Willkommen im Smart Valley!
12. Dezember 2016Die Region Sonoma, 70 Kilometer nördlich von San Francisco, ist bekannt für ihre Weine. Auch die 16-Hektar große Stone Edge Farm produziert Wein, Gemüse, Kräuter und Oliven.
Aber schon bald soll hier noch ein weiteres Marken-Produkt dazukommen - selbstproduzierter Solarstrom nämlich, der die komplette Nachbarschaft versorgt.
"Wir haben die Möglichkeit, unsere Nachbarn in einem Radius von bis zu zwei Kilometern mit Strom zu versorgen", sagt Craig Wooster, Technischer Direktor der Stone Edge Farm.
Inselnetze mit Stromüberschuss
Möglich machen das über 500 Solarpanels, sieben Batteriespeicher und viel weitere Technik, die auf dem Gelände zu einem virtuellen Daten-Netzwerk zusammengeschlossen wurden.
Ein Stromnetz, das wie eine energieautarke Insel funktioniert - und so traditionellen Stromkonzernen das Geschäft streitig machen kann.
"Innerhalb eines solchen Mininetzes produzieren Sie viel mehr Strom als Sie selbst benötigen", sagt Wooster. "Das macht solche Microgrid-Projekte zu einer idealen Lösung, um Strom sehr kostengünstig an diejenigen zu verkaufen, die selbst nicht diese Möglichkeiten haben."
Noch ringt das kalifornische Parlament in Sacramento um eine Gesetzesvorlage, wie diese Stromverkäufe unter Nachbarn rechtlich ablaufen sollen. Ist das geklärt, kann es an der Stone Edge Farm losgehen. Technisch sind sie alle Fragen geklärt. Selbst fürs digitale Abrechnen und Bezahlen des lokal produzierten Ökostroms haben sie die Erfinder etwas Spezielles einfallen lassen. Sie entwickeln ihre Ideen in Silicon Valley - unweit von hier am südlichen Rand der Bucht von San Francisco.
Blockchain: Die nächste, große Revolution
Tech-Start-ups wie "Wattcoin" oder "LO3 Energy" wollen mit dem Blockchain-Verfahren die Energiebranche revolutionieren. Dabei werden verschlüsselte Datenpakete übers Internet ausgetauscht. Zwischen demjenigen, der Strom anbietet und demjenigen, der ihn bezieht.
Kunde und Produzent wissen so immer genau, wie viel Strom verbraucht wurde. Und natürlich, wie viel bereits bezahlt ist. Und das alles ganz ohne einen Stromversorger, der dazwischenfunkt.
Auch deutsche Unternehmen haben begonnen, mit verschlüsselten Datenpaketen als Abrechnungssystem zu experimentieren. Ausgereifte Unternehmensstrategien bleiben bislang indes Mangelware, nicht zuletzt, weil unklar ist, wer durch diesen Wandel gewinnt und wer verliert.
Eric Dresselhuys leitet in San Jose die weltweiten Aktivitäten der Firma "Silver Spring Networks". Eine Software-Schmiede, die mittels digitaler Plattformen Produzenten, Kunden und Stromnetzbetreiber miteinander verbindet. Er ist fest davon überzeugt: Das Internet der Dinge - das Geräte und Menschen in Echtzeit vernetzt - habe vor allem einen Gewinner.
Der Stromkunde gewinnt an Macht
"Wenn wir die Dinge smart machen, dann verschieben sich die Machtverhältnisse hin zu den Stromkunden. Die können unabhängig entscheiden - wann, wie und wo sie Strom nutzen wollen", sagt Dresselhuys.
Der Prosumer, also der Konsument mit eigener Stromproduktion und Speicher, wird zum Leitbild einer neuen Energieepoche. Auch Craig Lewis, Direktor des Energiewende-Verbands "Clean Coalition", ist überzeugt: Microgrid-Projekten gehört die Zukunft. Und für diese Zukunft brauche es viel Silicon Valley Know-how.
"Big Data, also Monitoring, Steuerung und Kontrolle großer Datenmengen, das wird darüber entscheiden, ob wir die schwankende Produktion der erneuerbaren Energien in Einklang bekommen können mit Speichern, Elektroautos und Lastmanagement."
Und so werden Leuchtturmprojekte wie die Stone Edge Farm auch zur Blaupause für zehntausende weiterer Inselstromnetze, die mal privat, mal öffentlich finanziert, in Stadtvierteln, Wohnquartieren oder in Gemeinden betrieben werden könnten, sagt Craig Lewis.
Eine App, die alle Ladeprobleme für Elektroautos löst?
Wie gut, dass schon an vielen weiteren digitalen Geschäftsmodellen für diese Energiewelt gearbeitet wird, findet Debbie Raphael, Umweltbürgermeisterin der Stadt San Francisco.
Die charismatische Kommunalpolitikerin hat ihre Stadt auf eine CO2-Diät gesetzt - und sie vertraut darauf, dass Apps und Algorithmen ihr zunehmend die Arbeit abnehmen.
Ihr Beispiel ist das Start-up "Powertree", welches die Vorteile des Internets mit den Vorzügen des Solarstroms zusammenbringen soll. Wie das funktioniert? Ganz einfach: Die Powertree-Leute überzeugen einen Hausbesitzer, einen freien Parkplatz und sein Hausdach zur Verfügung zu stellen. Powertree installiert dann auf diesem Dach Solarzellen und am Parkplatz eine Ladestation für Elektroautos. Einzige Bedingung ist, dass der Parkplatz jederzeit frei verfügbar ist.
"Wer dann ein Elektroauto besitzt, der kann sich auf der Powertree-App anmelden und weiß genau, wo er jetzt in diesem Moment eine freie Ladestation mit Parkplatz ansteuern kann", erklärt Debbie Raphael. Für diesen Service zahlt der Elektroautobesitzer eine monatliche Gebühr - und der Hausbesitzer bekommt Geld dafür, dass er sein Hausdach und seinen Parkplatz verleiht. So gewinnen beide.
58 Häuser rund um San Francisco hat das Start-up bereits im System. Anfang 2017 soll der offizielle Kick-off sein. Funktioniert alles, will Powertree auch nach Deutschland kommen.
Reden wollen die Gründer darüber ungern. Sie meiden Öffentlichkeit und Journalisten und vertrauen darauf, dass ihre Apps den Markt auch ohne viele Worte erobern.
Blockchain-Technologie hier, intelligente Apps dort: Bedeutet der Siegeszug der digitalen Energiewirtschaft eventuell das Ende für traditionelle Energieversorger? Nein, sagt einer, dessen Meinung im amerikanischen Energiegeschäft Gewicht hat.
Intelligent ist nicht genug
Jigar Shah lebt und arbeitet als Investor für grüne Start-ups in New York. 2003 gründete er mit "SunEdison" eines der ersten Solarunternehmen der USA. Shah glaubt nicht, dass neue Apps und smarte Lösungen allein genügen, um die Grundprinzipien des Energiemarkts umzukrempeln.
"Die Silicon Valleys der Welt glauben, dass ihre Technologie die Welt beherrschen wird." Im hart umkämpften Energiesektor sei das aber ein Trugschluss, besonders deshalb, weil es eine enge Kooperation mit Regierungen, Energieversorgern, Unternehmen und der Gesellschaft brauche, um ein Produkt letztlich in den Markt zu bekommen.
Smart zu sein, das reiche eben nicht. Mit dieser Botschaft macht der New Yorker Starinvestor klassischen Energieunternehmen Mut, die sich im Kampf um die digitalen Energiemärkte immer stärker in die Defensive gedrängt sehen. Um sich ihre Kunden zu erhalten, sollten diese auch verschiedenste Ökostromanwendungen entwickeln, mit dem Ziel den Strom für breite Bevölkerungsgruppen bezahlbar zu machen.
Shah selbst investiert derzeit Risikokapital in Start-ups, die genau das tun, mit gänzlich neuen Geschäftsmodellen. Und genau so könnten dann auch traditionelle Player gewinnen, glaubt Shah. Vorausgesetzt natürlich, sie sind jetzt kreativ genug und verpassen den Anschluss nicht.