Forscher fordern Ausbau der Geothermie
4. Februar 2022Bisher versorgt das Braunkohlekraftwerk Weisweiler bei Aachen mehrere Städte in der Region ganz im Westen Deutschlands mit Fernwärme. Doch der Kohleausstieg ist beschlossen: Spätestens 2038 ist nach dem aktuellen sogenannten Kohlekompromiss zwischen Kraftwerksbetreibern und Bundesregierung Schluss. Vieles deutet sogar darauf hin, dass steigende CO2-Preise die Braunkohle noch früher unprofitabel machen; die neue Bundesregierung will den Ausstieg vorziehen.
Die Frage, wie man den Wärmebedarf ohne fossile Brennstoffe decken kann, drängt sich aber nicht nur Städten im Rheinischen Revier - also dem Gebiet im Städtedreieck Aachen-Köln-Mönchengladbach - auf. Bisher sehen viele elektrische Wärmepumpen als beste Möglichkeit, den riesigen Wärmebedarf in Deutschland emissionsneutral zu decken. Allerdings zeichnet sich bereits ohne die stromfressenden Pumpen eine Knappheit bei der Stromerzeugung ab.
Strom ist nicht einmal die halbe Energiewende
"Lange wurde bei der Energiewende nur über Strom gesprochen", sagt Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) in Bochum. Nun aber sei es an der Zeit, auch die Wärmewende in den Blick zu nehmen. Was viele unterschätzen: Die Wärme macht mehr als die Hälfte des Gesamtenergieverbrauchs in Deutschland aus.
Deshalb hat sich Bracke mit anderen Wissenschaftlern verschiedener Institute der Fraunhofer- und der Helmholtz-Gesellschaft zusammengetan, um die Nutzung der Erdwärme in den Blickpunkt zu rücken. Am Dienstag stellte die Forschergruppe ihre Roadmap tiefe Geothermie in Deutschland vor.
Kleiner Grundkurs Geothermie
Pro Jahr könnten demnach zwischen 220 und 430 Terawattstunden (TWh) Wärmeenergie aus hydrothermalen Reservoiren gewonnen werden. Das heißt: aus wasserführenden Gesteinsschichten, die 400 bis 5000 Meter tief in der Erde liegen. Das Thermalwasser dort hat Temperaturen zwischen 35 und 180 Grad.
Je nach Temperatur kann es unterschiedlich genutzt werden, beispielsweise um Nah- und Fernwärmnetze zu versorgen. Sie können aber auch weite Teile des industriellen Bedarfs an Niedertemperaturwärme bedienen, die etwa in der Lebensmittel-, der Holz- oder der Papierindustrie benötigt werden.
Die oberflächennahe Geothermie ist eine andere Art der Nutzung von Umgebungstemperatur, die vor allem zum Beheizen, aber auch zum Kühlen kleinerer Gebäude sinnvoll sein kann. Sie wird in der Roadmap ebenso als ergänzend angesehen wie die sogenannte petrothermale Geothermie, bei der Oberflächenwasser in tiefen Gesteinsschichten erhitzt und wieder extrahiert wird.
48 bis 60 Milliarden Euro bis 2030
Allein die hydrothermale Geothermie könnte demnach - "konservativ geschätzt" - rund 25 Prozent des deutschen Wärmebedarfs von rund 1400 TWh pro Jahr decken, sagte Bracke bei der Online-Präsentation vor annähernd 300 Teilnehmern aus Politik, Medien und Fachwelt. Der Rat der Wissenschaftler an die Politik: Schnell handeln, eine solide gesetzliche und regulatorische Basis schaffen, um Investoren Rechtssicherheit zu geben.
Denn Geld muss fließen: Zwei bis 2,5 Milliarden Euro pro Gigawatt Wärmekapazität seien laut Roadmap nötig. Wenn die Nutzungskapazität also - wie die Autoren vorschlagen - bis 2030 von heute unter 0,4 GW auf 24 Gigawatt (GW) ausgebaut würde, wären das 5 bis 7,5 Milliarden Euro jährlich. Das würde für rund 100 TWh Wärmeenergie pro Jahr genügen. In den 2040er müsse dann mit der dreifachen Kapazität das volle Potenzial ausgeschöpft werden.
Ein Weg, die Importabhängigkeit zu reduzieren
Auch die Wärmwende dürfte also nicht billig werden. Doch gemessen an den Alternativen erscheint das gar nicht so viel. So geht Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg davon aus, dass der Einsatz von Wärmepumpen langfristig im Durchschnitt doppelt so viel kosten könnte wie Erdwärme.
In Ermangelung eigener nutzbarer Ressourcen gab Deutschland laut einer Studie des Forschungszentrum Jülich 2018 rund 63 Milliarden Euro für Energieimporte aus. So deckte es etwa 71 Prozent der verbrauchten Energie.
Insofern hat die Erschließung heimischer Energiequellen auch eine geopolitische Dimension. Denn wie konfliktreich die Abhängigkeit von Energieimporten sein kann, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Situation mit Russland - nicht nur, aber auch weil die Rohstoffpreise dann stark steigen können.
Verfügbarkeit entlang der Ballungsräume
In ihrer Roadmap betonen die Autoren aber die wirtschaftliche Seite: "Die Geothermie war schon vor dem Anstieg der Gaspreise wettbewerbsfähig - auch im Vergleich mit fossilen Energieträgern", betont Bracke. Die Kostenannahme - 30 Euro pro Megawattstunde - beruht durchaus auf praktischen Beispielen, die es bisher vor allem im süddeutschen Raum gibt: im Oberrheingraben, in dem zwischen Freiburg im Breisgau und Frankfurt am Main rund zehn Millionen Menschen leben, und in der Gegend um München.
Dort betreiben eine Reihe von Stadtwerken ihre Fernwärmenetze bereits sehr erfolgreich mit Erdwärme. Ähnlich vielversprechende Bedingungen vermuten die Forscher auch im Norddeutschen Becken - und zwar insbesondere entlang der dichter besiedelten Gebiete Ostwestfalen, Hannover und Berlin sowie in der Rhein-Ruhr-Region, dem bevölkerungsreichsten Ballungsraum Deutschlands.
Erdwärme soll Braunkohle ablösen
Genau dort, nämlich am Braunkohlekraftwerk Weisweiler, will das Fraunhofer IEG, das Bracke leitet, ein Technikum aufbauen. Zunächst sollen dort die Potenziale der Region genauer erforscht werden, um dann Explorations-, Bohr- und Nutzungstechnologien weiter zu entwickeln. Perspektivisch könnten dort auch Fachkräfte ausgebildet werden, sagt Bracke der DW. Laut Roadmap könnten bis 2030 bis zu 240.000 Arbeitsplätze in der Geothermie-Branche entstehen, wenn die Ausbaupläne umgesetzt werden.
Doch Weisweiler soll kein reiner Forschungsstandort werden, betont Bracke, sondern auch ein Best-Practice-Beispiel: "Wenn alles läuft, wie wir uns das vorstellen", sagt Bracke, "wird es einen reibungslosen Übergang von der Abwärme aus der Braunkohleverstromung zur Geothermie geben, die dann die Region mit Fernwärme versorgt."
Ganz unumstritten ist die Technologie allerdings nicht. Gerade wenn es um innerstädtische Projekte geht, müssten Bedenken sehr ernst genommen werden, um Akzeptanz zu fördern, betonten die Autoren bei der Präsentation. Allerdings, sagte Bracke der DW, dass die Gefahren von Bergschäden oder Erdbeben aufgrund von Bohrungen gut erforscht und bei bei korrekter Durchführung entsprechend gering sei. Deutlich geringer jedenfalls als gemeinhin beim Abbau von fossilen Energieträgern.