Willkommen - aber mit Vorbehalten
6. März 2015Lange war Einwanderung nach Deutschland ein fremd anmutendes Thema, eines, welches die USA auszeichnet, aber irgendwie nicht zu Deutschland passt. Doch die Realitäten der Demografie und der Bedarf nach qualifizierten Arbeitskräften haben die Diskussion verändert. Seit Jahren wächst die Zahl der Einwanderer, jetzt wächst auch die Offenheit gegenüber Einwanderern, bestätigt eine repräsentative Befragung von rund 2000 Deutschen ab 14 Jahren. Und: Zuwanderer werden mittlerweile nicht mehr nur als nützliche Arbeitskräfte gesehen, sondern als Neu- und Mitbürger. Getreu dem kanadischen Einwanderungsmotto: "Immigration is about citizenship - not just about labour." (Etwa: Bei Einwanderung geht es um Staatsbürgerschaft und nicht nur um Arbeit). Was klingt wie ein Reifezeugnis, hat offensichtlich viel mit einer veränderten Willkommenskultur zu tun.
Überalterung und Fachkräftemangel verändern die Diskussion
Seit Deutschland en vogue ist für Zuwanderer, hat der Begriff Konjunktur. Das Problem bei dem politisch so korrekt daher kommenden Wort ist sein Verschleierungseffekt. Einwanderung wurde in Deutschland lange Zeit eher als Problem wahrgenommen. Angst vor "Überfremdung", Sorge um die Belastbarkeit des Sozialstaates und diffuse Befürchtungen, mit den Zuwanderern käme mehr Kriminalität ins Land, um diese Schlagworte ging es lange in der Diskussion um das "Einwanderungsland Deutschland". Doch die Stimmung verändert sich.
"Etwa zehn Prozent mehr Deutsche - sowohl bei der Bevölkerung, als auch bei den staatlichen Stellen - heißen Einwanderer nun willkommen als noch vor 2012", sagt Franco Zotta, einer der Projektleiter der Studie, die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Was vor allem anderen daran liegt, dass der Fachkräftemangel und der demografische Wandel als Probleme der deutschen Gesellschaft wahrgenommen werden. "Und da ist", so Franco Zotta gegenüber der Deutschen Welle, "Zuwanderung eine der wenigen Möglichkeiten, wie man kurzfristig reagieren kann."
Willkommen im Westen, Vorbehalte im Osten
Knapp eine halbe Million Einwanderer kamen 2013 nach Deutschland - und blieben. Mehr Migranten verzeichneten nur die USA. Und auch im kleineren Maßstab ist Deutschland das Top-Ziel. Jeden dritten Migranten aus dem EU-Raum zieht es nach Bayern, Hessen oder Thüringen. Die Magnetwirkung Deutschlands auf Migranten wird allerdings in Ostdeutschland kritischer betrachtet als im Westen. Fast jeder Zweite zwischen Rostock und Dresden glaubt, Einwanderer seien bei uns nicht willkommen. Demgegenüber vertritt diese Meinung im Westen nur ein Drittel der Befragten.
Franco Zotta sieht die Vorbehalte der Ostdeutschen gegenüber Einwanderern vor allem in der fehlenden Begegnung. "Es wohnen etwa 96 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund in Westdeutschland und knapp vier Prozent in Ostdeutschland. Es fehlen Berührungspunkte - und es gibt wenige positive Erfahrungen, was das Zusammenleben angeht.“ Und das ist ein besonderes Problem, denn gerade der Osten ist wegen des Bevölkerungsrückgangs mittel- und langfristig auf Zuwanderer angewiesen. Die Effekte des demographischen Wandels werden, so die Autoren der Bertelsmann-Studie, unterschätzt.
"Behörden-Deutschland" muss reagieren
Sollen Einwanderung und Integration gelingen, so der Befund der Studie, dürfen die deutschen Behörden nicht ausschließlich Anforderungen an die Neuankömmlinge haben. Vor allem die Anerkennung ausländischer Schul-, Universitäts- und Berufsabschlüsse wünschen sich fast 80 Prozent der Befragten für die Neu-Deutschen. Auch beim Thema Familiennachzug sollte "Vater Staat" hilfreich und nicht nur blockierend auftreten. Und auch das Dauerthema doppelte Staatsangehörigkeit zählt zum Kanon denkbarer Anreize, um Einwanderung dauerhaft attraktiv zu machen.