Wiederaufbau der Wüstenstadt Hatra geplant
28. April 2017DW: Irakische Milizen haben die antike Wüstenstadt Hatra zurückerobert - aus der Gewalt des "Islamischen Staates". Diese Meldung freut Sie sicherlich als Leiterin der UNESCO-Abteilung Weltkulturerbe?
Mechthild Rössler: Das ist eine ganz wunderbare Nachricht für uns. Hatra ist eine wichtige Stätte, die schon seit 1985 auf der Welterbeliste steht. Sie hat schon den Invasionen der Römer getrotzt, nämlich in den Jahren 116 und 198. Die Stadt hat einen Schutzwall, der mit verschiedenen Türmen verstärkt ist. Und sie zeigt den Kontakt der Kulturen untereinander: hellenistische und römische Architektur etwa mit östlichen Elementen. Damit ist sie ein wunderbares Beispiel für die verschiedenen Zivilisationen. Das zu bewahren, ist Aufgabe der Welterbeliste.
Um die Stätte wurde seit Monaten gekämpft. 2015 schockierte der IS mit Videoaufnahmen, die die mutwillige Zerstörung antiker Bauwerke und Skulpturen zeigten. Ist Ihnen bekannt, was nach den schweren Auseinandersetzungen von Hatra noch erhalten ist?
Das ist der Punkt: Wir wissen es noch nicht genau. In solchen Fällen schicken wir eine sogenannte "Rapid Assessment Mission", eine Mission, die eine erste Bestandsaufnahme macht. Hier ist das noch nicht geschehen, weil alles noch ganz frisch ist. Aber in anderen Fällen sind wir bereits ähnlich vorgegangen. Ich selbst bin vergangenes Jahr beispielsweise nach Palmyra in Syrien und zu anderen Stätten gefahren. Wir haben ein Büro in Bagdad. Unsere Leute vor Ort sind natürlich schon informiert. Ich denke, sie gehen an die Bestandsaufnahme, sobald die Sicherheitslage das zulässt.
In Palmyra - der einstigen syrischen Oasenstadt - sprengten Islamisten mehrere Gebäude in die Luft. Was befürchten Sie jetzt für Hatra?
Bei unserer ersten Mission in Palmyra war ich etwas erleichtert, dass die Zerstörungen nicht ganz so groß und umfassend waren, wie befürchtet. Allerdings hat der "Islamische Staat" die Stadt und die archäologische Stätte dann wieder eingenommen. Es gab weitere Zerstörungen. Dort - wie auch im Irak - müssen wir zunächst Arbeitsbedingungen schaffen, damit die internationalen Teams vor Ort arbeiten können. Das ist besonders wichtig.
Aber wir sind vorbereitet - im Falle Syriens wie auch im Falle des Iraks. Wir haben bereits im Februar ein großes Treffen mit dem Kulturminister und mit Experten organisiert, die im Irak arbeiten. Wir haben einen Aktionsplan und stecken in den Startlöchern. Ich werde noch in dieser Woche mit der Direktorin in New York sprechen, die für Minenräumung zuständig ist, da wir davon ausgehen müssen, dass wir auf welche stoßen werden. Noch sind die Arbeitsbedingungen für internationale Teams nicht gegeben.
Sie haben sich dem Bewahren antiker Stätten verschrieben und begeistern sich für frühere Epochen. Wie sehen Sie die Zerstörungen durch die Islamisten?
Das bricht uns natürlich das Herz. Den Islamisten geht es darum, die Identität der Menschen zu zerstören und ihnen für ihre zukünftige Entwicklung den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Diese Stätten waren Motoren der regionalen Entwicklung und des Tourismus. Und jetzt sind die Bedingungen nicht da, das Ganze schnell wiederaufzubauen. Die Islamisten haben die Grundlage der jungen Bevölkerung zerstört, in die Zukunft zu schauen.
Die UNESCO und die internationale Gemeinschaft müssen beim Wiederaufbau, bei Konservierungsaktionen und auch in den Diskussionen helfen. Womit fängt man an? Diese Debatten hatten wir auch im Falle Syriens: Fangen wir mit Palmyra an? Oder mit Aleppo, wohin die Menschen zurückkommen wollen? Wir müssen einen besonderen Blick auf die historischen Innenstädte richten, wo Menschen schnell wieder wohnen möchten. Denn dort müssen wir zugleich das Kulturerbe schützen.
Wie politisch wird man als Bewahrerin des Welterbes? Mischen Sie sich in Konflikte ein, die zu solchen Zerstörungen führen?
Wir sind natürlich über die politische Situation gut informiert. Aber wir könnten nicht arbeiten, wenn wir davon nicht auch abstrahierten würden. Die UNESCO ist eine der wenigen Organisationen in der Welt, die verschiedenste Personen an einen Tisch bringen kann. Jene, die für die Regierung vor Ort arbeiten, mit Spezialisten von außerhalb: Museumsleute etwa oder Archäologen. Wir bringen internationale und nationale Teams zusammen. Und das ist eine ganz wunderbare Aufgabe.
Seit 2015 leitet Mechthild Rössler die Abteilung für das Kulturerbe und das Welterbezentrum am UNESCO-Hauptsitz in Paris.
Das Gespräch führte Stefan Dege.