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Wirtschaftliche Erholung abrupt ausgebremst

17. März 2022

Dass der Krieg in der Ukraine die Wirtschaft auch in Deutschland belasten wird, ist absehbar. Jetzt wagen die Institute erste Prognosen. Lieferketten bleiben extrem angespannt, Rohstoff- und Energiepreise belasten.

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Lkw mit Containern am Hamburger Hafen
Bild: Martin Meissner/AP Photo/picture alliance

Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat seine Wachstumsprognose für Deutschland wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine nahezu halbiert. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr nur noch um 2,1 Prozent zulegen, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Vorhersage. Noch im Dezember waren die Forscher von 4,0 Prozent ausgegangen. "Die deutsche Wirtschaft ist abermals heftigem Gegenwind ausgesetzt", betonten die Forscher. Für 2023 hoben sie zugleich ihre Prognose leicht von 3,3 auf 3,5 Prozent an.

"Der Krieg in der Ukraine führt zu hohen Rohstoffpreisen, neuen Lieferengpässen und schwindenden Absatzmöglichkeiten", betonten die Ökonomen des IfW. "Die hohen Rohstoffpreise verringern die Kaufkraft der verfügbaren Einkommen und dämpfen damit den privaten Konsum." Zudem belasteten zusätzliche Lieferengpässe die Industrie spürbar. Auch dürften sich zumindest vorübergehend die Absatzmöglichkeiten aufgrund der Sanktionen sowie der durch den Krieg gestiegenen Unsicherheit verringern.

Auch das Essener Instituts RWI und das IWH in Halle senkten ihre Prognosen. Das RWI geht nun von 2,5 Prozent aus, nach bislang 3,9 Prozent. Das IWH hat die Erwartungen vergleichsweise moderat von 3,5 auf 3,1 Prozent gedrückt. Die Forscher in Halle setzen darauf, dass die Aufhebung vieler Pandemie-Restriktionen der Wirtschaft einen kräftigen Schub verleihen könnte. Schon am Mittwoch hatte das Wirtschaftsministerium in Berlin in seinem jüngsten Monatsbericht auf "substanzielle Risiken für die deutsche Konjunktur" hingewiesen.

Abrupter Abbruch der startenden Erholung

"All dies trifft die Wirtschaft in einer Phase, in der die dämpfenden Einflüsse der Pandemie nachlassen und eine kräftige Erholung angelegt war", so das IfW. Die in der Pandemie stark aufgestaute Kaufkraft bei den privaten Haushalten und dicke Auftragspolster der Industrie würden zugleich die Schockwellen aus dem Ukraine-Krieg abfedern.

Kraftstoffpreise Benzinpreise
Bei den Preisen ist vorerst keine Entspannung zu erwarten: Tankstelle in DeutschlandBild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Keine Entwarnung geben die Experten bei den Preisen. "Die Inflationsrate dürfte in diesem Jahr mit 5,8 Prozent so hoch ausfallen wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland", hieß es. Selbst wenn die Rohstoffpreise nicht mehr weiter steigen und die Lieferengpässe allmählich nachlassen, werde die Teuerungsrate auch im kommenden Jahr mit 3,4 Prozent wohl noch hoch bleiben.

Probleme bei Lieferketten verschärfen sich

Die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sorgen aus Sicht der deutschen Wirtschaft für eine teils dramatische Verschärfung von Lieferengpässen. Wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) am Donnerstag mitteilte, melden rund 60 Prozent der Firmen zusätzliche Störungen in der Lieferkette und Logistik als Folge des Krieges. Das zeige ein erster Trend aus einer laufenden DIHK-Blitzbefragung zu den wirtschaftlichen Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine.

"Der Stress in der Wirtschaft ist momentan sehr groß", sagte DIHK-Vizepräsident Ralf Stoffels. Die steigenden Energie- und Rohstoffkosten könne kein Mittelständler schlucken. Stoffels ist Chef der BIW Isolierstoffe GmbH, die Silikonkautschuk verarbeitet. "Ohne uns fährt kein Auto vom Band und heizt keine Heizung." Engpässe bei Rohstoffen gebe es seit dem Spätsommer, durch den Krieg habe sich dies aber nun noch verschärft. Lieferzeiten seien zum Teil "gigantisch".

Steamcracker bei BASF in Ludwigshafen
Die Chemiebranche leidet ebenfalls unter hohen Rohstoff- und EnergiepreisenBild: Ronald Wittek/dpa/picture alliance

Stoffels nannte ein Beispiel: Wenn bei einem Gabelstapler das Warnlicht kaputt sei, das nach deutschem Recht blinken müsse, warte die Firma 24 Wochen auf ein Ersatzteil. Der industrielle Mittelstand schiebe ein Auftragspolster vor sich her, das wegen der Lieferengpässe nicht abgearbeitet werden könne. Dazu käme eine Kostenexplosion auch der Energiepreise. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier sagte, Deutschland sei in einem signifikanten Ausmaß von russischen Lieferungen etwa von Nickel oder Titan abhängig. Diese seien zum Teil unverzichtbar. Preissteigerungen bei Rohstoffen und Energie würden am Ende auch beim Verbraucher ankommen.

Chemie- und Pharmabranche heftig betroffen

Auch die konjunkturellen Hoffnungen der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie haben mit dem Krieg in der Ukraine einen herben Dämpfer bekommen. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) zog daher seine Prognose für das laufende Jahr zurück, wie er am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Zuletzt hatte der VCI ein weiteres Rekordjahr mit Zuwächsen bei Umsatz (fünf Prozent) und Produktion (zwei Prozent) erwartet. Eine neue Vorhersage wollte der Verband nun nicht wagen. "Jegliche Prognose wäre im hohen Maß spekulativ", sagte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Die Lage habe sich mit dem Ukraine-Krieg für die energie- und rohstoffintensive Chemiebranche dramatisch verändert, so der VCI. Mit den rasant gestiegenen Preisen für Öl und Erdgas schwinde der finanzielle Spielraum der Unternehmen.

hb/iw (dpa,rtr)