Deutsche Einheitskunst: Neuer Blick auf Willi Sitte
In der DDR bediente er die Hebel der Macht. Das machte auch die Kunst Willi Sittes umstritten. Ein Museum in Halle versucht nun seine Rehabilitierung.
Der Staatskünstler - Sittes Welt
Als Maler und Kulturpolitiker gehörte Willi Sitte (1921 - 2013) zu den international bekannten Kunstschaffenden der DDR. Sein Wirken aber ist bis heute umstritten: Als Präsident des Verbandes Bildender Künstler und als Abgeordneter der Volkskammer der DDR repräsentierte er den sozialistischen Machtapparat. Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle zeigt jetzt einen neuen Blick auf den Künstler Sitte.
"Raub der Sabinerinnen" (1953)
Anlass für die Rückschau ist der 100. Geburtstag des Künstlers. Als Autodidakt entdeckte das Bauernkind früh sein zeichnerisches Talent. Das Bild "Der Raub der Sabinerinnen" malte Sitte 1951, nur wenige Jahre nachdem er vom Fronteinsatz in Italien zurückgekehrt war. Er trat 1947 in die SED ein. Doch sein abstrahierender Malstil missfiel dem sozialistischen Parteikader.
"Die Katastrophe" (1949)
Berge von Menschenleibern werden an den Strand gespült: 1949 malte Sitte diese apokalyptische Vision, die an das Schicksal deutscher Kriegsflüchtlinge erinnert - vermutlich unter dem Eindruck eigener Kriegserlebnisse. Sitte, das sudetendeutsche Bauernkind, musste die Heimat infolge der Vertreibung der Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei verlassen und kam nach Halle an der Saale.
"Ober" (1951)
Anfangs malte Sitte noch abstrakt. Dieses Werk entstand 1951 in Halle, wo er einen Lehrauftrag an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule erhielt und ab 1959 zum Professor berufen wurde. Als Teil der aufmüpfigen Kunstszene in Halle, die unabhängig sein wollte, handelte er sich Ärger mit seiner Partei ein. Die Kritik an ihm wuchs, bis Sitte sich um 1960 doch anpasste - an Staat und Partei.
"Memento Stalingrad 1" (1961)
"Memento Stalingrad" nannte Sitte dieses Gemälde von 1961. Es ist Teil eines Diptychons; das dazu gehörende Bild zeigt zwei im Schnee liegende getötete deutsche Soldaten. Sitte bezieht sich auf die Kriegserfahrungen der Deutschen, insbesondere auf die Schlacht von Stalingrad, die zu einem psychologischen Wendepunkt im - von Deutschland entfachten - deutsch-russischen Krieg wurde.
"Arbeiter-Triptychon" (1960)
Die Kunst der DDR sollte dem Stil des Sozialistischen Realismus folgen. Volkstümlich und parteilich "im Dienst der Arbeiterklasse" sollte sie dabei helfen, die "sozialistische Gesellschaft aufzubauen und zu festigen". Bis Mitte der 1960er malte Sitte dagegen an. Erst als er sich 1963 der öffentlichen Selbstkritik stellte, erhielt Sitte noch im gleichen Jahr seine erste Einzelausstellung.
"Leuna 1969" (1967 - 1969)
Nach seinem Bekenntnis zur Einheitspartei stand der "sozialistische Mensch" im Mittelpunkt seiner expressiven, farbintensiven Bilder. Das Bild "Leuna 1969" zeigt Arbeiter in der anhaltinischen Chemieindustrie. Als Kulturfunktionär überwarf sich Sitte wegen des Prager Frühlings und dem Einmarsch der Sowjetarmee mit seinen Freunden Christa Wolf und Wolf Biermann.
"Freundschaft" (1970)
Als Vertreter des "sozialistischen Realismus" erfuhr er wachsenden Zuspruch. Sitte wurde in die Akademie der Künste gewählt. Er fungierte von 1974 bis 1988 als Präsident des DDR-Künstlerverbandes und saß von 1986 an als Kulturfunktionär im ZK, dem engsten Machtzirkel der SED. Kritiker kreiden Sitte an, dass er aus politischen Gründen Künstlerkarrieren förderte - oder zerstörte.
"Stilleben mit Brille" (1963)
Seine Position als mächtigster Kunstfunktionär der DDR nutzte Sitte für verschiedenerlei Zwecke: Zum einen setzte er sich massiv für die Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle ein, an der er selbst lehrte. Zugleich versuchte er, Künstlerkarrieren wie die des Dresdner Malers A.R. Penck aktiv zu verhindern. Nach seiner Ausbürgerung in den Westen wurde Penck Kunstprofessor in Düsseldorf.
"Selbstbildnis" (1989)
Die Retrospektive "Sittes Welt" lenkt den Blick auf den Künstler Sitte. Seine Kunst dürfe nicht ausschließlich als DDR-Staatskunst betrachtet werden, sagen die Kuratoren. Gleichzeitig hinterfragt die Schau dessen Verflechtung mit dem DDR-Unrechtsregime. Lassen sich Werk und Leben Sittes, der 2013 mit 92 Jahren starb, trennen? Die Schau in Halle öffnet pünktlich zum 31. Tag der Deutschen Einheit.