Wie Johnny Cash
2. Februar 2006Der "wandelnde Widerspruch" Johnny Cash war mit Richard Nixon ebenso gut befreundet wie mit Bob Dylan. Mit heiligem Zorn sang er gegen die Todesstrafe an. Der Zorn galt dem Gouverneur von Texas, George W. Bush, der sich weigerte, einen umstrittenen Fall wieder aufzunehmen. Wenig später war Cash einer der ersten, die Präsident Bushs Krieg gegen den Irak ausdrücklich begrüßten.
Liebes-Melodram
In klassischem Stil erzählt Mangold das Leben des Arme-Leute-Sohnes Johnny. Die Mitschuld am Tod des älteren Bruders lässt den jungen Johnny zur Gitarre greifen, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Mit Pillen, Suff und Frauengeschichten pflegt Cash in den 1950ern einen Rock-'n'-Roll-Lebensstil, der dekorative Filmbilder stiftet. Vor allem aber ist "Walk the Line" die Geschichte der großen Liebe: zwischen June Carter und Johnny Cash.
Cash und June Carter, die seine zweite Frau wurde, lernten sich hinter der Bühne kennen - angeblich, als sie sich in seiner Gitarre verhedderte. Sie verbrachten 40 Jahre zusammen. June starb 2003 nach einer Herzoperation, ihr Mann folgte ihr nur wenige Monate später. Die im Film erzählte Liebesgeschichte ist authentisch, "ich habe es mit eigenen Augen gesehen - es war außergewöhnlich", erzählt Darsteller Joaquin Phoenix (31).
Kompetente Stars
Reese Witherspoons June Carter repräsentiert das Zupackende einer leidgeprüften Mutter und Witwe. Die realitätstüchtige geschiedene Mutter June verliebt sich in den realitätsuntüchtigen verheirateten Vater Johnny, versagt sich aber den Vollzug der Liebe. Eine Story wie gemalt für James Mangold, der sich als Regisseur von "Cop Land" für Schuld-und-Sühne-Melodramen empfohlen hatte. "Von Anfang an spürte ich, dass ich eine große Verantwortung tragen würde, diese wunderbare Frau zu verkörpern, deren Leben so vielen Menschen so viel bedeutet hat", sagt die 29-jährige Witherspoons. Schade ist, dass die deutsche Synchronisation ihren charmanten Südstaatenakzent kaum wiedergeben kann.
Joaquin Phoenix hat dieses Gefährliche in den Augen. Er taumelt durch den Film, um immer wieder von der patenten Reese Witherspoon auf der richtigen Spur gehalten zu werden. Erstaunlicherweise verwandelt Mangold das vermeintliche Handicap - was tun mit der übermächtigen Erinnerung an die Originalstimmen? - in eine Stärke. Phoenix findet seine eigene Stimme in angemessener Distanz zu Cash. Produktive Abweichungen von der Legenden-Norm erlauben sich der Regisseur und seine kompetenten Stars deshalb auch nur bei den eigenwillig interpretierten Songs. Für seine Rolle las Phoenix die beiden Cash- Autobiografien, hörte jede Menge Platten und nahm Stunden bei einem Gesangslehrer. Kernig wie der "Man in Black" singt er, genauso aussehen oder klingen wie Johnny Cash will er aber nicht.
Es ist zum Heulen
Die entsagungsreiche Liebe von Johnny und June bekommt in dem Film eine große Bühne. In einer Schlüsselszene wird der Dylan-Song "It Ain't Me Babe" umgedeutet, im Original ein schmuckloser Folksong, in dem der Sänger die Bindungsansprüche seiner Partnerin von sich weist. Ganz anders im Film: Mit hysterischem Enthusiasmus singen beide gleichberechtigt ihre Absage an die Tristesse der Monogamie. Johnny und June strahlen sich an. Das Publikum tobt vor Glück. Bis auf eine: Mittendrin sitzt Cashs Noch-Ehefrau mit den Kindern und weint.
Gedreht wurde ein Großteil des Films in Arkansas, Nashville und Memphis. Alles atmet Authentizität: Die Musik wurde auf alten Instrumenten gespielt, die Darsteller schlüpften in Originalkostüme. Kritiker bemängelten allerdings, Regisseur und Ko-Autor Mangold hänge zu sehr an alten Hollywood- Klischees. Auch das zuckersüße Happyend könnte man dem Film anlasten. Künftige Generationen sollten sich an diesen Film erinnern, wenn sie den Namen Cash hören, erklären die Produzenten. Viele Bilder seien gebaut für die Ewigkeit. Bis auf weiteres wird man jedoch an den echten Johnny Cash denken, nicht an Joaquin Phoenix. Bei Muhammad Ali denkt ja auch keiner an Will Smith. (arn)