Briten fürchten um EU-Jobs
27. Juni 2016Kaum war am Freitag das Ergebnis verkündet, hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine E-Mail an seine Mitarbeiter verschickt mit der Botschaft: Die Mehrheit der EU-Beamten können auch nach einem Austritt Großbritanniens weiter in Brüssel arbeiten. Sie seien in Brüssel als Mitarbeiter Europas, nicht des Vereinigten Königreichs, so die Argumentation.
Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Die Dienstvorschriften für die Angestellten der EU, konkret Artikel 28a, legt als Einstellungsvoraussetzung fest: Angestellte, die für die EU arbeiten, müssen aus einem EU-Mitgliedsstaat kommen.
In der EU-Kommission
Ein Brite hat bereits zwei Tage nach dem Referendum seine Koffer gepackt: Lord Jonathan Hill tritt zurück. Als EU-Kommissar für Finanzmärkte und den Kapitalmarkt war er damit im europäischen Verwaltungsapparat der hochrangigste Angestellte des Vereinigten Königreichs.
Neben Hill arbeiten rund 1200 britische Beamte in der EU-Kommission. Derzeit wird damit gerechnet, dass zumindest politische Spitzenbeamte, zum Beispiel die vier britischen Generaldirektoren, noch vor Ende der Austrittsverhandlungen abberufen werden könnten.
Im Europäischen Rat und den Ausschüssen
Einige hundert Staatsbürger des Vereinigten Königreichs arbeiten auch im Europäischen Rat, im Ausschuss der Regionen, im Wirtschafts- und Währungsausschuss der EU, sowie in vielen anderen Gremien. In der Übergangszeit muss der Status dieser britischen Beamten geklärt werden. Eventuell könnten sie sogar bis zum Ende ihrer lebenslangen Arbeitsverträge in Brüssel weiterarbeiten. Großbritannien müsste aber die Rentenansprüche für seine EU-Beamten klären.
Im Europa-Parlament
73 britische Abgeordnete sitzen derzeit im EU-Parlament. Ihr Mandat läuft eigentlich mit dem Ende der Legislaturperiode im Sommer 2019 aus. Bis zum tatsächlichen Austritt ihrer Heimat aus der EU können sie stimmberechtigt an Sitzungen teilnehmen. "Man wird eine vernünftige Regelung finden", versichern EU-Beamte in Brüssel. Nach dem aktuellen Stand könnte das Vereinigte Königreich bereits 2018 aus der EU ausgetreten sein. Dann wären die britischen EU-Parlamentarier ihren Job los, schon ein Jahr vor den Neuwahlen.
Um ihre Jobs fürchten müssen vor allem rund hundert Mitarbeiter im Europäischen Parlament. Erfahrenere EU-Profis haben sicher die Aussicht, einen gut bezahlten Job in Brüssel zu finden. Für jüngere Briten wird es schwieriger. Für viele Assistenten und Praktikanten hat der Volksentscheid die Karriere in der EU gar jäh beendet.
Britische Diplomaten in Brüssel
Die Britische Botschaft in Brüssel hat bereits signalisiert, ihre Türen stünden neuen Mitarbeitern offen. Auf jeden Fall werde die diplomatische Vertretung des Vereinigten Königreichs bei der Europäischen Union für die Austrittsverhandlungen vorübergehend mehr Personal benötigen.
Die Lobbyisten
Der Börsencrash am Freitag war nicht genug: Jetzt müssen sich die rund 140 Lobbyisten des britischen Finanzsektors auch um ihre eigene Zukunft sorgen. Die 50 größten Finanzinstitute des Vereinigten Königreichs geben jährlich 34 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus - ohne den EU-Mitgliedsstatus könnte sich deren Interessenvertretung in Brüssel deutlich erschweren.
An den Gerichtshöfen
Neben Brüssel und Straßburg ist auch Luxemburg Verwaltungssitz der Europäischen Union. Dort arbeiten Briten für den Europäischen Rechnungshof und den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ob vor oder nach dem offiziellen Austritt: Der britische Richter am Europäischen Gerichtshof wird gehen müssen. Dolmetscher und juristisches Personal werden wohl bleiben dürfen. Die Arbeitsverträge seien mit den einzelnen Mitarbeitern geschlossen worden, argumentiert die zuständige Gewerkschaft, nicht mit dem Land Großbritannien.
Der EU-Austritt ein Kündigungsgrund?
Der Druck auf die britischen Mitarbeiter wird mit Beginn der Austrittsverhandlungen steigen. Noch konkreter als Artikel 28a könnte Artikel 49 greifen. Darin steht, dass ein Beamter seinen Posten aufgeben muss, wenn seine Staatsangehörigkeit nicht mehr die eines EU-Mitgliedsstaates ist.
So lange kein Austrittsabkommen besteht, mögen sich Briten durchaus auf die Noch-Mitgliedschaft berufen können. Doch spätestens nach dem Austritt wird es andere europäische Mitgliedsstaaten geben, die das Recht auf diese Jobs für ihre EU-Bürger einfordern.