"Wieso darf Putin und ich nicht?"
30. November 2018Die Nachricht vom Einreiseverbot für russische Männer zwischen sechzehn und sechzig Jahren schlug im Nachbarland Russland ein wie eine Bombe. Kaum ein Gesellschaftsbereich, aus dem keine Reaktion käme. Der Tenor: es sei der bisher größte Schlag gegen die ukrainisch-russischen Beziehungen mit weitreichenden Konsequenzen.
Spott über einen "aufgeblasenen" Konflikt
"Wir sind doch Freunde, dieser ganze Konflikt ist total aufgeblasen und betrifft nur die Staatsführung", regt sich Wadim Danilin auf. Der DJ aus Moskau wollte gerade seinen Freund in Kiew zum Geburtstag besuchen. Daraus wird nichts. Dabei beschreibt sich der 38-jährige als einen "ganz normalen liberal denkenden Moskauer", der die ukrainische Hauptstadt Kiew "liebt" und die Menschen in der Ukraine mag: "Ich war im Sommer in Kiew. Von zehn Menschen, mit denen ich dort gesprochen habe, sprachen neun mit mir auf Russisch. Ich verstehe nicht, wem dieser Konflikt jetzt nutzt, Putin oder Poroschenko. Ich bin echt verwirrt."
"Wieso darf Putin hinreisen und Nawalny nicht?" - scherzt eine Twitter-Userin in Anspielung auf den Altersunterschied des russischen Präsidenten (66) und des prominenten Kreml-Kritikers (42). DW-Kolumnist Iwan Preobrazhenskij ergänzt in seinem Twitter-Account: "Die Staatsführung der Ukraine glaubt nicht an den Kampfgeist russischer Frauen. Welch eine seltsame Geschlechter-Diskriminierung." Ein anderer Twitter-User verbindet diesen Schritt der Ukraine mit der russischen Innenpolitik und dem neulich angehobenen Rentenalter in Russland: "Die Ukraine hat das neue Rentenalter in Russland nicht anerkannt."
Russische Gegenreaktionen?
Maria Sacharowa, Sprecherin des Russischen Außenministeriums versicherte auf ihrer Pressekonferenz in Moskau, dass ihre Behörde nicht vorhabe, mit einer ähnlich "gespiegelten" Maßnahme zu reagieren, sprich: den ukrainischen Männern die Einreise nach Russland zu verbieten. Alle Gespräche darüber wären "furchtbar", so Sacharowa: "Wenn einer versuchen würde, das Gleiche (von unserer Seite - Anm. der Red.) zu wiederholen, würde das zu einem Wahnsinn führen. Auf nationaler Ebene würde das einen Kollaps bedeuten."
Wladimir Woroch, Professor der Russischen Universität für Staatsmanagement sieht in der Maßnahme "den politischen Schritt." Der jahrelange Mitarbeiter der russischen Migrationsbehörde zeigt sich im Gespräch mit der DW überzeugt: "Das wird keinen Effekt haben. Das Argument, sie (die Ukrainer, Anm. der Redaktion) wollen damit die Verteidigungsfähigkeit ihres Landes stärken, ist ein Mythos. Wir wissen doch, dass alle, die es nötig haben, hinzureisen, trotzdem hinreisen werden. Anständige Menschen dagegen, die zu kulturellen oder geschäftlichen Zwecken ins Land reisen wollen, werden es schwer haben."
Viele Russen fürchten, dass sie ihre Familien in der Ukraine und ihre Verwandten nicht mehr so schnell sehen könnten. "Der einzige Trost" sei, dass das Einreiseverbot nur die Zeit des so genannten "Kriegsrechts" in der Ukraine gelte, seufzt Wadim Danilin, also bis zum 26. Dezember: "Dann darf ich wenigstens Silvester mit meinen Freunden in Kiew feiern. Vielleicht."