnungsknappheit mit Höchstgrenzen für Mieten lösen kann oder ärmeren Leuten zu bezahlbaren Wohnungen verhelfen kann. Das Gegenteil wurde erreicht. Solche Fehler kann man vermeiden. Das Risiko besteht sicher darin, dass man sich entweder erst gar nicht auf eine Koalition einigen kann oder die Koalition zwar entsteht, dann aber instabil ist. Wenn die deutsche Politik unberechenbar würde, wäre das für die Wirtschaft sehr schlecht. Es ist also sehr wichtig, dass man in den Verhandlungen die sicherlich erheblichen Differenzen auf den Tisch legt, Kompromisse findet und dann eine stabile Koalition mit klarem Programm bildet.
Was wären denn die Hausaufgaben für eine neue Regierung? Was würden Sie denen ins Pflichtenheft schreiben?
Ganz im Zentrum steht sicherlich die Frage, wie man die deutsche Wirtschaft und auch die ganze Gesellschaft auf Digitalisierung, Automatisierung der Wirtschaft und die voranschreitende Globalisierung vorbereitet. Wie man dafür sorgen will, dass Deutschland auch in Zukunft ein starker Wirtschaftsstandort bleibt. Große Herausforderungen sehe im Ausbildungssystem. Wir brauchen einfach Leute, die sich in dieser neuen Arbeitswelt auskennen.
Dann sehe ich die Herausforderung, dass sich der öffentliche Sektor selbst digitalisieren muss. Fehler drohen im Bereich der digitalen Infrastruktur. Alles mit Glasfaser zupflastern, ist ineffizient und wird unsere Probleme nicht lösen. Wir sollten dort die Infrastruktur ausbauen, wo Engpässe bestehen. Wir müssen außerdem sehen, dass wir nicht aus lauter Angst vor Firmen wie Uber und AirBnB neue Geschäftsmodelle totregulieren. Man muss Machtmissbrauch bekämpfen, aber auch Raum schaffen für neue Geschäftsmodelle.
Der andere große Bereich ist Europa. Wir müssen die Eurozone stabilisieren und die Verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre Politik stärken. Es gibt Herausforderungen im Rentensystem, wir werden unsere demografischen Probleme nicht lösen, indem wir jetzt Geschenke verteilen auf Kosten der jüngeren Generation. Das sind die wichtigsten Punkte, die eine neue Regierung angehen muss.
Nochmal zur AfD: Sie haben zwar gesagt, es sei nicht so schlimm, dass jetzt ein paar schärfere Töne im Bundestag zu hören sein werden. Aber es gibt eben auch nationalistische Töne, die von der AfD schon jetzt zu vernehmen sind. Glauben Sie, dass so etwas Investoren abschrecken könnte?
Weniger die Präsenz der AfD selbst im Bundestag. Was Investoren wohl abschreckt ist, wenn es fremdenfeindliche Ausschreitungen gibt oder Protestaktionen, wie sie etwa Pegida veranstaltet hat. Das gerät durch die Präsenz der AfD natürlich stärker in den Blick der internationalen Öffentlichkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass Investoren sich vielleicht nicht aus Deutschland verabschieden, aber dass sie eben eher nach Westdeutschland gehen als nach Ostdeutschland. Das heißt, die wirtschaftlichen Probleme in Ostdeutschland, die werden durch Fremdenfeindlichkeit und Populismus eher noch verstärkt als dass man sie überwindet.
Clemens Fuest ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen. Fuest ist seit dem 01. April 2016 Präsident des Ifo-Instituts München. Zuvor leitete er das Zentrum für Europäische Wirtschaft Mannheim (ZEW).