Wie viel Hitler steckt in Wagner?
31. Juli 2017Ein höflicher Gast, adrett im Smoking, entspannt und sympathisch, unterhält sich jovial mit der Festspielleiterin und mit den Wagnern-Enkeln. Plötzlich ein Zwischenruf: "Film anhalten! Handy aus! Aufnahmen strengstens verboten!" Kurz danach läuft der Streifen unkommentiert und stumm weiter.
Bei der Vorführung im Kinoraum des Richard Wagner Museums im Haus Wahnfried durfte der historische Film nicht mit dem Smartphone aufgenommen werden. Die mögliche anschließende Verbreitung könnte die Persönlichkeitsrechte eines der Menschen, die darauf zu sehen sind, verletzen: nämlich Verena Wagners, der letzten noch lebenden Enkelin Richard Wagners. Der Film aus dem Nachlass eines anderen Enkels, Wolfgang - er hatte ihn selber als 16-Jähriger gedreht -, wurde beim Symposium "Wagner im Nationalsozialismus - Zur Frage des Sündenfalls in der Kunst" vorgeführt.
Auf der Leinwand zu sehen: die Bayreuther Festspiele 1936. Auffahrt zum Festspielhaus, Regisseur Heinz Tietjen, Propagandaminister Josef Goebbels, der Dirigent Wilhelm Furtwängler, die strahlende Winifred Wagner - und nach der Vorstellung: der Führer auf der Bühne zwischen Chor und Solisten. Zusammen mit ihnen nimmt er den Applaus der Menge entgegen. Hitlergruß.
Ein beklemmendes Gefühl vermittelt das Ganze, vor allem, wenn man sich dabei erwischt, Hitler rein nach seinem äußeren Erscheinungsbild sympathisch zu finden.
Ein weites Thema
Wer jedoch vom Symposium zu Wagner im Nationalsozialismus sensationelle neue Enthüllungen erwartete, wurde von der Auftaktveranstaltung enttäuscht. Der Themenkomplex soll bei der neuen Vortragsreihe "Diskurs Bayreuth", einem Rahmenprogramm der Bayreuther Festspiele, in den kommenden Jahren in verschiedenen Aspekten diskutiert werden. Neu ist die Auseinandersetzung mit historisch schwierigen Themen in Bayreuth allerdings nicht. Daran erinnerte auch Museumsleiter Sven Friedrich: Bereits in den 80er und 90er Jahren gab es eine Ausstellung beziehungsweise ein Symposium "Hitler und die Juden". Im Umfeld der Büste Richard Wagners am Festspielhügel steht noch die Ausstellung "Verstummte Stimmen" aus dem Jahr 2012, in der es um jüdische Mitwirkende bei den Bayreuther Festspielen und ihre Schicksale geht. Und seit der Wiedereröffnung des Richard Wagner Museums im Jahr 2015 wird dort die Ideologie-Geschichte Wagners thematisiert.
Dass das Thema freilich längst nicht erschöpft ist, ist ebenfalls klar. Äußerungen wie "Aber Wagner kann doch nichts dafür" oder "Den ganzen Schmutz, der sich um Wagner angehäuft hat, den wollen wir ausblenden", kann man heute noch hören. Friedrich verwies auf die "metapolitische Dimension in Wagners Werk, die ihn bei den Nationalsozialisten anschlussfähig gemacht hat".
Thomas Manns Forderung wird verwirklicht
Das Symposium begann mit einer lebendigen Diskussion der aktuellen Inszenierung von "Die Meistersinger aus Nürnberg" durch Barrie Kosky. Der australische Regisseur mit jüdischen Würzeln hatte Richard Wagner zum ersten Mal als Antisemiten auf der Bühne gezeigt und bezog mit seinen Bühnenbildern - etwa dem Saal der Nürnberger Prozesse - die Aufführungsgeschichte des Werks in seine Interpretation mit ein.
Für die deutsche Autorin und ehemalige Professorin Irmela von der Lühe ist Koskys Inszenierung die Verwirklichung einer Forderung, die Thomas Mann bereits 1947 stellte. In ihrem Vortrag "'Hitlers Hoftheater': Thomas Manns Auseinandersetzung mit Bayreuth" erinnerte sie daran, dass der damals im amerikanischen Exil lebende Autor es abgelehnt hatte, als Ehrenpräsident einer vorgeschlagenen Stiftung zur Neugestaltung der völlig diskreditierten Bayreuther Festspiele zu fungieren, zumindest "solange nicht alles auf dem Tisch sei, was es zum Sündenfall Bayreuths gegeben hat".
Ist anno 2017 alles auf dem Tisch? Der Nachlass Wolfgang Wagners wurde 2013 dem Bayerischen Staatsarchiv übergeben. Andere Quellen fehlen möglicherweise, man weiß es nicht so genau. Aber wäre eine Inszenierung wie Koskys schon 1951 bei der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele möglich gewesen? Statt einer direkten Auseinandersetzung mit der Werkgeschichte sah man damals die unverbindlichen Inszenierungen Wieland Wagners in mythischen Räumen. Vergangenheitsverdrängung? Jedenfalls waren damals zahlreiche Besucher aus dem Ausland dabei, vor allem aus Frankreich, darunter auch Juden, die den Holocaust überlebt hatten und begeisterte Wagner-Anhänger waren. Der Neuanfang wurde weltweit mit Interesse verfolgt.
War Wagner ein "Vor-Nazi"?
1949 schrieb Thomas Mann in einem Brief: "Es ist da, in Wagners Bramarbasieren (Anmerkung d. Red.: Prahlerei), ewigem Perorieren, Allein-reden-wollen, über alles Mitreden-wollen, eine namenlose Unbescheidenheit, die Hitler vorbildet - gewiss, es ist viel 'Hitler' in Wagner." Dennoch sah Mann in Wagner eher einen europäischen Kosmopoliten als einen Vor-Nazi. Und lange vor der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts hatte der frühe Hitler-Kritiker geschrieben: "Die Vorstellung, dass dieser idiotische Schurke da süßheldische Romantik genießt, ist über allen Maßen ekelhaft."
Oft wird konstatiert, dass der Geist, mit dem Wagner seine Werke schrieb, vom Anfang an völkisch und antisemitisch war. Angesprochen wurde das im Vortrag "'Hitler und seinem Bayreuth zum Trotz: Richard Wagner als Analytiker des 20. Jahrhunderts" vom schweizerischen Publizisten Micha Brumlik. Beim Kunstschaffenden gäbe es, so Brumlik, "vor- und unbewusste Prozesse, die in sein Werk eingehen, wobei mehr zum Ausdruck kommt, als vom Autoren intendiert war."
Der Missbrauch Wagners durch die Nazis und die Anbiederung Bayreuths an Hitler werden oft als Missverständnis dargestellt oder im historischen Abstand relativiert: Wagner starb 1883. Im Jahr 1923, 40 Jahre später, priesen Richard Wagners englischstämmiger Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain und seine Schwiegertochter Winifred Wagner Hitler als neuen Parsifal und Heilsbringer Deutschlands. Bereits 1925 wurden die Bayreuther Festspiele durch Hitlers Teilnahme politisiert. Der Historiker und Deutschnationalist Chamberlain galt als "Vordenker Hitlers" und begründete seine rassistischen Thesen mit der Überlegenheit der deutschen Musik. Sinngemäß argumentierte er: Weil die Deutschen in der Musik so groß sind, sollten sie auch politisch groß werden.
Die Kernfrage
War es Wagners Redegewalt oder doch eher seine Abscheu gegenüber Juden, die Hitler inspirierte? Diese zentrale Frage wurde beim Symposium nur gestreift. Dass Wagner durch seine Hetzschrift "Das Judenthum und die Musik" den Antisemitismus in bürgerlichen Kreisen hoffähig machte, ist bekannt. Er hat Juden jedoch auch mal gelobt, nannte sie "die edelsten von uns allen". Was hat Cosima Wagner, die ihren Mann fast ein halbes Jahrhundert überlebte und deutschtümelnde Nationalisten um sich scharte, direkt von Richard Wagner übernommen? Wie stark hat sie bei seinen vielen widersprüchlichen Äußerungen selektiert? Das wäre ein wünschenswertes Thema eines künftigen Symposiums.