Wirtschaftsdiplomatie: Wer investiert in Syrien?
22. Juni 2023Als Teilnehmer des vierten arabisch-französischen Wirtschaftsgipfels in Paris Mitte März dieses Jahres war Musan Nahas offenbar ein gern gesehener Gast. Der syrische Industrielle mit engen Beziehungen zu Diktator Baschar al-Assad posierte auf dem Treffen mit hochrangigen Repräsentanten der französischen Wirtschaft und Politik. Die störten sich offenbar wenig an den Verbindungen ihres Gastes. Das Gipfeltreffen selbst fand unter der Schirmherrschaft des französischen Präsidenten statt.
In der französischen Öffentlichkeit löste das Zusammentreffen seinerzeit einen kleinen Skandal aus. Und empörte syrische Aktivisten fragten, wie Nahas überhaupt nach Frankreich kommen konnte. War Syrien von der Europäischen Union nicht mit Sanktionen belegt worden, fragten sie rhetorisch.
Und noch einen Gedanken äußerten die Assad-Gegner: Könnte die Präsenz von Nahas ein weiterer Hinweis darauf sein, dass viele Staaten bereit sind, die Handelsbeziehungen zu Syrien bald wiederherzustellen - zu einem Staat also, der wegen vielfach dokumentierter Kriegsverbrechen seiner autoritären Regierung seit über einem Jahrzehnt diplomatisch isoliert ist?
Normalisierung der Beziehungen?
Tatsächlich mehren sich die Hinweise, dass das Assad-Regime Schritt für Schritt in die Weltgemeinschaft zurückkehrt, nachdem es mit russischer und iranischer militärischer Unterstützung den Aufstand im Großteil des Landes weitgehend niedergeschlagen hat. So wurde das Land Anfang Mai nach über einem Jahrzehnt wieder in die Arabische Liga aufgenommen.
Dazu passt ein Ereignis aus der vergangenen Woche: Die Leiter der saudischen und syrischen Handelskammern vereinbarten am Rande der Arabisch-Chinesischen Wirtschaftskonferenz in Riad die Wiederaufnahme bilateraler Handelsbeziehungen. Auch irakische Beamte bekundeten entsprechende Absichten.
Syrien überwindet seine Isolation allerdings nicht nur im Nahen Osten. Im Februar, kurz nach dem verheerenden Erdbeben in Syrien und der Türkei, unterzeichnete die italienische Agentur für Entwicklungszusammenarbeit ein Abkommen über eine engere Zusammenarbeit mit dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond - obwohl dessen Verbindungen zur Assad-Regierung bekannt sind. Die italienische Vereinbarung dürfte die erste ihrer Art sein in Europa seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011.
Mehr Worte als Taten
Experten zufolge ist es allerdings fraglich, wie realistisch der Wunsch des Regimes und mancher Akteure nach mehr internationaler Zusammenarbeit und wirtschaftlichen Investitionen in Syrien tatsächlich sind. So stellte sich im Nachhinein auch der Auftritt von Musan Nahas als längst nicht so bedeutsam heraus, wie es zunächst schien.
Selbst die Wirtschaftsinformationsplattform 'Syria Report' kam zu dem Schluss, dass Syrien dadurch mitnichten wieder in der Gunst der EU stehe. Zudem stehe Nahas tatsächlich auch nicht auf der Liste der über 320 syrischen Personen, die von der EU mit Sanktionen belegt wurden. Die Teilnahme von Nahas an diesem Gipfel sehe eher nach einem Patzer der Franzosen aus "als nach einem hinterhältigen Versuch, die Beziehungen zum syrischen Regime zu normalisieren", twitterte Benjamin Feve, investigativer Journalist bei 'Syria-Report'.
Sorge vor Nachteilen
Skepsis gegenüber Erklärungen, man wolle schnellstmöglich wieder Handelsbeziehungen zu Syrien knüpfen, ist offenbar auch in anderen Fällen angebracht.
Auch wenn es so scheint: Es sei keineswegs sicher, dass arabische Länder wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien oder der Irak private Investitionen in Syrien tatsächlich anstrebten oder begrüßten, meint Zaki Mehchy, Associate Fellow bei der in Großbritannien ansässigen Denkfabrik 'Chatham House', gegenüber der DW.
Für diese Länder seien nämlich die internationalen, vor allem von westlichen Ländern getragenen Sanktionen gegen Syrien ein Problem, da sie auch diejenigen betreffen, die mit Syrien Geschäfte machen. Sollte die US-Regierung ein vom Kongress angestrebtes neues Gesetz, den so genannten "Anti Normalisation Act" verabschieden, würden die Sanktionen noch härter werden.
Zudem sei auch das Geschäftsumfeld in Syrien nicht sehr attraktiv, so Mehchy. Es gebe dort nach wie vor ein hohes Maß an Instabilität und Korruption. "Hinzu kommt, dass alle Investitionen, mit denen man schnell Geld verdienen kann - zum Beispiel Öl- oder Gasgeschäfte - bereits von den Russen und Iranern getätigt wurden." Beide Länder sind langjährige Unterstützer der Assad-Regierung.
Politische Investitionsgründe
"Es gibt keinen guten wirtschaftlichen Grund für Investitionen in Syrien", sagt Robert Mogielnicki, Forscher am 'Arab Gulf States Institute' in Washington gegenüber der DW. " Allerdings gibt es durchaus politischen Gründe".
Zu diesen gehörten auf Seiten der arabischen Länder die Verringerung des iranischen Einflusses in Syrien sowie die Eindämmung des illegalen, milliardenschweren Handels mit dem Amphetamin Captagon. Die Nachbarn Syriens, von denen einige Millionen syrischer Flüchtlinge aufnehmen, legten zudem Wert auf eine Stabilisierung des Landes. Diese versuchten sie auch mit finanziellen Mitteln zu erreichen.
Darum sei es durchaus denkbar, dass die Golfstaaten zwar nicht jetzt, wohl aber zu einem späteren Zeitpunkt größer in das Land investieren könnten, so Mogielnicki. Voraussetzung dafür sei aber eine Lockerung der westlichen Sanktionen. Außerdem würden sie die Mittel dann wohl eher über internationale humanitäre Organisationen wie die Vereinten Nationen nach Syrien fließen lassen.
Auch Länder wie China und Indien gelten prinzipiell als interessiert an wirtschaftlichem Engagement in Syrien, doch passiert ist bisher wenig. Auch hier dürften die Syrien-Sanktionen mit zu den entscheidenden abschreckenden Investitionsrisiken gehören, meinen Experten.
Umdenken in der EU?
Und in der EU? Einige Unternehmen mit Sitz in EU-Ländern hätten ihre Haltung Syrien gegenüber bereits wieder etwas gelockert, sagt Mogielnicki. "Ich kenne viele Geschäftsleute etwa in Griechenland oder in Italien, die ihre früheren Geschäftsbeziehungen innerhalb Syriens bereits wieder aufgebaut haben." Es gebe trotz Sanktionen bereits wieder einzelne Geschäfte zwischen Europäern und Syrern. "Aber die Akteure handeln auf indirekte Weise", so der Experte vom 'Arab Gulf States Institute'. So könne ein europäisches Unternehmen beispielsweise eine Geschäftstransaktion mit Syrien über einen Vermittler mit Sitz in einem Golfstaat abwickeln.
Experte Mehchi sieht sogar bereits einen allmählichen Sinneswandel in Europa. Man habe auf dem Kontinent - auch vor dem Hintergrund der gestiegenen humanitären Not durch das jüngste Erdbeben - inzwischen verstanden, dass Syriens arabische Nachbarn sich faktisch gezwungen sähen, wieder mit Assad normal umzugehen, um das Land zu stabilisieren.
Das sieht der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, offenbar ähnlich. "Wir sind nicht auf der gleichen Linie wie die Arabische Liga", betonte er zwar am Rande der EU-Geberkonferenz für Syrien vor Journalisten. "Das heißt aber nicht, dass wir keine Möglichkeiten zur Verbesserung der Lage in Syrien prüfen werden. Wenn die Arabische Liga glaubt, dass diese neue Politik gegenüber Syrien zu Ergebnissen führen kann, werden wir sie darin unterstützen."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.