Wie "Obstkäppchen" Großmütter glücklich macht
3. Juni 2019"Für manche Senioren ist es das Highlight des ganzen Monats", sagt Carina Raddatz. Sie ist Mitgründerin und Vorstandsvorsitzende des Vereins "Obstkäppchen". Der Verein mit heute gut 70 Mitgliedern möchte alten Menschen helfen, die wenig Geld haben - und oft auch einsam sind.
Einmal pro Monat - immer am letzten Samstag im Monat - klingeln die ehrenamtlichen Helfer bei Senioren in der Stadt Hennef in Nordrhein-Westfalen und überreichen ihnen eine braune Papiertüte mit frischem Obst und Gemüse im Wert von fünf Euro. Ziel ist es, die Senioren, die kaum von dem wenigen Geld, das sie haben, leben können, bei einer gesunden Ernährung zu unterstützen.
Altersarmut - kein kleines Problem
Fast jeder fünfte Rentner in Deutschland gilt als armutsgefährdet. Armutsforscher Christoph Butterwegge, bis 2016 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln und anschließend Kandidat der Partei Die Linke für das Amt des Bundespräsidenten, nennt die Kriterien: "Als armutsgefährdet gilt nach den Kriterien der Europäischen Union, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat und das sind für einen Alleinstehenden 999 Euro im Monat". Soweit die offizielle Definition. "Aber meiner Meinung nach ist, wer weniger als 999 Euro als Alleinstehender zur Verfügung hat, eben nicht von Armut bedroht, sondern der ist wirklich arm", so Butterwegge.
In Deutschland gibt es mehr als 17 Millionen Rentner. Wenn jeder fünfte als arm oder zumindest als armutsgefährdet gilt, sind das mehr als drei Millionen - und damit auch mehr als drei Millionen Menschen, die potentiell das Angebot von "Obstkäppchen" annehmen könnten. Aktuell ist der Verein aber nur in Hennef tätig und beliefert 86 Senioren, die vom Amt für Soziale Angelegenheiten angesprochen wurden und die ihre Zustimmung gegeben haben. Noch ist die Reichweite des Vereins also klein.
Gegen Einsamkeit
Neben der Belieferung mit gesunden Lebensmitteln, gibt es noch ein zweites Ziel, das der Verein "Obstkäppchen" verfolgt: die Senioren - zumindest für den Moment - aus ihrer Einsamkeit zu holen. Denn viele alte Menschen leben allein und häufig fehlt ihnen das Geld, um am sozialen Leben teilnehmen zu können. "Das Geld reicht nicht, um mit dem Bus in die nächste Stadt zu fahren um die Schwester zu treffen", schildert Carina Raddatz die Situation mancher alter Menschen.
Zwar freuten sich einige Senioren auch nur über die Lebensmitteltüten und wollten gar kein Gespräch führen, aber Raddatz schätzt, dass rund 70 Prozent der Senioren, welche die Obstkäppchen-Helfer betreuen, sich vornehmlich über das Gespräch freuen, das sie einen Moment lang aus der Einsamkeit reißt.
Häufig kommt es vor, dass die alte Dame oder der alte Herr die Tüte mit den Lebensmitteln in die Küche stellt und den Überbringer an den Tisch bitte und zu Kaffee einlädt. "Und danach sind sie sehr sehr glücklich. Und das finde ich eine sehr sehr schöne Sache, weil man mit relativ wenig Zeitaufwand wirklich viel bewegen kann", sagt die Mitgründerin von "Obstkäppchen". Um eine Vertrautheit herzustellen werden die Senioren auch möglichst immer von denselben Vereinsmitgliedern beliefert.
Armutsforscher Butterwegge bestätigt die negativen Auswirkungen, die Armut auf das Sozialleben hat: "Armut ist eben mehr, als wenig Geld in der Tasche zu haben. Armut bedeutet auch, sozial ausgegrenzt zu werden und über in der Regel wenig soziale Kontakte zu verfügen." Darum freut er sich über Initiativen wie die von "Obstkäppchen". Allerdings schränkt er ein: "Bürgerschaftliches Engagement ist sehr zu begrüßen, aber es sollte immer nur eine Ergänzung sein und kein Ersatz." Er sieht die Gefahr, dass der Staat solche Initiativen dazu nutzen könnte, sein eigenes soziales Engagement zurückfahren
Die Idee zu "Obstkäppchen"
"Die Idee ist entstanden, als ich in Köln unterwegs war in der Innenstadt und eine ältere Dame dabei beobachtet habe, wie sie aus dem Müll Pfandflaschen gesammelt hat", berichtet Carina Raddatz. "In diesem Moment hat mich das wirklich sehr mitgenommen und auch sehr berührt. Und dann habe ich mir Gedanken gemacht, wie man etwas dagegen machen kann und bin dann letzten Endes irgendwann auf diese Idee gekommen." Das ist jetzt drei Jahre her. Ende 2017 wurde dann der Verein "Obstkäppchen" gegründet.
Im vergangenen Jahr hat der Verein eines von 100 Stipendien von "Startsocial" bekommen, einem deutschlandweiten Wettbewerb zur Förderung des ehrenamtlichen sozialen Engagements. Über ein Jahr lang werden die Initiativen gecoacht. Die 25 besten hatten die Chance auf einen Geldpreis und eine Ehrung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Obstkäppchen" hat es unter die letzten 25 geschafft und es dann am Montag bei der Preisverleihung mit Angela Merkel sogar unter die letzten sieben geschafft. Damit verbunden ist ein Geldpreis in Höhe von 5000 Euro - und natürlich ein großes Stück Anerkennung.
Die Zukunft
Unabhängig von der Preisverleihung gibt es ohnehin schon weitere Pläne. Aktuell ist "Obstkäppchen" nur in Hennef aktiv. In diesem Jahr soll aber noch eine Großstadt im Köln-Bonner Raum dazu kommen. Die Vereinsmitglieder hoffen, irgendwann mal deutschlandweit alten Menschen helfen zu können. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg für "Obstkäppchen".
Ach ja, und wer sich fragt, warum der Verein "Obstkäppchen" heißt: "Wir haben lange überlegt, wie wir dieses Projekt nennen können", sagt Carina Raddatz, "und dann ist es tatsächlich mal nach ein paar Bierchen dazu gekommen, dass wir an Rotkäppchen gedacht haben, die ihrer Oma Lebensmittel bringt und vom bösen Wolf verschluckt wird. Da dachten wir: Das ist doch eine schöne Verbindung zu der Altersarmut, die die Senioren auch verschluckt."