Wie gefährlich ist der "IS" für Afghanistan?
21. April 2015"Ich bin nicht ideologisch gegen die USA eingestellt", stellt Hamid Karsai klar. Der ehemalige Präsident Afghanistans trug, wie aus seiner Amtszeit gewohnt, sein traditionelles Gewand, die dazugehörende Kopfbedeckung in der Hand. Zu seiner Linken saß ein anderer Ex-Präsident, Christian Wulff (Artikelbild). Bei einem Symposium in Bochum sollen sie über die Situation am Hindukusch, den globalen Terrorismus und die Rolle Deutschlands in der Welt sprechen, passend zum 100. Jubiläum der Aufnahme offizieller deutsch-afghanischer Beziehungen. Karsai gab sich optimistisch und positiv und sprach von den Freunden, den Deutschen. Er sei dem Westen gegenüber nicht per se negativ eingestellt, wiederholt er. "Nur die Umsetzung der Politik des Westens ist kritisch zu betrachten", so Karsai. "Mein Problem waren die vielen Verluste in der Zivilbevölkerung."
Mehr als 18.000 Menschen sind im Krieg gegen den Terror in Afghanistan ums Leben gekommen. Das Jahr 2014 war das Jahr mit den höchsten Zahlen unter zivilen Opfern, Tendenz steigend. Karsai, der im Westen gegen Ende seiner Amtszeit immer mehr an Rückhalt verloren hatte, appellierte in Bochum für mehr zivile Unterstützung und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen. Außerdem: Um die Sicherheitslage langfristig zu verbessern, brauche es Friedensgespräche mit den Fundamentalisten. "Meine Regierung hat viele Jahre daran gearbeitet und Präsident Ghani arbeitet ebenfalls hart daran", so Karsai. Die afghanischen Taliban mögen sich endlich zu Frieden entschließen.
Diffuse Bedrohung durch den "IS"
Christian Wulff, der sich für eine positive Einstellung gegenüber dem Islam in Deutschland einsetzt, verweist auf die neue Gefahr, die Afghanistan aus dem extremistischen Lager drohe: Laut deutschen Sicherheitsexperten würden IS-Kämpfer im Irak junge Afghanen rekrutieren um diese später für den Ernstfall zu aktivieren. Karsai wollte diese Gefahr nicht erkennen. "Der IS hat keinerlei Wurzeln in Afghanistan. Deshalb werden sie da keinen Raum finden", so Karzai. Vielmehr sollten die islamischen Länder sich vereinen, um den Terrorismus zu bekämpfen. "Das geht aber nur, wenn der Westen beginnt, den Islam besser zu verstehen und mit ihm zusammenarbeiten", so Afghanistans Ex-Präsident.
Der blutige Selbstmordanschlag am Samstag (18.04.2015) vor einer Filiale der Kabul-Bank in Dschalalabad, der mindestens 33 Menschen, Zivilisten und Angehörige der afghanischen Armee, in den Tod riss, soll auf das Konto des "Islamischen Staates" gehen, während die Taliban jede Beteiligung an dem Anschlag bestritten. Gerüchte von einer Präsenz des IS gab es bereits seit Anfang des Jahres. Immer wieder sollten schwarz gekleidete Männer gesehen worden sein, die Kämpfer rekrutieren und sich für den Kampf gerüstet haben sollen.
Schwerer Stand der afghanischen Armee
Die schlechte Sicherheitslage begünstigt diese Entwicklung. Über ein halbes Jahr ist es her, seitdem Präsident Ashraf Ghani die Führung übernommen hat. Aber es gibt immer noch keinen Verteidigungsminister. Graeme Smith von der International Crisis Group in Afghanistan sieht noch keine Übernahme des Landes durch den IS am Horizont. "Das kann sich jedoch ändern, sobald die Talibanführung nicht mehr auf die Loyalität ihrer Kämpfer zählen kann." Was die afghanischen Soldaten betreffe, sagt Smith, so machten sie einen guten Job, aber die Angriffe der Taliban seien effektiver und häufiger denn je geworden.
Wahida Kabir ist eine in Deutschland lebende Exil-Afghanin, die sich seit Jahrzehnten für das Land einsetzt, unter anderem im Afghanischen Frauenverein. Sie ist enttäuscht von dem Einsatz der westlichen Kräfte im Land. "Wäre deren Politik in Afghanistan und im Irak nicht fehlgeschlagen, dann hätten wir heute keinen IS", so Kabir. "Der Terrorismus hat nicht ab- sondern zugenommen und die ersten Opfer sind die Muslime selbst." Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan und der damit einhergehende Schnitt im Budget der afghanischen Sicherheitskräfte ist dennoch voll im Gange, wenn auch verlangsamt. Graeme Smith sieht derzeit nicht, dass sich das ändern könnte. "Es sei denn, die Aufständischen, vor allem der IS, bauen ihre Position in Afghanistan weiter aus."