"Wir werden wieder ernst genommen"
19. Februar 2015Der neue, junge Mann an der Spitze Griechenlands ist der erste linke Ministerpräsident in der Geschichte des neugriechischen Staates. Doch womit niemand gerechnet hat: Alexis Tsipras hat eine regelrechte Euphoriewelle im Land ausgelöst, wie Hoteliersfrau Froso Hatziliadu aus Thessaloniki erzählt. "Allein wieder erhobenen Hauptes und gleichberechtigt in Brüssel verhandeln zu können, ist ein enormer Fortschritt. Das war vorher keineswegs so." Man hatte doch, so sagt sie weiter, ständig das Gefühl, von den EU-Partnern nicht ernst genommen zu werden. "Jetzt hört man sich unsere Probleme wieder an. In einem modernen Staatengebilde macht eben nicht nur die Krawatte den Mann."
Kämpfer für soziale Gerechtigkeit
Auch der Rentner Dimitris Lanzis hat Tsipras gewählt, weil er der Mittelschicht die durch die Krise verlorene Würde und das Selbstbewusstsein wieder zurückgeben wolle. Selbst wenn Tsipras nur die Hälfte von dem erreicht, was er versprochen hat, so glaubt Lanzis, würde er wieder gewählt werden. Allein deshalb, weil er in Brüssel um mehr soziale Gerechtigkeit für sein Land kämpfe.
Das Wichtigste sei jetzt, dem Land die notwendige Unterstützung zu geben. "Die Löhne müssen so sein, dass die Menschen davon leben können. Dass sie ihr Auto fahren und ihre Miete zahlen können. Dass sie ins Theater gehen oder in Urlaub fahren können." Aber vor allem dürfe man nicht zulassen, "wie die alte Regierung", dass junge Menschen unter 25 Jahren für ihre Arbeit höchstens 400 Euro verdienen dürfen.
"Unsere Psychologie hat sich gewandelt"
Im Restaurant von Aristoteles Papadimitriu brummt es seit den Wahlen so stark wie schon lange nicht mehr. Die Begeisterungswelle in der Bevölkerung hat für den Gastwirt mit der Mentalität der Griechen zu tun, aber auch mit dem Glauben, nur diese neue, klientelfreie, junge Regierung könne und wolle die Missstände bei der Steuerhinterziehung, in der Bildung und bei der Gesundheitsversorgung ernsthaft beseitigen. Er sehe eine ungeheure Dynamik, die sofort nach den Wahlen entstanden sei, sagt Papadimitriu. "Wer kann ernsthaft behaupten, uns gehe es bereits besser? Wir fühlen uns gestärkt, sollten aber noch mit den Urteilen abwarten." Die neue Regierung habe ja gerade erst ihr Amt übernommen. "Im Geldbeutel des Bürgers hat sich das noch nicht bemerkbar gemacht. Aber unsere Psychologie hat sich gewandelt. Und das macht bei uns den Unterschied. Ich habe seitdem wirklich mehr Gäste in meinem Geschäft."
Sein Restaurant hat Aristoteles Papadimitriu "Ohi alla basana" genannt, zu Deutsch: Keine Sorgen mehr. Doch Sorgen hatte er in den vergangenen Jahren genug. Vor allem finanzielle. Er glaubt bis heute, die EU-Partner würden Griechenland mit Ignoranz begegnen. Tsipras werde hingegen alle daran erinnern, dass man sich vor den Problemen Griechenlands nicht so leicht davonschleichen könne.
"Ein tapferer Mann"
Ähnlich denkt auch Malermeister Jiannis Tsikas, der seit über 40 Jahren ein Geschäft im Herzen Thessalonikis betreibt. Er hat zum ersten Mal in seinem Leben links gewählt und ist glücklich darüber. Tsipras sei der erste Politiker, den man zu 100 Prozent verstehen würde. Einer, der die Sprache der Menschen spreche. Für den Geschäftsmann eine wunderbare Erfahrung. Zum ersten Mal erlebe er in Tsipras einen Politiker, der auch meine, was er sage. "Alle Griechen sind mit ihren Gebeten momentan bei Tsipras. Und wenn morgen in Brüssel verhandelt wird, bin ich bei der friedlichen Kundgebung im Zentrum Thessalonikis dabei. Das Volk fühlt mit den jungen Linken. Er hat uns Hoffnung gegeben, dass dieses Land tatsächlich wieder erhobenen Hauptes in Europa bestehen wird. Für mich ist er ein tapferer Mann."
Nach ihrem Wahlsieg ist die linke Syriza-Partei auf der Beliebtheitsskala der griechischen Bevölkerung noch weiter gestiegen. Momentan auf über 80 Prozent. Selbst diejenigen, die nicht Syriza gewählt haben, glauben inzwischen an den Erfolg dieser Partei. Und trotz aller Schwierigkeiten, sich mit den EU-Partnern zu einigen, sind die meisten Griechen überzeugt, die richtigen Leute am Verhandlungstisch mit Europa sitzen zu haben.