Wird die Loreley enterbt?
22. Juni 2009
Es sieht aus wie für einen Ölmaler aufgebaut: Hinter jeder Flussbiegung wartet eine Ritterburg, gekämmte Weinberge überziehen die steilen Ufer, kleine Kirchdörfer haben sich herausgeputzt. Mit offenem Mund steht Dennis aus Taiwan auf dem kleinen Fähranleger in St. Goar und lässt seine Reisegruppe an sich vorüberziehen.
Historisch-kultureller Ballungsraum – absolut brückenfrei
Beseelt blickt der taiwanesische Tourist ins grüne Tal. So grün, so ruhig sei es, schwärmt er in gebrochenem Englisch. "Diese Luft! Der Duft trägt mich in vergangene Zeiten!" Mit einem Dutzend anderer Besucher wartet Dennis auf ein Touristenschiff zu seiner nächsten Rheintal-Etappe, ein paar Kilometer flussaufwärts: der Loreley, dem wohl berühmtesten Felsen in Deutschland.
Die Sage um eine wunderschöne singende Nixe auf dem 125-Meter hohen Loreley-Felsen hat das Rheintal weltbekannt gemacht. So schön habe die Loreley gesungen, dass die Rheinschiffer sich ablenken ließen und samt ihrer Boote zerschellten. Heinrich Heine kleidete den Loreley-Mythos in eine Ballade. Heine ist nur einer von unzähligen Künstlern, die sich von der Rheinkulisse inspirieren ließen.
Es rumort im romantischen Rheintal
Das Mittelrheintal ist ein kulturell-historischer Ballungsraum, der keinen Vergleich scheuen muss. William Turner malte hier, Victor Hugo und Clemens Brentano wanderten und dichteten am Ufer des breiten Stroms. 2002 "adelte" die UNESCO das Tal mit dem begehrten Titel "Weltkulturerbe". Es könnte also alles in bester Ordnung sein. Doch es rumort im romantischen Tal.
Denn das Mittelrheintal hat viel zu bieten, nur eines nicht: Brücken. Auf den gut 60 Rheinkilometern zwischen Koblenz und Bingen gibt es keine einzige feste Querung. Stattdessen pendeln Fähren zwischen den Ufern. Allerdings nur tagsüber. Im Winter fährt das letzte Boot um 21 Uhr. Außerhalb der Fahrtzeiten ist St. Goar von St. Goarshausen einen Umweg von 80 Kilometern entfernt, mit der Fähre dauert es drei Minuten.
"Wir wollen auch etwas vom Kuchen"
Seit Jahren wird im Rheintal deshalb über eine Brücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen diskutiert. Ein Wettbewerb wurde ausgerufen, drei Entwürfe prämiert: ein Brücke im S-Schwung, eine Sichel und ein Stahlseil-Spinnennetz. Kritisch beäugt wird die Brückenplanung jedoch von der UNESCO. Die fürchtet um eine Zerstörung des Weltkulturerbes. Zwar hat sie das Ausloten eines Brückenbaus genehmigt, mehr aber nicht. Dem Mittelrheintal droht damit wie dem Dresdner Elbtal die Aberkennung des Welterbe-Status.
Das Touristenschiff in St. Goar lässt auf sich warten. Stattdessen passiert eine Schwanenfamilie mit Nachwuchs den Anleger. Als Dennis von der Rheintaler Brückenvision hört, platzt sein rheinromantischer Tagtraum sofort. "No! No!" sagt er mit aufgerissenen Augen. Mutter Natur dürfe man nicht beschädigen.
"Der Rhein trennt mehr als die Berliner Mauer"
Eine Fährfahrt entfernt sitzt Bernhard Roth an seinem Schreibtisch. Der Bürgermeister von St. Goarshausen kann die Argumente von Touristen und auch die Bedenken von Umweltschützern gegen die Brücke verstehen. Aber er hat andere Sorgen. Roth kämpft mit einem defizitären Haushalt und für eine Brücke als Nabelschnur für das rechte Rheinufer.
Denn Flughafen und Autobahn liegen auf dem linken Flussufer, und dort blieben auch die meisten Touristen, sagt Roth. "Wir wollen auch ein Stück vom Kuchen und nicht mehr von der Außenwelt abgeschnitten sein", sagt Roth. Wortreich beschreibt er die vetrackte Lage seiner Rheinseite, die – das nur am Rande, sagt er – im Winter viel mehr Sonnenstunden habe, als die linke Seite.
Die Rheinufer-Rivalität endet mit diesem Anflug. Denn auch auf der linken Seite ist man für die Brücke. "Der Rhein trennt mehr als die Berliner Mauer", zitiert Thomas Bungert ein geflügeltes Wort der Tal-Bewohner. Bungert ist Bürgermeister der linksrheinischen Gemeinde St. Goar-Oberwesel. Die Brücke würde zwar vor allem der rechten Rheinseite nützen, aber schließlich müsse man im Tal zusammenhalten, sagt er. Er hofft darauf, dass eine Querung die Abwanderung der jungen Leute aus dem Tal stoppen und die Wirtschaft stärken wird. Doch er persönlich, sagt er, kenne seine Grenzen: "Der Welterbe-Status ist wichtiger als eine Brücke."
Gehen Pragmatismus und Rheinromantik zusammen?
Der Welterbe-Status hat Prestige und lässt außerdem Fördergelder in die Region fließen. Bungert ist überzeugt, dass Welterbe-Status und Brücke zusammenpassen können. Wichtig sei vor allem der Standort des Bauwerks drei Kilometer stromabwärts von St. Goarshausen. Damit würde sie zumindest nicht die Silhouette des stromaufwärts gelegenen Loreley-Felsens stören. Ob sich die UNESCO damit zufrieden geben wird, ist allerdings nicht sicher. Bungert hofft auf ein positives Signal der UNESCO. Er will nicht noch ein Jahr verlieren, sagt er.
Wellen schwappen, der Anleger schwankt. Dennis’ Schiff legt an, er eilt an Bord, zückt die Kamera. Auf der Promenade kommt Karin angeschlendert, eine Mittfünfzigerin aus Leipzig. Sie hat einen langen Vormittagsspaziergang hinter sich und schaut auch nach Stunden noch verklärt ins Tal, verdreht die Augen als sie vom "Flair" der Gegend sächselt. Dennoch: Für Karin lassen sich Rheinromantik und Pragmatismus gerade im Mittelrheintal bestens kombinieren. "Hier ist so viel wunderschöne Landschaft, die kann diese eine Brücke, die dringend gebraucht wird, nicht kaputtmachen."
Autor: Benjamin Braden
Redaktion: Manfred Götzke