Wie Florenz zur Kunstmetropole aufstieg
18. Oktober 2018Dass eine Frau aus dem Bild heraus den Betrachter direkt anschaut, war in der italienischen Malerei bis Mitte des 15. Jahrhunderts vollkommen verpönt. Züchtig und sittsam zeigten die meist adeligen Damen höchstens ihr Profil.
Eine Frontalansicht, wie sie die Kunstwelt später mit der berühmten "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci erlebte, war zu diesem Zeitpunkt undenkbar. Sandro Botticelli war der erste Florentiner Maler, der es wagte eine weibliche Figur mit dem Blick zum Betrachter zu malen.
Gemälde als Visitenkarte
Die Tafelmalerei war im Mittelalter religiösen Motiven vorbehalten. Erst Mitte des 15. Jahrhunderts entdeckten die reichen Florentiner Bürger und politisch einflussreiche Dynastien, wie die Bankiersfamilie Medici, das Porträt als Instrument ihrer strategischen Heiratspolitik. Ein künstlerisch wertvolles Gemälde war eine gute Visitenkarte, um bei konkurrierenden Familien mit den heiratsfähigen Töchtern vorstellig zu werden.
Serienproduktion in großen Werkstätten
In Florenz waren die Künstler zu dieser Zeit in großen Werkstätten organisiert. Für die vielen Porträtaufträge, die mit passenden, oft vergoldeten Rahmen geliefert wurden, waren unterschiedliche Handwerker nötig.
Leonardo da Vinci arbeitete anfangs als junger Maler in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio. Der stadtbekannte Verrocchio verdiente als Bildhauer viel Geld mit Skulpturen für Paläste und Kirchen und war bestens in der politischen Kaste von Florenz vernetzt.
Auch Sandro Botticelli, Francesco Botticini und Biagio d'Antonio arbeiteten bei Verrocchio, der äußerst geschäftstüchtig die talentiertesten Maler, Bildhauer und Rahmenbauer seiner Zeit bei sich beschäftigte.
Aus der Werkstatt gingen reihenweise teure Porträtgemälde hervor, eine finanzielle Goldgrube für Verrocchio. Die neureichen Adelsfamilien von Florenz rissen sich um Termine für Porträtsitzungen bei den bald landesweit bekannten Malern, die solch repräsentative Gemälde routiniert in Serie herstellten.
Pinakothek zeigt 120 Meisterwerke
Die Arbeitsweise und Ideenwelt der Künstler dieser Zeit, die nebenher auch ihren eigenen künstlerischen Ambitionen nachgingen, steht im Mittelpunkt der aktuellen Themenausstellung in der Alten Pinakothek in München. "Florenz und seine Maler. Von Giotto bis Leonardo da Vinci" heißt der Titel, hinter dem sich eines der bedeutendsten Kapitel der europäischen Kunstgeschichte verbirgt.
120 Meisterwerke der Malerei sowie Skulpturen und Zeichnungen aus der gleichen Florentiner Epoche hat Kurator Andreas Schumacher mit seinem Team zusammengestellt. Aufschlussreich wird in der Ausstellung dokumentiert, wie einzelne Gemälde in den Florentiner Werkstätten entstanden sind. Ein Aspekt, der den Ausstellungsmachern als kunsthistorischer Hintergrund sehr wichtig ist.
Wertvolle Leihgaben aus aller Welt
Viele der berühmten Gemälde sind kostbare Leihgaben internationaler Museen und Kunstsammlungen: aus New York, Washington, Wien, Florenz und Berlin. Aber auch wertvolle Bestände der Bayerischen Gemäldesammlungen, die Ludwig I. von Bayern im 19. Jahrhundert zusammengetragen hat, sind in der Ausstellung zu sehen. Einige frisch restauriert, und damit ganz neu für Besucher zu entdecken.
Florenz: Zeit des Umbruchs
Mitte des 15. Jahrhunderts, um das Jahr 1470 herum, bahnte sich in der Kunstmetropole Florenz ein bahnbrechender Umbruch an. Die ganze Stadt war eine einzige Baustelle, an jeder Ecke wurden prunkvolle Palazzi gebaut, die wuchtig und repräsentativ das Stadtbild veränderten. Damals entstand das Florenz, was wir heute als Touristen bewundern können.
Die adeligen Dynastien und Bankiersfamilien von Florenz waren vor allem durch den Tuchhandel und waghalsige Geldgeschäfte reich geworden. Ihre privaten Residenzen wurden mit Gemälden, Skulpturen und kostbar bemalten Möbeln gefüllt - als Zeichen ihres unermesslichen Reichtums.
Die mittelalterlich-religiöse Demut war längst einer weltlichen Prunksucht gewichen. Anstatt es großzügig der Kirche zu spenden, investierten die reichen Bürger von Florenz ihr Geld lieber in die Ausstattung ihrer privaten Paläste mit dekorativer Kunst.
Import aus den Niederlanden
Den Künstlerwerkstätten in Florenz kam das sehr entgegen: Sie verdienten gut an den lukrativen Aufträgen des Geldadels. Über 50 Malerwerkstätten existierten damals in Florenz. Die spektakulären Kunstaufträge der Medici beförderten den konkurrierenden Wettbewerb unter den Künstlern enorm. Außerdem belebten importierte Ölgemälde aus den Niederlanden, die in ganz neuer Maltechnik angefertigt waren, das Geschäft mit der Auftragskunst.
Neue künstlerische Freiheiten
Leonardo da Vinci und auch seine italienischen Malerkollegen studierten mit großem Interesse und voller Bewunderung die neuartigen Materialien der niederländischen Meister. Mit seinen Ideen war der Naturforscher, Konstrukteur und Künstler da Vinci seiner Zeit sowieso weit voraus. Die naturalistische Maltechnik übernahm er sofort.
Aber erst mit dem neuen handwerklichen Wissen konnte er sie so umsetzten, wie es ihm vorschwebte. Die feinen, naturgetreuen Gesichtszüge der Porträtierten und auch die faltenreichen Gewänder ließen sich damit in zuvor nicht dagewesener Perfektion malen.
Bisher hatten die Florentiner Maler in mittelalterlichen Tradition mit Ei-Tempera gemalt. Die Ölfarben aus den Niederlanden ermöglichten weichere Übergänge, stärkere Schattierungen der Farbnuancen und damit ganz neue künstlerische Ausdrucksformen.
In dieser gesellschaftspolitischen Atmosphäre entstanden im Florenz der Medici einzigartige Meisterwerke, die Florenz zum Zentrum der neuzeitlichen Kunst machten. Die Münchner Ausstellung lässt diese Zeit des Umbruchs sehr anschaulich präsent werden.
Die Ausstellung "Florenz und seine Maler. Von Giotto bis Leonardo da Vinci" in der Alten Pinakothek ist noch bis zum 27. Januar 2019 in München zu sehen. Der Katalog ist in deutscher und englischer Sprache im Hirmer Verlag erschienen.