EU streitet um Corona-Gelder
23. Mai 2020Der Bundeskanzler von Österreich, Sebastian Kurz, hatte in den letzten Tagen auf dem CSU-Parteitag und in Interviews immer wieder vor einer "Schuldenunion durch die Hintertür" in der Europäischen Union gewarnt. Am Samstag nun verschickte er seinen Vorschlag zur Finanzierung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach der Corona-Pandemie an die übrigen Regierungschefs in der EU. Das zwei Seiten umfassende Papier nennt keine Summe für einen Wiederaufbau-Fonds, sondern zielt vor allem darauf ab, dass die Hilfen auf zwei Jahre begrenzt sein und als Kredite ausgezahlt werden sollten, nicht als Zuschüsse. Das Geld für den Wiederaufbau wollen Sebastian Kurz und seine "sparsamen" Verbündeten, die "frugalen" Niederlande, Dänemark und Schweden, vor allem durch Umschichtungen im bestehenden EU-Haushalt locker machen.
Merkel und Macron wollen gemeinsame Schulden
Frankreich und Deutschland hatten vergangenen Montag nach einer Kehrtwende von Bundeskanzlerin Angela Merkel einen ganz anderen Plan vorgelegt. 500 Milliarden Euro sollten, so Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, "ausnahmsweise" durch gemeinsame Schulden über den EU-Haushalt finanziert und als Zuschüsse an Corona-geschädigte Staaten ausgezahlt werden. Bis dahin hatte Deutschland eine gemeinsame Schuldenaufnahme immer abgelehnt.
Die mutmaßlichen Begünstigten aus diesem Wiederaufbau-Fonds, Spanien und Italien, freuten sich. Sie hatten bereits vor der Corona-Pandemie gemeinsame europäische Anleihen gefordert, um ihre angeschlagenen öffentlichen Finanzen zu sanieren.
Doch diesen Schritt in eine gemeinsame europäische Schuldengemeinschaft will Österreichs Kanzler Kurz unbedingt vermeiden. An das Versprechen Frankreichs und Deutschlands, dass es sich bei der Schuldenaufnahme für das "Wiederaufbau-Instrument" um eine einmalige Ausnahme handle, glaubt er nicht. "Bei aller Freundschaft, aber diese Staaten werden selbstverständlich jede Möglichkeit nutzen, einen weiteren Schritt in diese Richtung zu machen und vielleicht ihn als nur einen ersten Schritt zu betrachten, und das gilt es zu verhindern", sagte Sebastian Kurz im Deutschlandfunk.
Italien weist Kurz zurecht
Die Forderung der als "sparsame Vier" bekannten Gruppe aus Österreich, Dänemark, den Niederlanden und Schweden, dass die Corona-Hilfen als Kredite betrachtet und wieder zurückgezahlt werden müssen, stieß bei der italienischen Regierung sofort auf Ablehnung. Der Vorstoß aus Wien sei "unangemessen". In der schweren Rezession brauche man "ambitionierte und innovative" Vorschläge, schrieb der italienische Europaminister Enzo Amendola auf Twitter.
Die Auszahlung von Zuschüssen aus dem EU-Haushalt, wie bei Merkel und Macron vorgesehen, würde für die Nettozahler in der EU, also die Staaten, die mehr in den Topf einzahlen als sie herausbekommen, erhebliche Mehrausgaben für die nächsten 20 Jahre bedeuten. So lange sollen die Laufzeiten der Kredite sein, die die EU aufnehmen würde.
Von der Leyen soll es richten
Am Ende müsse es einen Kompromiss geben, mahnte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz im Deutschlandfunk und wies darauf hin, dass einem europäischen Haushaltplan und einem Aufbaufonds alle 27 Mitgliedsstaaten zustimmen müssten, auch die "sparsamen Vier". Am Mittwoch wird die EU-Kommission ihren Haushaltsrahmen für die nächsten sieben Jahre vorschlagen. Der soll nach den Ankündigungen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein "Wiederaufbauinstrument" in Höhe von 1000 Milliarden Euro (1 Billion) enthalten und sich damit glatt verdoppeln. Auch von der Leyen setzt auf eine gemeinsame Schuldenaufnahme, will aber bei den Auszahlungen einen Mix aus Zuschüssen und Krediten erreichen.
Das Europäische Parlament hat in einer Entschließung einen Aufbau-Fonds von 2000 Milliarden Euro (2 Billionen) gefordert. Dem Haushalt müssen am Ende auch dessen Abgeordnete mehrheitlich zustimmen. Nach Berechnungen der EU-Kommission haben die EU und die 27 Mitgliedsstaaten bis heute bereits drei Billionen Euro an Sofort- und Wirtschaftshilfen mobilisiert. Der Aufbau-Fonds käme zusätzlich hinzu, um die Konjunktur anzuschieben.
Viele offene Fragen und wenig Zeit
Mit Spannung wird jetzt in Brüssel erwartet, wie die Kommission die widerstreitenden Lager innerhalb der EU unter einen Hut bringen will. Klar ist, dass der ganze Prozess sehr beschleunigt werden muss, um das Geld zur Verfügung zu haben, das zum Ankurbeln der Wirtschaft spätestens Ende des Jahres gebraucht wird. In einer gemeinsamen Analyse weisen Experten der wirtschaftspolitischen Denkfabrik "Bruegel" in Brüssel daraufhin, dass der Wiederaufbau mit gemeinsamen Schulden auf EU-Ebene finanziert werden sollte. Außerdem komme es darauf an, wie und wofür das Geld schließlich ausgegeben werde. Die Folgen für die Fiskalpolitik einzelner Mitgliedsstaaten, für die Fairness im europäischen Binnenmarkt und die Klimaschutz-Strategie müssten heute schon mitbedacht werden.
Zu bedenken sind beim Haushalt der EU und der möglichen Schuldenaufnahme zur Finanzierung des Aufbau-Fonds auch noch folgende Fragen: Ist das Geplante überhaupt rechtlich zulässig? Denn der EU-Vertrag kennt eigentlich ein Verschuldungsverbot. Wird es am Ende der Corona-Rezession noch genügend potente Nettozahler geben, die den EU-Haushalt finanzieren können? Frankreich und Italien sind schließlich heute Nettozahler, sollen aber umfänglich von dem neuen Fonds profitieren. Und: Wie werden die erheblichen Beitragszahlungen des bisherigen Mitglieds Großbritannien auf die restlichen Schultern in der EU verteilt?