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Willkommenskultur, gibt's die noch?

Richard A. Fuchs, Berlin 8. April 2016

Spenden, Sprachunterricht und Patenschaften: Ehrenamtliche unterstützen Flüchtlinge seit Monaten. Doch die Euphorie ist der Ernüchterung gewichen: Die Helfer selbst sind heute Drohungen ausgesetzt und brauchen Hilfe.

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Deutschland Merkel Selfie mit Anas Modamani (Bild: Getty Images/S. Gallup)
Bild: Getty Images/S. Gallup

Jonas ist seinem Wunsch, Pate für einen Geflüchteten zu werden, ein großes Stück näher gekommen. Zusammen mit acht anderen Freiwilligen sitzt er im Haus des Deutschen Roten Kreuzes im Berliner Stadtteil Wedding und füllt Fragebögen aus.

Mentorin Ina, die für die Initiative "Wedding Hilft" Patenschaften mit Asylbewerbern vermittelt, will mehr über seine Motivation als Freiwilliger erfahren. Sie ist selbst Patin einer syrischen Familie mit zwei Kindern. "Hast du eine Vorstellung, was du nach sechs Monaten Patenschaft mit einem Geflüchteten erreicht haben willst?", fragt die Mentorin den 26-Jährigen Studenten, der erst wenige Wochen in Berlin lebt. Jonas grübelt einen Moment, dann sprudelt es aus ihm heraus. "Ich glaube, dass man immer davon profitiert, wenn man auf andere zugeht", antwortet er. "Deshalb will ich dem Geflüchteten Deutschland zeigen – und der soll mir zeigen, wie die Welt mit anderen Augen aussieht".

Mentorin Ina protokolliert das Gesagte im Fragebogen. Das ist die Grundlage dafür, um für Jonas später den passenden Partner zu finden. Über 50 Flüchtlinge hat die Initiative interviewt, rund 20 Paten stehen dem bislang gegenüber. Geschlossen wurden neun Bündnisse auf Zeit – und blickt man auf den Enthusiasmus der Gruppe, werden viele weitere folgen.

Helferin Ina im DRK-Haus in Berlin-Wedding Bild: Richard Fuchs
Helferin Ina vermittelt Flüchtlingen Paten, mit denen diese Behördengänge und den Alltag meisternBild: DW/R. Fuchs

"Wir arbeiten uns jetzt langsam von Heim zu Heim vor", verspricht Ina. Der Bedarf sei "riesengroß": 43.000 Flüchtlinge hat die Senatsverwaltung Berlins registriert, viele sehnten sich nach einem Paten, einer Patin, die bei Behördengängen unterstützen oder die helfen, gemeinsam den Alltag zu meistern. Ihr Engagement, sagt die freiwillige Helferin leise und nachdenklich, sei der Versuch, eine persönliche Willkommenskultur aufrecht zu erhalten. "Das ist mir wichtig – gerade jetzt, wo der Begriff der Willkommenskultur zunehmend negativ besetzt ist."

Aufnahme und Abwehr

Und in der Tat: Viel ist geschehen, seit die Bilder des vergangenen Sommers aus Deutschland um die Welt gingen. Damals empfingen zigtausende Bürger Flüchtlinge mit "Refugees Welcome"-Plakaten an Bahnhöfen und Unterkünften, eine große Spendenwelle erfasste das Land. Zehntausende Deutsche arbeiteten ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe.

Jetzt, sechs Monate später, scheint diese Art der Willkommenskultur wie ein Relikt aus grauer Vorzeit. Die rechtsextremen Pegida-Demonstrationen in Dresden ebneten den Weg für eine Verrohung der politischen Debatte – begleitet von einer beharrlich steigenden Zahl an Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte.

Auch in Bautzen brannte ein Flüchtlingsheim. ein rechter Mob applaudierte. Foto: dpa/R. Löb
Auch in Bautzen brannte ein Flüchtlingsheim. ein rechter Mob applaudierte.Bild: picture-alliance/dpa/R. Löb

Übergriffe auf Flüchtlinge in Heidenau, Freital, Clausnitz und zuletzt Bautzen markieren dabei traurige Tiefpunkte. Die Terroranschläge von Paris und Brüssel, sowie die sexuellen Übergriffe junger Migranten in der Kölner Silvesternacht, hinterließen ebenfalls deutliche Spuren.

Ist damit die vielbeschworene Willkommenskultur in Deutschland bald Geschichte? Nähert sich Deutschland dem politischen Klima seiner Nachbarländer an? Hier gehen die Meinungen stark auseinander. "Ich halte die Stimmung im Land Sachsen kaum noch aus - und das betrifft auch meine Stadt", ließ sich Leipzigs SPD-Bürgermeister Burkhard Jung Anfang April auf dem Online-Portal des Deutschen Katholikentages zitieren.

Georg Cremer, Chef des katholischen Sozialverbands Caritas, widerspricht: "Wir hatten von Anfang an eine hohe Aufnahmebereitschaft – und gleichzeitig eine starke Abwehr gegen alles Fremde", so Cremer gegenüber der "taz, die tageszeitung". "Das ehrenamtliche Engagement ist so hoch wie im Sommer, aber in der medialen Wahrnehmung wurde im Sommer einseitig auf die Willkommenskultur, heute mehr auf die erschreckenden Ereignisse fokussiert."

Flüchtlinge beim Schimmkurs im Schwimmbecken. Foto: DW/Greta Hamann
Freiwillige Helfer beim Schwimmkurs für Flüchtlinge: Wie sicher sind die Helfer vor Anrgiffen Rechtsextremer?Bild: DW/Greta Hamann

Wenn Helfer Hilfe brauchen

Für die in der Flüchtlingshilfe engagierten Menschen stellt der radikale Wandel des politischen Klimas - weg von der Willkommenskultur hin zur Angstgesellschaft - ein besonderes Problem dar. Denn neben den Flüchtlingen werden auch sie zunehmend zur Zielscheibe. Hass-Emails und Morddrohungen sind alltäglich geworden.

So auch bei der bundesweit bekannten Flüchtlingsinitiative "Moabit Hilft" aus Berlin. In einem offenen Brief bittet die Gruppe um Unterstützung: "Ganz aktuell sind Unterstützerinnen von Moabit Hilft Ziel übelster Beschimpfungen und Bedrohungen von Neonazis". Oft bleibt es für die Helfer nicht bei Androhungen. In Brandenburg sorgte ein Brandanschlag auf den Bus eines Ehepaares, das sich für Flüchtlinge einsetzt, für Entsetzen. In Sachsen-Anhalt wurden Helfer des Technischen Hilfswerks vor einer Flüchtlingsunterkunft von Jugendlichen mit Steinen beworfen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm Probleme der Flüchtlingshelfer zum Anlass, um sich mit Vertretern von Verbänden und Freiwilligengruppen am Freitag (8.4) im Kanzleramt zu treffen. Im Hinblick auf die sinkende Zahl neu ankommender Flüchtlinge sagte sie, dass jetzt die Integration der Neuankömmlinge "immer stärker in den Vordergrund" rücken müsse.

Für die freiwilligen Flüchtlingshelfer der Initiative "Wedding Hilft" bedeutet dieser Aufruf der Kanzlerin, dass ihre Arbeit mehr Wertschätzung bekommen muss. Und es bedeutet, mehr Schutz vor rechten Anfeindungen, so Helferin Ina. Wer Integration und Willkommenskultur wolle, so ihr Fazit, der dürfe die Helfer nicht vergessen.