Wie Hassrede den Tigray-Konflikt verschlimmert
24. September 2021Daniel Kibrets Rede hatte es in sich. "Satan war der letzte seiner Art. Und die TPLF muss auch die letzte ihrer Art sein", sagte er kürzlich über die in der Unruheregion Tigray regierende Volksbefreiungsfront. "Sie sollten ausgelöscht werden und aus den historischen Aufzeichnungen verschwinden. Wer sie studieren will, sollte nichts über sie finden. Vielleicht kann er etwas über sie finden, wenn er im Boden gräbt."
Kibret ist in Äthiopien nicht irgendjemand. Er gilt als enger Vertrauter von Premierminister Abiy Ahmed. Dessen Regierung steckt seit November 2020 in einem bewaffneten Konflikt mit der TPLF, der sich nach Angaben internationaler Hilfsorganisationen längst zu einer humanitären Krise ausgeweitet hat. Tausende Menschen sind bereits gestorben, über 400.000 vom Hunger bedroht.
Werden Worte zu Waffen?
Entsprechend entsetzt reagierte das Ausland auf die Kibret-Rede. "Hasserfüllte Rhetorik wie diese ist gefährlich und inakzeptabel", sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums der Nachrichtenagentur AFP. "Solche Äußerungen können das Risiko von Massentötungen von Zivilisten und von gezielten Angriffen auf Menschen erhöhen, nur weil sie so sind, wie sie sind, wo sie leben oder wo sie geboren wurden", sagte Nicole Widdersheim vom Simon-Skjodt Center for the Prevention of Genocide in der US-Hauptstadt Washington.
Kibrets Rechtfertigung: Seine Worte bezögen sich auf die "terroristische TPLF-Gruppe". Auch eine Sprecherin von Premier Abiy Ahmed verteidigte die Rede. "Es kommt zu starken Fehlinterpretationen von Stellungnahmen verschiedener Stellen, weil die Nuancen der äthiopischen Sprachen nicht bekannt sind", sagte sie.
Scharfe Töne vom Premier
Doch auch die Rhetorik von Premierminister Abiy Ahmed hat sich verschärft. Im Juli bezeichnete er die tigrischen Streitkräfte als "Krebs" und "Unkraut".
"Zweifellos hat die Normalisierung einer solchen Rhetorik zumindest teilweise zu der schrecklichen Gewalt beigetragen, die wir in den letzten zehn Monaten in Nordäthiopien erlebt haben", sagt auch der äthiopische Journalist Zecharias Zelalem zur DW. "Hetzerische Hassreden von Aktivisten und prominenten Amtsträgern, die oft durch ihre große Gefolgschaft in den sozialen Medien verstärkt werden, haben die Spannungen zwischen ethnischen Gruppen verschärft."
Massenverhaftungen von Zivilisten, die laut Zelalem ausschließlich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit vorgenommen werden, zeigten: Sie erfolgten systematisch und seien Teil einer Kampagne, die die Zugehörigkeit zu einer tigrischen Ethnie kriminalisiere, sagt Zelalem.
Während sich im "Krieg der Worte" die TPLF einer aggressiven und bisweilen ethnisch-chauvinistischen Rhetorik gegenüber der Regierung Abiy bedient, hat sie bislang vor ähnlichen Begriffen wie "Krebs" oder "Unkraut" zurückgeschreckt.
Gesellschaft soll gespalten werden
Tajana Graovac, Leiterin eines Projekts gegen Hate Speech bei der Initiative Neue Deutsche Medienmacher*innen, glaubt, dass Politiker wie der Premierminister ihre Worte bewusst gewählt haben. "Sie dienen offensichtlich der Entmenschlichung des Gegenüber - beziehungsweise wird diese gerade vorbereitet. Dadurch wird die Barriere zu gewalttätigen Handlungen bis hin zum Mord - was in Ruanda geschah - gesenkt", sagt sie der DW. Zudem werde die Bevölkerung gespalten. "Wir gegen die - das 'wir' ist das Gute, dass 'die' ist das personifizierte Böse", so Graovac.
"Ein solch dehumanisierender Sprachgebrauch wie 'Krebsgeschwür', 'Ratten', 'Ungeziefer', 'Kakerlaken' dient häufig dazu - das hat die Geschichte leider gezeigt - extreme Formen kollektiver Gewalt vorzubereiten und zu legitimieren", sagt auch Gerald Posselt, Experte für Sprache und Gewalt an der Universität Wien, zur DW. "Dem Völkermord an den Tutsis in Ruanda ging eine jahrelange dehumanisierende Rhetorik der Gewalt voraus."
"Wir beobachten seit Ausbruch des Tigray-Krieges eine nie dagewesene Eskalation in ethnisch motivierten Hass-Postings", sagt Ludger Schadomsky, Leiter der amharischen Redaktion der Deutschen Welle. Sie unterhält unter anderem einen Facebook-Auftritt mit mehr als einer Million Fans.
Trotzdem warnt Sprachforscher Posselt vor übereilten Vergleichen. Es gebe kein einfaches Ursache-Wirkungsverhältnis zwischen sprachlicher und körperlicher Gewalt. Vieles müsste zusammenkommen, die Ethnisierung des Konflikts, konkrete Machtverhältnisse, der systematische Charakter der hetzenden Rhetorik. Aber: "Wir sollten aus der Geschichte lernen und jede Form der Hassrede gegen Bevölkerungsgruppen scharf verurteilen. Besonders, wenn wie in Äthiopien bereits ein militärischer Konflikt vorliegt."