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Serie Spuren deutscher Geschichte

Marc von Lüpke-Schwarz10. September 2013

Ein deutscher Konditor versüßt den Russen seit 1851 den Alltag. Die Moskauer Schokoladenfabrik Einem ist bis heute Russlands bekanntester Schokoladenhersteller - mittlerweile unter dem Namen "Roter Oktober".

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Russisches Konfekt, Schokolade, Bonbons und andere Süßigkeiten aus Russland (Foto: Kitty Kleist-Heinrich / dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

1851 eröffnete ein junger Deutscher eine Konditorei mitten in Moskau. Die Lage hatte er klug gewählt, direkt am Arbat, einer Straße, die heute zu einem der Touristenmagneten der Stadt gehört. Hier stellte Einem mit fünf Gehilfen etwas her, was die Moskauer bald in großen Mengen kauften: Bonbons und vor allem Schokolade hatte er im Sortiment. Damit hatte Einem eine Marktlücke entdeckt, denn erstklassige Naschereien gab es bislang nicht an vielen Stellen im Russischen Reich zu kaufen. Der Deutsche und sein Geschäft wurden bald eine beliebte Adresse für alle, die den sprichwörtlichen "süßen Zahn" hatten.

Die "Stummen"

Obwohl seit Jahrhunderten Handelsbeziehungen zwischen Russen und Deutschen bestanden, bildete das Russische Reich für die Deutschen lange Zeit ein Mysterium. Im 16. Jahrhundert warnte der Russlandreisende Sigismund von Herberstein seine Landsleute gar vor den angeblich hinterhältigen Moskauer Kaufleuten: "so pald die anheben zu schweren / so wellen sy betriegen" (übersetzt: "So bald sie anheben zu schwören, so wollen sie betrügen"). Dabei beruhte der vermeintliche Hang der Moskauer zu gebrochenen Versprechen auf einem kulturellen Missverständnis. In Russland galt eine Abmachung als verbindlich, wenn der Kaufmann dabei das Kreuz küsste. In Westeuropa war das anders.

Moskau, Arbat / Foto um 1900 Moskau (Foto: picture alliance/akg)
An der Moskauer Prachtstraße Arbat gründete von Einem sein UnternehmenBild: picture alliance/akg

Allein schon die sprachlichen Schwierigkeiten machten eine Verständigung schwer. Die russische Bezeichnung für einen Deutschen lautet "Nemez", was sich der Legende nach von "stumm" ableitet. Die Deutschen sind demnach aufgrund ihrer Schwierigkeiten mit der russischen Sprache bis heute die "Stummen".

Einems Schokoladenfabrik

Mit derartigen Schwierigkeiten musste sich der Konditor von Einem im 19. Jahrhundert nicht mehr herumschlagen. Sein Unternehmen florierte, weil die Moskauer - und die Besucher der Stadt - seine Schokolade in Massen kauften. Dass die kleine Zuckerbäckerei am Arbat weiter expandieren konnte, war allerdings einem zweiten Deutschen zu verdanken, der in Russland sein Glück machen wollte. Der Konditor von Einem ging einige Jahre nach der Gründung seines Geschäfts eine Partnerschaft mit dem Kaufmann Julius Heuss ein. Zuvor hatte es Heuss aus dem fernen Schwarzwald nach Moskau verschlagen. Im Jahr 1867 gründeten die beiden Partner eine Schokoladenfabrik.

Moskau Stadtansicht (Foto: picture alliance)
Die alten Gebäude des "Roten Oktobers" an der MoskwaBild: picture alliance/augenklick

Am Ufer der Moskwa, nicht weit vom Kreml, entstand ihre Fabrik. Sie trug den Namen "Einem". Ausgestattet mit den modernsten Gerätschaften und Maschinen stellten hier bald rund 100 Arbeiter feine Schokolade und Gebäck her - die bald landesweit bekannt waren. Auch die Herrscherfamilie naschte anscheinend gern: Die Schokoladenfabrik Einem wurde später zum Hoflieferanten des Zarenhofs.

Der Sturm der Revolution

Überall im Land entstanden neue Produktionsstätten, und mehr und mehr überließ von Einem seinem Partner Julius Heuss die Führung. 1876 starb der Konditor, der die Moskauer und die Russen mit seinen süßen Kreationen verwöhnt hatte. Heuss dagegen bewies, dass er das Unternehmen auch alleine weiterführen konnte. Er investierte in Werbung und hochwertige Verpackungen, die die Süßigkeiten von Einem unter der Konkurrenz hervorheben sollten. Es regnete Preise und Auszeichnungen, auch unter Heuss‘ Nachfolgern.

Doch 1918 war damit Schluss - Russland wurde von der kommunistischen Oktoberrevolution erschüttert. Die Kommunisten unter ihrem Führer Lenin übernahmen die Macht. Russland stürzte in einen Bürgerkrieg mit Monarchisten und Anti-Kommunisten, der Millionen das Leben kostete.

Erstuermung Winterpalast 1917 Russland (Foto: picture alliance)
Nach der Oktoberrevolution wurde die Schokoladenfabrik verstaatlichtBild: picture-alliance/akg

Roter Oktober

Die Schokoladenfabrik Einem wurde verstaatlicht und erhielt einen neuen Namen: "Staatliche Süßwarenfabrik Nr. 1, vormals Einem". Schokolade war allerdings auch unter den neuen Machthabern ein begehrtes Gut, so dass auch weiterhin Süßigkeiten die aus roten Ziegeln errichteten Fabrikhallen an der Moskwa verließen. 1922 erhielt die Fabrik ihren bis heute gültigen Namen. Zu Ehren der Revolution nannte man sie "Roter Oktober". Bis heute naschen die Moskauer gerne die Schokolade, die einst der Deutsche Ferdinand Theodor von Einem nach Moskau gebracht hatte. Die Schokoladenfabrik überstand den Kommunismus ebenso wie den Fall der Sowjetunion. Nur werden die Süßigkeiten heute woanders produziert - die alten Fabrikgebäude in Moskauer Top-Lage beherbergen inzwischen Clubs, Ateliers und Restaurants.