Aufklärung ohne Zeigefinger
7. Dezember 2006Das westsenegalesische Dorf Keur Simbra in der Nähe von Thiès ist in Feststimmung. Im Schatten des Palavermangobaums drücken die Dorfbewohner UNICEF-Vertretern so ihre Dankbarkeit aus. Das Dorf ist Vorreiter des Sensibilisierungsprogramms gegen Mädchenbeschneidung. Alles begann vor einigen Jahren, als der Imam Demba Diawara zum ersten Mal hörte, dass beschnittene Frauen während und nach der Entbindung eher Probleme bekommen als nicht beschnittene Frauen.
"Im Koran steht, Gott wolle nicht, dass ein Mensch umsonst leidet", sagt er. "Auch religiöse Führer haben mir erklärt, dass der Islam die Frauenbeschneidung nicht empfiehlt."
Mit dem Koran gegen die Tradition
Nachdem er sicher war, dass andere muslimische Länder wie Saudi-Arabien oder der Iran Frauengenitalverstümmelungen nicht praktizieren, nahm Demba Diawara den Kampf gegen die Mädchenbeschneidung auf.
Bei einigen ländlichen Ethnien wie den Hal Pulaar oder den Soninké sind mehr als 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung von Genitalverstümmelung betroffen - einer Tradition, die schwere Folgen für ihre körperliche und psychologische Gesundheit haben kann. Dabei gehörte Senegal zu den ersten westafrikanischen Staaten, die das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) unterzeichneten. Seit 1999 sind weibliche Genitalverstümmelungen in diesem Land sogar gesetzlich verboten. Doch die so genannte Exzision ist in ländlichen Gebieten stark verwurzelt.
Bald wurde Demba Diawara klar, dass er diesen Brauch nicht allein bezwingen kann. Der UNICEF-Partner Tostan half ihm in seinem Kreuzzug gegen die Mädchenbeschneidung. Der Imam reiste viel, um möglichst viele Leute, auch in anderen Regionen, zu erreichen. Mehr als 200 Dörfer haben nun offiziell auf die Exzision verzichtet. Mädchenbeschneidung ist jedoch ein heikles Thema, da sie mit Frauensexualität, Tradition und Glauben verbunden ist.
"Wir wussten nichts"
"Mädchenbeschneidung haben wir praktiziert, weil unsere Vorfahren es getan haben", sagt Khedja Traoré, Vorsitzende der Dorffrauengruppe. "Es ist wie bei Kleinkindern: Wenn ein Kind mit Erwachsenen aufwächst, denkt es, alles, was die Großen machen, sei richtig." Vor dem Bruch mit dieser Tradition hätten die Dorfbewohner mit Verwandten und Nachbarn anderer Dörfer darüber gesprochen. "Denn unsere Kinder heiraten ja Leute aus Nachbardörfern", sagt sie. "Erst nach einer Phase intensiver Diskussionen haben wir uns alle entschlossen, Mädchenbeschneidung zu unterlassen."
So kam es 2003 zu einer der ersten gemeinsamen Erklärungen gegen Frauengenitalverstümmelung. Ein großer Schritt für alle Dorfmädchen, aber ein tiefer Eingriff in die Tasche der Beschneiderinnen, die sich in der traditionellen Gesellschaft einer großen Anerkennung erfreuten.
Aufklärung ohne Zeigefinger
Awa Kamarra wurde vor 20 Jahren Beschneiderin und führte so die Arbeit ihrer erblindeten Mutter fort. "Jährlich gab es eine Beschneidungszeremonie. Es war ein richtiges Fest bei uns", erzählt sie. "Die Mädchen wurden als Teenager beschnitten. Man sagte, eine Frau wäre erst dann komplett, wenn sie beschnitten würde. Wir wussten nichts."
Awa legte vor drei Jahren das Messer nieder, fand aber bisher keine andere Einkommensmöglichkeit. Trotz ihrer prekären Finanzlage versichert sie, sie würde ihre ehemalige Aktivität niemals wiederaufnehmen. Die möglichen Folgen der Beschneidung, wie Blasen-Scheiden- oder Blasen-Enddarm-Fisteln, werden von der Bevölkerung oft nicht mit der Verstümmelung in Verbindung gesetzt, da sie mehrere Jahre nach der Beschneidung auftreten, wenn das Mädchen Kinder bekommt. Und wenn das Kind oder die Mutter bei der Geburt stirbt, besagt die Tradition, es solle als ihr Schicksal hingenommen werden.
Man sage den Menschen nicht, dass sie die Beschneidung aufgeben sollen, sondern rede über die möglichen Folgen der Genitalverstümmelung, sagt der Programmdirektor des UNICEF-Partners Tostan, Khalidou Sy. "Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass Mädchenbeschneidung in Senegal bis 2011 völlig aufgegeben wird." UNICEF-Büros aus anderen Ländern, darunter Gambia, Mauretanien und Mali seien daran interessiert, dass Tostan auch dort Programme ins Leben rufe.
Dazu braucht es Aktivisten wie den Imam Demba Diawara. "Ich habe auch Menschen in der Region von Kaoloack sensibilisiert", sagt er. "Sie haben mich als Vorbild genommen aber es gibt noch sehr viel zu tun. Wir dürfen nicht auf halbem Wege lockerlassen." Erste Früchte konnte der Imam bereits ernten: Die Eltern seines Dorfes und anderer Lokalitäten der Region beschwören, ihre Mädchen nicht mehr beschneiden lassen zu wollen. In der Hoffnung, dass ihre Kinder und die nächsten Generationen so weitermachen.