Der Kampf polnischer Paketzusteller
29. Mai 2021Der schlimmste Moment kam nach vier Nächten im Wald. Nass vom Regen, müde und hungrig gingen sie zur Caritas, um Hilfe zu holen und zu duschen. "Ich habe vor Weihnachten selbst Essen an Bedürftige in Polen verteilt", sagt Wojciech Szumlak. Nun war er auf der anderen Seite der Tafel: "Ich wusste nicht, dass mir in Deutschland so etwas passieren würde."
Verantwortlich für diese Notlage, in der sich Szumlak mit zwölf anderen Männern befand, soll das Unternehmen Lohof Transport aus Eisenach in Thüringen gewesen sein. Für diese Firma fuhren die Männer seit Anfang April Pakete aus. Nachdem ihnen ihr Lohn vorenthalten worden war, kündigten sie Mitte Mai und mussten daraufhin die vom Arbeitgeber bereitgestellte Wohnung verlassen. Alles, was ihnen blieb, waren die Schlüssel zu den Firmenautos, die sie als Pfand und Druckmittel bewahrten.
"Wir wussten, dass wir das Geld nicht mehr sehen werden, wenn wir nach Polen fahren", sagte einer der Männer der DW. Vier Tage lang hauste die Gruppe im Wald. Mehrmals mussten sie sich vor der Polizei erklären, weil ihnen der Arbeitgeber Autodiebstahl vorwarf. Das Geld für Essen mussten sie sich von ihren Familien aus Polen überweisen lassen.
Polnische Presse schlägt Alarm
Die Situation verbesserte sich erst, nachdem die polnische Zeitung "Gazeta Wyborcza" am 26. Mai über den Fall berichtete. Die Geschichte der im Wald lebenden Paketboten verbreitete sich rasant in den sozialen Medien und erreichte die Speditionsfirma GLS, in deren Auftrag Lohof Transport Pakete zugestellt hatte.
GLS brachte die polnischen Arbeitnehmer in einem Hotel unter. Am 28. Mai kam es zu einer Einigung zwischen dem Subunternehmer und den Fahrern in der GLS-Zentrale. "Wir warten auf das Ende, also auf das Geld auf unseren Konten", sagt Wojciech Szumlak. "Bis dahin ist die Sache nicht vorbei."
Die DW hat das Gespräch mit dem Geschäftsführer Maik Lohof gesucht. Dieser erklärte am Telefon, dass er keine der Anfragen beantworten wolle. Laut Auftraggeber GLS soll das Subunternehmen Lohof Transporte in finanzielle Schwierigkeiten geraten sein. Der Auftraggeber habe nun über eine Vorfinanzierung die finanzielle Liquidität des Subunternehmens sichergestellt.
Warum die polnischen Fahrer kein Geld erhielten, kann GLS nicht erklären. Eine Unternehmenssprecherin teilte jedoch mit, dass die Firma "ungeachtet weiterer Erkenntnisse die Zusammenarbeit mit diesem Transportunternehmen umgehend beenden wird".
Die Probleme begannen, als die Fahrer Mitte Mai nach dem ausstehenden April-Gehalt fragten. Das Subunternehmen soll ihnen versichert haben, dass es sich bei der Verzögerung nur um ein vorübergehendes Probleme handele. Einmal habe Geschäftsführer Lohof ihnen sogar die Bestätigung des Geldtransfers gezeigt, erzählen die Polen. Das Geld kam aber nie an.
Die polnischen Arbeitnehmer werfen dem Subunternehmen vor, dass die Lohnvorenthaltung von Anfang an geplant gewesen sei. "Der Chef dachte wahrscheinlich, dass wir ohne Geld nach Hause fahren, aber wir haben beschlossen, nicht aufzugeben", sagt Wojciech Szumlak im DW-Gespräch.
Bis zu 15 Stunden am Tag gearbeitet
Dreimal soll das Subunternehmen Lohof die Polizei über den angeblichen Diebstahl seiner Autos informiert haben. Jedes Mal erklärten die Polen den Beamten auf Englisch ihre Lage und zeigten ihre Arbeitsverträge. Nach ihren Angaben habe der Arbeitgeber bei einem Treffen mit der Polizei in ihrer Gegenwart sogar zugegeben, dass die Arbeiter nicht einmal kranken- und sozialversichert gewesen seien.
Die Arbeitszeit der polnischen Paketboten summierte sich manchmal auf bis zu 15 Stunden am Tag. Dazu kamen noch 100 Kilometer Anfahrtszeit. "Dann schlossen sich unsere Augen von selbst", sagte ein Fahrer.
Einer der Männer soll im April sogar 340 Stunden gearbeitet haben, was etwa 85 Stunden pro Woche entspricht. Die Wochenarbeitszeit schwankt in Deutschland je nach Branche, 40 Stunden gelten als Norm. "Er kam nicht mehr über Nacht nach Hause, sondern schlief in seinem Auto an einer Tankstelle", erzählte einer der Fahrer der DW.
Michael Lemm vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) überraschen die Zustände nicht. "Aus der Paketzusteller-Branche hören wir selten Gutes", erklärt er im DW-Gespräch. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz seien die Regel und nicht die Ausnahme. Dies sei möglich, weil Fahrer von Autos mit einem Gewicht unter 2,8 Tonnen ihre Lenk- und Ruhezeiten nicht dokumentieren müssten.
Außerdem würden die Fahrer, wie im Fall der Polen, meistens von Subunternehmen angestellt. "Organisierte Verantwortungslosigkeit", nennen das die Gewerkschaften. "Die großen Auftraggeber können ihre Hände in Unschuld waschen", sagt Lemm. Er vermutet, dass die Geschichte der Polen nur "die Spitze des Eisbergs" in der Branche sei.
Aussicht auf Festanstellung
Der Gewerkschafter hat das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz über die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz informiert. Darüber hinaus haben die Polen selbst Anzeigen beim Zoll wegen Schwarzarbeit erstattet.
Am Freitag erzielten die polnischen Arbeitnehmer schließlich eine Einigung mit dem Subunternehmen. Auf der Grundlage der akribisch erfassten Arbeitsstunden verpflichtete sich das Subunternehmen zur Auszahlung der gesamten noch ausstehenden Lohnsumme, auch für diejenigen polnischen Männer, die bereits früher nach Hause zurückgekehrt waren.
Nach der Auszahlung von einigen hundert Euro Vorkasse warten die Männer nun auf den Rest des Geldes. Mittlerweile soll der Logistikkonzern GLS den Arbeitnehmern aus Polen eine Direktanstellung angeboten haben.
Wollen die Männer noch als Paketbote in Deutschland arbeiten? "Einige von uns haben Interesse", sagt Wojciech Szumlak. "Aber zuerst wollen wir uns nach der ganzen Geschichte ausruhen."