"Wir wollen beim Kohleausstieg mitreden"
5. Mai 2015Deutsche Welle: Herr Scheidt, die Bundesregierung will bis 2020 den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent senken. Die Gewerkschaft Verdi unterstützt die Energiewende und dieses Regierungsziel. Nun plant die Regierung konkrete Maßnahmen und will die besonders klimaschädliche Braunkohleverstromung drosseln. Klima- und Umweltexperten finden den Vorschlag gut. Was sagen Sie?
Bei diesem Vorschlag werden Arbeitsplätze verloren gehen und das ist schlecht. Wir wollen einen Klimabeitrag, der die Belange der Beschäftigten in den Braunkohleunternehmen berücksichtig und sozialverträglich ist.
Ihnen geht es vor allem um den sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen und dass die Arbeitnehmer nicht alleine gelassen werden?
Um genau diesen Punkt geht es. Wir wollen beim Strukturwandel in den Regionen mitarbeiten, Perspektiven entwickeln und neue Arbeitsplätze. Als Vorbild sehen wir den vollzogenen Strukturwandel mit dem Ende des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet.
Sie fordern die Einbeziehung der Arbeitnehmer in den Strukturwandel der Energiewirtschaft?
Darum geht es. Wir sind für die Energiewende, für den Klimaschutz und für die Reduktion der Treibhausgase. Aber wir wollen keine einseitige Belastung nur der Arbeitnehmer, sondern eine strukturierte Umgestaltung in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren. Und zur Versorgungssicherheit brauchen wir in den nächsten 20 bis 40 Jahren noch fossile Energien.
Aber warum gibt es dann Protest von Ihnen? In den Zeitungen steht, dass Vertreter der Gewerkschaften gegen die geplante Klimaschutzabgabe der Bundesregierung sind.
Ich sag das mal flapsig: Meistens ist es so, dass die Presse unsere Position nicht ausreichend aufzeigt. Einigen geht es vor allem um Schlagzeilen, "Gegen Braunkohle", "Für Braunkohle". Wir haben aber zehn Kernbotschaften zur Energiewende und auf vier Seiten unsere Positionen beschrieben. Aber das wird nicht gedruckt, weil man dafür mehr Platz einräumen müsste.
Die Medien berichten über sie einseitig?
So würde ich das nicht sagen, weil die Fachpresse ausführlich berichtet. Aber vor Ort jagt eine Demonstration die andere. Und diese Berichte sind natürlich einfacher, als wenn man ins Detail geht und zum Beispiel über Netzentgelte redet, über Strukturwandel, über Versorgungssicherheit. Das ist eher etwas für Insider.
Sie warnen jetzt vor dem Wegfall der Arbeitsplätze im Bereich der Braunkohle. Derzeit arbeiten dort 22.000 Menschen. Im Bereich der deutschen Solarindustrie gingen zwischen 2012 und 2013, also in nur einem Jahr, mehr als doppelt so viele Arbeitsplätze verloren, über 45.000. Da hörte man von Ihnen keinen Protest. Wie ist das zu erklären?
Da gab es selbstverständlich auch Protest. Wir haben kritisiert, dass mit deutschen Fördergeldern die chinesische Solarindustrie aufgebaut wurde und jetzt unsere Arbeitsplätze in der Solarindustrie verloren gegangen sind. Darauf haben wir aufmerksam gemacht. Aber das sind Themen für Insider und die bringen keine Schlagzeilen.
Weltweit sind schon heute viele tausend Menschen vom Klimawandel betroffen, Dürren und Orkane nehmen zu. Die Lebensgrundlage nachfolgender Generationen wird durch den Klimawandel zerstört. Bei Ihren Demonstrationen hört man in diesem Zusammenhang das Wort Solidarität selten.
Da muss man schon auf alle Demonstrationen gehen und genau zuhören. Wir sind für den Klimaschutz und das Kyoto-Abkommen. Wir wollen, dass alle Staaten das Abkommen zur Reduktion der Treibhausgase auch ratifizieren. Unter anderem sind die USA diesen Zielen noch nicht beigetreten. Wir sind für das Abkommen und die Umsetzung.
Welchen Weg schlagen Sie jetzt in den nächsten Monaten vor?
Wir wollen, dass in Deutschland die Kraft-Wärme-Koppelung weiter ausgebaut wird. Diese Kraftwerke produzieren zugleich Wärme und Strom und sind deshalb klimafreundlicher. So könnten wir auch zwischen 20 und 30 Millionen Tonnen CO2 in Deutschland einsparen.
Dafür sollen dann die klimaschädlichsten Braunkohlekraftwerke weiter CO2 austoßen?
Jein. Es geht um die Vereinbarung eines Ausstiegsszenarios. Und bei diesem Szenario sollen Stromkunden und das Klima nicht belastet werden. Wir können uns vorstellen, dass Braunkohlekraftwerke noch als Reserve für X Jahre am Netz bleiben und sie dann Strom produzieren, wenn andere Kraftwerke nicht genug Strom liefern. Dies wäre ein Markt für Reservekraftwerke, ein sogenannter Kapazitätsmarkt. Und dann könnten auch diese Kraftwerke sukzessiv vom Netz gehen.
Wie sehen sie die Entwicklung in den nächsten Monaten?
Wir haben jetzt sehr gute Gespräche mit dem Wirtschaftsministerium und sind dort in einen Arbeitskreis eingebunden, um Alternativvorschläge zu machen. Ich bin davon überzeugt, dass man im Konsens ein Ergebnis erzielt und damit den richtigen Weg für Klimaschutz, Arbeitsplätze, Verbraucher und Industrie.
Andreas Scheidt ist im Vorstand der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft verd.di und Vorsitzender im Bundesfachbereich Ver- und Entsorgung. Zugleich ist er Mitglied der SPD.
Das Interview führte Gero Rueter.