Wie Politiker Körpersprache einsetzen
11. September 2013"Ruck Zuck" - das war der Name einer beliebten deutschen Spielshow in den 1990er Jahren. Dabei mussten sich die Kandidaten in einem Team gegenseitig Begriffe beschreiben und diese erraten. Die wichtigstes Spielregel dabei: keine Gesten, keine Geräusche!
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass das auch das Motto deutscher Politiker ist. Zumindest, wenn man sie mit ihren Kollegen in anderen Ländern vergleicht. Man denke an die lässige Geste, mit der Barack Obama bei seiner Rede vor dem Brandenburger Tor das Sakko auszog - eine deutsche Kanzlerin schien dagegen auch bei 30 Grad Celsius kaum zu schwitzen. Und während die Präsidenten auf dem amerikanischen Kontinent gerne selbst mal laut singen und das Tanzbein schwingen, lauscht die deutsche Kanzlerin nachdenklich zu Wagner-Klängen. Inhalte rüberbringen statt Körpereinsatz - ist das typisch deutsch?
Stabilität gegen Testosteron
Jein, sagen Stefan Verra, Experte für Körpersprache, und Paula Diehl, die zur Inszenierung von Politikern forscht. Mimik und Gestik kommen auch bei deutschen Spitzenpolitikern zum Einsatz, aber viel dezenter - vor allem bei Angela Merkel. Ihre Körpersprache zeichne sich durch eine ernste, kontrollierte Mimik und eine symmetrische Gestik aus, meint Politologin Paula Diehl: "Diese Art von Körperhaltung signalisiert eine besondere Stabilität und vermittelt auch Sicherheit." Dazu passe auch ihre Sprache, die frei von Polemik sei und harmonisch und moderierend wirke.
"Im Unterschied dazu ist Peer Steinbrück viel impulsiver und aggressiver und vermittelt dadurch eher Kampfgeist", sagt Paula Diehl im Gespräch mit der DW. Steinbrück nehme mit seiner Körpersprache viel mehr Raum in Anspruch, seine Bewegungen seien intensiver, er gehe oft durch den Raum. Damit richte er die Aufmerksamkeit auf seine Persönlichkeit, während bei Merkel das Amt im Vordergrund stehe, so die Politologin. "Er geht sehr stark auf das Spezialisten-Image und hat einen männlichen Duktus. Angela Merkel meidet praktisch alles, was gender-codiert ist - sie schafft so eine Art neutrale Selbstdarstellung."
Szenen einer Ehe… aber nur in Amerika
Doch selbst Peer Steinbrück ist im Vergleich zu Politikern anderer Länder eher nüchtern und förmlich - trotz feuchter Augen bei gemeinsamen Auftritten mit der Gattin: "Gerade in Lateinamerika und auch in Nordamerika hat man es mit einem viel emotionaleren und auch polemischeren Wahlkampf zu tun - sowohl auf der Ebene der Argumente, als auch auf der Ebene der Selbstdarstellung", sagt Paula Diehl, selbst gebürtige Brasilianerin. Ein Beispiel: die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Bei ihrem Wahlkampf 2011 machte sie die Trauer um den toten Ehemann und Ex-Präsidenten Néstor Kirchner zum Teil ihrer Selbstdarstellung: Sie trat ausschließlich in Schwarz gekleidet auf und redet nur noch von "Ihm" - ohne den Namen zu nennen.
Wie in Lateinamerika wird auch in der US-Politik die Gegenseite viel schärfer kritisiert: "Man scheut sich auch nicht, sehr persönlich zu werden. In Deutschland hat man es immer noch mit einem Ethos zu tun, bei dem man versucht, Privatheit außen vor zu lassen", sagt Diehl. So akzeptierten es die deutschen Medien, wenn Merkel ihren Gatten nicht zeigen möchte. Fragen nach dem Privatleben würden kaum gestellt.
Die länderspezifischen Unterschiede seien zum Teil kulturell erklärbar: Nordeuropäer hätten im Schnitt eine vergleichsweise distanziertere Körperhaltung und eine weniger expansive und gefühlsbetonte Körpersprache. Das erwarteten sie auch von ihren Repräsentanten, meint Diehl. "Inszenierung und PR-Arbeit spielen natürlich immer eine große Rolle", ergänzt der Körperspracheneexperte Stefan Verra, "aber ein PR- oder Kommunikationsberater kann die Eigenarten einer Person nur verstärken, sie jedoch nicht grundsätzlich verändern."
Außerdem spielten in Deutschland die Parteien eine wichtigere Rolle als etwa auf dem amerikanischen Kontinent, wo die Politik stark personalisiert sei. Und es herrsche ein mäßiger, eher auf Konsens gerichteter Diskussionsstil.
Mit Bush auf’n Burger - und Berlusconi auf’s Badetuch
Schließlich gibt es auch länderspezifisch Unterschiede in Bezug auf die Situationen, in denen sich Politiker gerne zeigen, um Volksnähe und Traditionsbewusstsein zu demonstrieren. Dass deutsche Politiker extrem oft in eine Wurst beißen, hat der Journalist und Politikwissenschaftler Constantin Alexander beobachtet. Auch in den USA spielt Essen eine große Rolle im Wahlkampf. "Barack Obama hat deshalb im Wahlkampf in nahezu jede Art von Fastfood mindestens einmal gebissen. Von Mitt Romney hingegen gibt es keine Bilder, wie er in einen Taco beißt, denn der symbolisiert für einen Republikanerwähler die Einwanderer aus Mexiko, die 'Illegalen'", sagte Alexander in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "taz".
Anders in Italien: Hier zeigen sich die Spitzenpolitiker gerne mal am Strand mit Badehose - ein Trend, an dem ein gewisser Ex-Premier mit Hang zu Bunga-Bunga-Partys nicht ganz unschuldig ist. "Es ist sehr interessant zu sehen, wie die Körpersprache sich verändert hat, seitdem Berlusconi da ist", erklärt Politologin Diehl. "Diese Körpersprache hält sich überhaupt nicht an politische Codes, das heißt, man mischt eine Körpersprache, die man im Alltag hat, mit dem Politiker-Habitus." Informell und gerne mal einen Witz unterhalb der Gürtellinie, ganz nach dem Motto: Ich habe so viel Macht, dass ich mir leisten kann, nicht wie ein typischer Politiker aufzutreten.
Bleibt die Frage, ob man mit Mimik, Gestik und Symbolik eine Wahl gewinnen kann. Alleine mit der richtigen Körpersprache nicht – darin sind sich Paula Diehl und Stefan Verra einig. Aber: "Wir glauben immer, es geht so viel um die Inhalte, obwohl unser Gehirn zum weitaus größten Teil auf visuelle Signale regiert", so Verra. Wenn wir uns bei jemandem unwohl oder unverstanden fühlten, hörten wir den Argumenten gar nicht erst zu. Paula Diehl verweist mal wieder auf die Nahrungsaufnahme: "Während des Wahlkampfes Kerry-Bush gab es viele Umfragen unter Wählern, die man fragte: 'Warum wählen Sie den nicht? Und die Antwort war: Ich kann es mir nicht vorstellen, mit Kerry vor dem Fernseher zu sitzen und einen Burger zu essen - mit George W. Bush schon."