Wie Grundrechte entzogen werden können
19. Juni 2019Was genau schlägt Peter Tauber vor?
In einem Gastbeitrag für "Welt Online" fordert der ehemalige Generalsekretär der Christlich Demokratischen Union (CDU), Peter Tauber, härter gegen Verfassungsfeinde vorzugehen und ihnen auch Grundrechte zu entziehen. Er plädiert dafür, Artikel 18 des Grundgesetzes zur Anwendung zu bringen, der eine solche Maßnahme vorsieht. "Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben uns ein scharfes Schwert zum Schutz der Verfassung in die Hand gegeben. Es ist Zeit, von ihm Gebrauch zu machen", schreibt Tauber. Es reiche nicht aus, nur das bestehende Strafrecht anzuwenden, so der CDU-Politiker.
Den Gastbeitrag formulierte Tauber mit Blick auf den mutmaßlich rechtsextremistischen Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Tauber gab der AfD eine Mitschuld am Tod Lübckes: Mitglieder der Partei nutzten eine Sprache, die enthemme und zu Gewalt führe. Der CDU-Politiker forderte zugleich eine stärkere Abgrenzung nach rechts. "Die politische Rechte kann man nicht integrieren oder einbinden", so Tauber.
Was genau besagt Artikel 18 des Grundgesetzes?
Bei Artikel 18 GG geht es um die Verwirkung von Grundrechten. Als das deutsche Grundgesetz vor 70 Jahren geschaffen wurde, sollte die Bundesrepublik eine wehrhafte Demokratie sein - also in der Lage, sich gegen Feinde der demokratischen Grundordnung zu schützen. Dafür beinhaltet das Grundgesetz verschiedene Maßnahmen. Neben beispielsweise der Möglichkeit, Vereins- oder Parteiverbote (Art. 9 Abs. 2 GG und Art. 21, Abs. 2 GG) auszusprechen, ist auch Artikel 18 ein Mechanismus, um demokratiefeindliche Kräfte bekämpfen zu können. Wenn zum Beispiel ein Verleger seine Zeitung dazu nutzt, um gegen das Grundgesetz zu hetzen, dann kann diesem Verleger das Grundrecht auf Pressefreiheit auch entzogen werden.
In Artikel 18 heißt es wörtlich: "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte."
Sind Verfassungsfeinden schon mal Grundrechte entzogen worden?
Nein, in der Vergangenheit ist Artikel 18 noch nie angewandt worden. Es gab drei Fälle mit vier Betroffenen, denen Grundrechte entzogen werden sollten. Dabei handelte es sich unter anderem um zwei Neonazis und um den ehemaligen Chefredakteur der "Deutschen National-Zeitung". Doch alle Fälle wurden nach mehreren Jahren vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.
Einen Antrag auf eine Grundrechtsverwirkung können der Bundestag, die Bundesregierung und die jeweilige Landesregierung stellen. Entscheiden muss darüber das Bundesverfassungsgericht. Eine Grundrechtsverwirkung wäre zunächst auf ein paar Jahre begrenzt und könnte vom Bundesverfassungsgericht auch wieder aufgehoben werden.
Welche Folgen hätte eine Anwendung von Artikel 18 für den Betroffenen?
"Es heißt natürlich nicht, dass der einzelne Grundrechtsverwirker gewissermaßen vogelfrei gestellt wird und ihm jegliche Rechte genommen werden", sagt Verfassungsjurist Professor Michael Brenner von der Universität Jena im Gespräch mit der DW. Dem Betroffenen würden nur einzelne Grundrechte entzogen, die in Artikel 18 aufgeführt sind. Andere Rechte, die das bürgerliche Gesetzbuch dem Einzelnen gewährt, blieben erhalten.
Die wichtigste und direkteste Folge aus einer Grundrechtsverwirkung: Der Betroffene kann sich vor dem Verfassungsgericht nicht mehr auf das ihm entzogene Grundrecht berufen und keine Verfassungsbeschwerde mehr einlegen. Er verliert also nicht das Grundrecht an sich, sondern die Möglichkeit, sich auf dieses Recht zu beziehen.
Wie weit sich eine solche Grundrechtsverwirkung ganz konkret auswirken würde, ist bisher nicht geklärt. "Den Praxistest hat die Norm bisher noch nie bestehen müssen", so Brenner. Gerade ihm Falle eines Entzuges der Meinungsfreiheit sei es schwierig, einen solchen Entzug zu kontrollieren. "Man wird dem einzelnen sicher nicht verbieten können, dass er sich äußert", so Brenner. "Man kann ja nicht jemandem einen Polizisten an die Seite stellen und der Polizist überwacht jetzt alles, was der Betreffende sagt oder nicht sagen darf."
Insgesamt schätzt Brenner die praktischen Konsequenzen eines Grundrechtsentzuges als relativ überschaubar ein. Es sei in den vergangenen Jahren wirksamer gewesen, Verfassungsfeinde mit den Mitteln des Strafrechtes zu sanktionieren. "Denn es tut im Zweifel dem Einzelnen natürlich viel mehr weh, wenn er jetzt zwei Jahre hinter Gitter muss, als dass er sich vor dem Verfassungsgericht nicht mehr auf ein Grundrecht berufen kann."
Trotzdem habe eine Grundrechtsverwirkung das Potential, eine gewisse Signalwirkung zu entfalten, fügt Brenner hinzu.