"Wir haben an Selbstbewusstsein gewonnen"
14. Dezember 2012DW: Herr Yousef, wie sehen Sie die Lage der Hamas nach dem Krieg gegen Israel im vergangenen November?
Ahmad Yousef: Wir haben an Selbstbewusstsein gewonnen. Wir haben zwar viel Blut verloren. Aber wir haben den Israelis zwei Botschaften vermittelt. Erstens, dass beide Parteien die Auswirkungen des Kriegs zu spüren bekommen. Und zweitens: Wenn ein Mitglied der Hamas ins Visier genommen wird, werden wir ihn rächen. So hat der Krieg unsere Moral gestärkt. Zudem hat er die Palästinenser geeint. Bislang verlief zwischen Fatah und Hamas ein Riss. Doch während der achttägigen Kämpfe haben sich die Palästinenser vereint. Das spiegelt sich auch in der Beziehung von Fatah und Hamas. Die Regierungen beider Teilgebiete - der Westbank ebenso wie des Gazastreifens - lockerten ihre Einschränkungen für die jeweils andere Seite. Die Palästinenser reden von nationaler Versöhnung und diskutieren, wie sich die Kluft zwischen den beiden Gruppen überbrücken lässt.
Israel macht für den Krieg den dauernden Raketenbeschuss aus Gaza verantwortlich. Seit Anfang des Jahres bis zum Ausbruch des Krieges sollen rund 1400 Raketen abgefeuert worden sein.
Es ist richtig, dass die Hamas im Gazastreifen militante Gruppen kontrolliert. Dazu fühlen wir uns berechtigt, denn Gaza und das Westjordanland stehen noch unter israelischer Besatzung. Zugleich versucht die Hamas-Regierung die Waffenruhe einzuhalten, zu der sich die verschiedenen Milizen verpflichtet haben. Zur Vorgeschichte: Es liefen Verhandlungen zu einem Waffenstillstand. Doch dann töteten die Israelis Ahmed Al-Dschabari (den militärischen Führer der Hamas, die Red.). Das war der Moment, in dem die Gewalt ausbrach. Wenn die Israelis eine so wichtige Person wie Al-Dschabari töten, kann niemand erwarten, dass sich Hamas ruhig verhält oder jemanden davon abhält, Rache zu nehmen.
Es heißt, Al-Dschabari habe Friedensgespräche mit Israel geführt. Stimmt das?
Er sprach nicht direkt mit den Israelis, sondern mit den Ägyptern. Es gab bereits mehrere Waffenstillstandsvereinbarungen zwischen Israel und Hamas, und immer hat Ägypten sie vermittelt. Es gibt keine Beziehungen zwischen uns in Gaza und den Israelis. Für Verhandlungen brauchen wir eine dritte Partei. Diese Rolle übernahm Ägypten. Die Ägypter sprangen auch bei den Verhandlungen während der Kriegstage ein. Ihnen haben wir unsere Erwartungen an das Waffenstillstandsabkommen mitgeteilt.
Seit 25 Jahren existiert die berühmt-berüchtigte "Charta" der Hamas, die im "Jihad" die einzige Möglichkeit zur Lösung der palästinensischen Frage sieht. Die Charta hat der Hamas internationale Kritik eingebracht…
Die Charta wurde während der Ersten Intifada geschrieben. Es ging damals darum, die Palästinenser gegen die Besatzung zu mobilisieren. Aber seit 20 Jahren ist sie nicht mehr in Gebrauch. Wir nehmen sie weder als Grundlage unseres Unterrichts, noch beziehen wir uns auf sie. Wenn man die Hamas beurteilen will, soll man das auf Grundlage ihrer Arbeit als politische Partei oder als Regierung tun. Oder nach dem, was unsere Führer sagen. Und sie sprechen von Palästina als einem Staat in den Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt. Wir sind eine politische Partei, eine Befreiungsbewegung, mit einem islamischen Weltbild. Ich versichere Ihnen, dass diese Charta nicht mehr in Gebrauch ist.
Der Führer der Hamas, Khaled Mashal, hat im Januar dieses Jahres sein Büro in Damaskus aufgegeben. Seitdem residiert er in Doha, der Hauptstadt des Emirats Qatar. Was bedeutet das für die internationale Arbeit der Hamas?
Der Wechsel fand aufgrund des blutigen Kampfes, der Revolution in Syrien statt. Wir nahmen zur Kenntnis, dass Bashar al-Assad seine Truppen auf die eigene Bevölkerung schießen ließ. Für uns ist das unfassbar. Wir, die wir selbst unter Überwachung, Unterdrückung und Besatzung leben, können das nicht hinnehmen. Darum haben wir beschlossen, Syrien zu verlassen. Der Iran versuchte uns eine Zeitlang dafür zu bestrafen, indem er uns finanziell nicht mehr unterstützte. Aber wir können in dieser Hinsicht keine Kompromisse machen. Doch nun unterstützt der Iran Hamas sowohl militärisch wie auch finanziell wieder. Aber wir haben unsere Prinzipien. Wir dulden es nicht, wenn jemand uns zu diktieren versucht, was wir zu tun haben. Wir sind nicht die Partei der Syrer, der Iraner oder von sonst jemandem. Aber inzwischen erhalten wir auch von anderen Hilfe: Von Ägypten, Qatar, Saudi Arabien und der Türkei.
Derzeit scheint es, als gebe es eine neue Annäherung zwischen Hamas und Fatah. Wie steht es um die Beziehung der beiden Partien?
Wir stehen einander sehr nah. Die politischen und militärischen Ereignisse der letzten Zeit haben uns noch mehr miteinander verbunden. Derzeit prüfen wir, wann wir in Kairo Gespräche über die nationale Aussöhnung aufnehmen können. Derzeit sind die Ägypter mit anderen Fragen beschäftigt, was wir sehr gut verstehen. Doch zu Beginn des nächsten Jahres werden wir uns treffen und miteinander reden. Wir hoffen, die nationale Versöhnung dann verwirklichen und die Spaltung zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen überwinden zu können. Dann könnte es eine Übergangsregierung geben, an deren Ende nach sechs Monaten nationale Wahlen stehen. Beide Seiten sind sich einig, ein System der geteilten Macht zu errichten, das alle nationalen und religiösen Gruppen umfasst.
Hamas-sprecher Ahmad Yousef ist politischer Berater von Ismael Haniyah, dem Premieminister des von der Hamas regierten Gazastreifens.
Das Interview führte Kersten Knipp.